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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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muß anerkennen, daß sie mit Tact und Weisheit bei den Vorschlägen, welche sie
zur Kasseler Conserenz brachte, dies große Ziel im Ange gehabt hat. Es wird
nicht unnütz sein, den Sinn dieser Vorschläge nochmals ins Gedächtniß zurück-
zurufen. In seiner gegenwärtigen Ausdehnung hat der Zollverein kein compactes
Terrain und keine scharf ausgeprägten natürlichen Interessen; das Heranziehen
der Nordseestaateu war eine Nothwendigkeit geworden, wenn die schwankende
Handelspolitik des Zollvereins sich zu einer sichern und nationalen erheben sollte.
Das Haupthindernis^ einer Vereinigung zwischen Norddeutschland und dem Zoll¬
verein waren bisher die niedrigen Sätze des Nordseevereinö in Colonialwaaren,
Wein und andere Importen gewesen; es wurde deshalb principiell eine Herab¬
setzung dieser Kategorien in Aussicht gestellt, deren Maßbestimmung deu Verhand-
lungen mit den anzufügenden Staaten überlassen bleiben sollte. Außerdem sollte
die Einfuhr^der nothwendigen Lebensmittel, Getreide, Fleisch, Butter ze. begün¬
stigt werden, und die im Zollverein bereits zur Blüthe gekommenen Webereien
sollten dadurch von England emancipirt werden, daß eine Erhöhung des Zolls
auf Gespinnste zur Anlage von Woll- und Baumwollspinnereien antriebe. --
Diese allmälige und höchst vernünftige Annäherung an die Grundsätze der Frei¬
handelspartei (und eine Annäherung an den Freihandel war der Tarif trotz dem
Widerspruche uuserer Freihändler) ist zunächst durch Opposition unserer grund¬
besitzenden Tones, ferner durch die Uneinigkeiten der Kasseler Konferenz und
endlich zumeist durch die gegenwärtige politische Situation Oestreichs unmöglich
geworden.

Bei dem Drängen nach Handelseinheit vertritt Oestreich und die ihm ver¬
bündeten Königreiche Baiern und Würtemberg die Partei des Schutzzolls gegen
das Ausland. Es ist kaum mehr zu zweifeln, daß diese Partei, bereits im alten
Zollverein ein Hinderniß für jede Annäherung an den Norden nud jetzt durch den
Beitritt Oestreichs verstärkt, eine Auflösung des Zollvereins beabsichtigt und her-
beiführen wird. Das räumlich zerrissene und getheilte Preußen kann ein com¬
pactes Handelöterrain nicht mehr entbehren und wird deshalb genöthigt, den
Anschluß der Nordseestaateu um jeden Preis zu erkaufen. Es hat deshalb seiue
gesicherte Position bei den Unterhandlungen verloren, und der preußische Handel
wie die preußische Industrie werden bei weitem größere Opfer bringen müssen
und doch durch diesen Anschluß gefährlichere Erschütterungen erleiden, als nnter
andern Umständen nöthig gewesen wäre. Preußen wird jäh und unvorbereitet zu
den Principien eines Freihandels gedrängt, mit welchen der gegenwärtige Zustand
seiner Industrie in vielfacher Opposition steht.

Unleugbar ist dies Unglück für Preußen weit geringer, als ein Anschluß an
das östreichische System, aber es ist doch eine Calamität. Und daß der preu¬
ßische Staat gegenwärtig in die Lage gekommen ist, von zwei Uebeln des kleinste
wählen zu müssen, ist die Schuld der gegenwärtigen Regierung; denn in den


muß anerkennen, daß sie mit Tact und Weisheit bei den Vorschlägen, welche sie
zur Kasseler Conserenz brachte, dies große Ziel im Ange gehabt hat. Es wird
nicht unnütz sein, den Sinn dieser Vorschläge nochmals ins Gedächtniß zurück-
zurufen. In seiner gegenwärtigen Ausdehnung hat der Zollverein kein compactes
Terrain und keine scharf ausgeprägten natürlichen Interessen; das Heranziehen
der Nordseestaateu war eine Nothwendigkeit geworden, wenn die schwankende
Handelspolitik des Zollvereins sich zu einer sichern und nationalen erheben sollte.
Das Haupthindernis^ einer Vereinigung zwischen Norddeutschland und dem Zoll¬
verein waren bisher die niedrigen Sätze des Nordseevereinö in Colonialwaaren,
Wein und andere Importen gewesen; es wurde deshalb principiell eine Herab¬
setzung dieser Kategorien in Aussicht gestellt, deren Maßbestimmung deu Verhand-
lungen mit den anzufügenden Staaten überlassen bleiben sollte. Außerdem sollte
die Einfuhr^der nothwendigen Lebensmittel, Getreide, Fleisch, Butter ze. begün¬
stigt werden, und die im Zollverein bereits zur Blüthe gekommenen Webereien
sollten dadurch von England emancipirt werden, daß eine Erhöhung des Zolls
auf Gespinnste zur Anlage von Woll- und Baumwollspinnereien antriebe. --
Diese allmälige und höchst vernünftige Annäherung an die Grundsätze der Frei¬
handelspartei (und eine Annäherung an den Freihandel war der Tarif trotz dem
Widerspruche uuserer Freihändler) ist zunächst durch Opposition unserer grund¬
besitzenden Tones, ferner durch die Uneinigkeiten der Kasseler Konferenz und
endlich zumeist durch die gegenwärtige politische Situation Oestreichs unmöglich
geworden.

Bei dem Drängen nach Handelseinheit vertritt Oestreich und die ihm ver¬
bündeten Königreiche Baiern und Würtemberg die Partei des Schutzzolls gegen
das Ausland. Es ist kaum mehr zu zweifeln, daß diese Partei, bereits im alten
Zollverein ein Hinderniß für jede Annäherung an den Norden nud jetzt durch den
Beitritt Oestreichs verstärkt, eine Auflösung des Zollvereins beabsichtigt und her-
beiführen wird. Das räumlich zerrissene und getheilte Preußen kann ein com¬
pactes Handelöterrain nicht mehr entbehren und wