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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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ist doch keine Widerlegung der Symphonie, und Haydn's Kindersymphonien, so
hübsch sie sind, keine Widerlegung der Eroica. Das Eine kann immer neben dem
Andern bestehen. Die Symphonie wird die Feinheit der Quartette entbehren,
die Kammermusik uicht so unmittelbar hinreißen, wie ein volles Orchester. Wenn dann
die Technik sich steigert, so ist kein Grund vorhanden, nicht auch die Extension
der Instrumente zu steigern. Wenn Hector Berlioz die Instrumente auf eine so
massenhafte Weise amveudet, daß sie uns fabelhaft vorkommt, so hat das
freilich den Uebelstand, daß man dergleichen nur in deu größten Hauptstädten
hören kann; da aber dadurch unstreitig eine größere Wirkung erzielt wird, und
da an sich die Masse der Mittel gegen die künstlerische Behandlung uicht streitet,
so ist so lauge nichts dagegen zu sagen, als der gute Geschmack darüber wacht,
daß der Contrast nicht ins Fratzenhafte getrieben wird. Denn das Verhältniß
der Musik zu dem Raum, für den sie bestimmt ist, und der Instrumente zur
Stimme beruht auf festen Gesetzen.

Spontini kam nicht gleich zu seinem Erfolg. Er debütirte in Paris mit
einigen noch halb italienischen Opern, die vorübergingen. In einer Operette:
La petits mai8vn (1805) wurde, mehr'dnrch den Text, als durch die Musik, die
Wuth des Publicums so erregt, daß es die Bühne stürmte, nud alle Instrumente,
Decorationen u. s. w. zerschlug. Spontini lebte in sehr dürftigen Umständen,
bis die Gunst der Kaiserin Josephine und die Freundschaft des Dichters Jouy,
zur Kaiserzeit der Matador uuter deu Theaterpoeteu, ihm das Textbuch zur
,,Vestalin" verschaffte, welches Cherubim und Mosul ausgeschlagen hatten. Er
lebte nun in strengster Zurückgezogenheit, nnr mit seinen Studien nud seiner Ar¬
beit beschäftigt. Alle Sänger und Sängerinnen, sowie das ganze Orchester
Protcstirten gegen diese unerhörte Musik, Cabalen ohne Ende kreuzten sein Werk,
aber das Machtwort Napoleon's schlug durch. Im I. 1807 wurde die "Besta¬
lln" aufgeführt. Der Erfolg war ungeheuer. Das Kaiserreich hatte endlich eine
Musik gefunden., die seinem kriegerischen Ruhm und seinem romantischen Glanz
entsprach. Spontini gewann den Preis über seine Mitbewerber, namentlich Le-
sueur, damit ein ansehnliches Gehalt und eine gesicherte Stellung. 1809 machte
sein Ferdinand Cortez gleichen Succeß; den Stoff hatte er ans Napoleon's
Befehl, gegen seine Vorliebe, gewählt. Er wollte eigentlich eine Elektra schreiben;
es ist aber anzunehmen, daß der Kaiser die Natur seiner Musik richtiger gewür¬
digt hat, als er selbst. 1810 erhielt er die Direction der italienischen Oper.
sein drittes großes Werk, Olympia (1819), fand bereits ein anderes Publi-
cum; Rossini hatte Alles unterjocht (sein Tancredi erschien 1813, der Barbier und
Otello 1816, Gazza Labra, Armida ze. 1817); das Stück ging ohne Eindruck
vorüber. Es scheint, mit Ausnahme der Ouvertüre, auch aus den deutschen
Bühnen völlig bei Seite gelegt zu sein. -- Der Verdruß trieb Spontini Ü820
uach Berlin, wo er zwanzig Jahre hindurch die Capelle leitete. Mau hat später


Grenzvoten. I. 1851. 38

ist doch keine Widerlegung der Symphonie, und Haydn's Kindersymphonien, so
hübsch sie sind, keine Widerlegung der Eroica. Das Eine kann immer neben dem
Andern bestehen. Die Symphonie wird die Feinheit der Quartette entbehren,
die Kammermusik uicht so unmittelbar hinreißen, wie ein volles Orchester. Wenn dann
die Technik sich steigert, so ist kein Grund vorhanden, nicht auch die Extension
der Instrumente zu steigern. Wenn Hector Berlioz die Instrumente auf eine so
massenhafte Weise amveudet, daß sie uns fabelhaft vorkommt, so hat das
freilich den Uebelstand, daß man dergleichen nur in deu größten Hauptstädten
hören kann; da aber dadurch unstreitig eine größere Wirkung erzielt wird, und
da an sich die Masse der Mittel gegen die künstlerische Behandlung uicht streitet,
so ist so lauge nichts dagegen zu sagen, als der gute Geschmack darüber wacht,
daß der Contrast nicht ins Fratzenhafte getrieben wird. Denn das Verhältniß
der Musik zu dem Raum, für den sie bestimmt ist, und der Instrumente zur
Stimme beruht auf festen Gesetzen.

Spontini kam nicht gleich zu seinem Erfolg. Er debütirte in Paris mit
einigen noch halb italienischen Opern, die vorübergingen. In einer Operette:
La petits mai8vn (1805) wurde, mehr'dnrch den Text, als durch die Musik, die
Wuth des Publicums so erregt, daß es die Bühne stürmte, nud alle Instrumente,
Decorationen u. s. w. zerschlug. Spontini lebte in sehr dürftigen Umständen,
bis die Gunst der Kaiserin Josephine und die Freundschaft des Dichters Jouy,
zur Kaiserzeit der Matador uuter deu Theaterpoeteu, ihm das Textbuch zur
,,Vestalin" verschaffte, welches Cherubim und Mosul ausgeschlagen hatten. Er
lebte nun in strengster Zurückgezogenheit, nnr mit seinen Studien nud seiner Ar¬
beit beschäftigt. Alle Sänger und Sängerinnen, sowie das ganze Orchester
Protcstirten gegen diese unerhörte Musik, Cabalen ohne Ende kreuzten sein Werk,
aber das Machtwort Napoleon's schlug durch. Im I. 1807 wurde die „Besta¬
lln" aufgeführt. Der Erfolg war ungeheuer. Das Kaiserreich hatte endlich eine
Musik gefunden., die seinem kriegerischen Ruhm und seinem romantischen Glanz
entsprach. Spontini gewann den Preis über seine Mitbewerber, namentlich Le-
sueur, damit ein ansehnliches Gehalt und eine gesicherte Stellung. 1809 machte
sein Ferdinand Cortez gleichen Succeß; den Stoff hatte er ans Napoleon's
Befehl, gegen seine Vorliebe, gewählt. Er wollte eigentlich eine Elektra schreiben;
es ist aber anzunehmen, daß der Kaiser die Natur seiner Musik richtiger gewür¬
digt hat, als er selbst. 1810 erhielt er die Direction der italienischen Oper.
sein drittes großes Werk, Olympia (1819), fand bereits ein anderes Publi-
cum; Rossini hatte Alles unterjocht (sein Tancredi erschien 1813, der Barbier und
Otello 1816, Gazza Labra, Armida ze. 1817); das Stück ging ohne Eindruck
vorüber. Es scheint, mit Ausnahme der Ouvertüre, auch aus den deutschen
Bühnen völlig bei Seite gelegt zu sein. — Der Verdruß trieb Spontini Ü820
uach Berlin, wo er zwanzig Jahre hindurch die Capelle leitete. Mau hat später


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[0309] ist doch keine Widerlegung der Symphonie, und Haydn's Kindersymphonien, so hübsch sie sind, keine Widerlegung der Eroica. Das Eine kann immer neben dem Andern bestehen. Die Symphonie wird die Feinheit der Quartette entbehren, die Kammermusik uicht so unmittelbar hinreißen, wie ein volles Orchester. Wenn dann die Technik sich steigert, so ist kein Grund vorhanden, nicht auch die Extension der Instrumente zu steigern. Wenn Hector Berlioz die Instrumente auf eine so massenhafte Weise amveudet, daß sie uns fabelhaft vorkommt, so hat das freilich den Uebelstand, daß man dergleichen nur in deu größten Hauptstädten hören kann; da aber dadurch unstreitig eine größere Wirkung erzielt wird, und da an sich die Masse der Mittel gegen die künstlerische Behandlung uicht streitet, so ist so lauge nichts dagegen zu sagen, als der gute Geschmack darüber wacht, daß der Contrast nicht ins Fratzenhafte getrieben wird. Denn das Verhältniß der Musik zu dem Raum, für den sie bestimmt ist, und der Instrumente zur Stimme beruht auf festen Gesetzen. Spontini kam nicht gleich zu seinem Erfolg. Er debütirte in Paris mit einigen noch halb italienischen Opern, die vorübergingen. In einer Operette: La petits mai8vn (1805) wurde, mehr'dnrch den Text, als durch die Musik, die Wuth des Publicums so erregt, daß es die Bühne stürmte, nud alle Instrumente, Decorationen u. s. w. zerschlug. Spontini lebte in sehr dürftigen Umständen, bis die Gunst der Kaiserin Josephine und die Freundschaft des Dichters Jouy, zur Kaiserzeit der Matador uuter deu Theaterpoeteu, ihm das Textbuch zur ,,Vestalin" verschaffte, welches Cherubim und Mosul ausgeschlagen hatten. Er lebte nun in strengster Zurückgezogenheit, nnr mit seinen Studien nud seiner Ar¬ beit beschäftigt. Alle Sänger und Sängerinnen, sowie das ganze Orchester Protcstirten gegen diese unerhörte Musik, Cabalen ohne Ende kreuzten sein Werk, aber das Machtwort Napoleon's schlug durch. Im I. 1807 wurde die „Besta¬ lln" aufgeführt. Der Erfolg war ungeheuer. Das Kaiserreich hatte endlich eine Musik gefunden., die seinem kriegerischen Ruhm und seinem romantischen Glanz entsprach. Spontini gewann den Preis über seine Mitbewerber, namentlich Le- sueur, damit ein ansehnliches Gehalt und eine gesicherte Stellung. 1809 machte sein Ferdinand Cortez gleichen Succeß; den Stoff hatte er ans Napoleon's Befehl, gegen seine Vorliebe, gewählt. Er wollte eigentlich eine Elektra schreiben; es ist aber anzunehmen, daß der Kaiser die Natur seiner Musik richtiger gewür¬ digt hat, als er selbst. 1810 erhielt er die Direction der italienischen Oper. sein drittes großes Werk, Olympia (1819), fand bereits ein anderes Publi- cum; Rossini hatte Alles unterjocht (sein Tancredi erschien 1813, der Barbier und Otello 1816, Gazza Labra, Armida ze. 1817); das Stück ging ohne Eindruck vorüber. Es scheint, mit Ausnahme der Ouvertüre, auch aus den deutschen Bühnen völlig bei Seite gelegt zu sein. — Der Verdruß trieb Spontini Ü820 uach Berlin, wo er zwanzig Jahre hindurch die Capelle leitete. Mau hat später Grenzvoten. I. 1851. 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/309>, abgerufen am 04.07.2024.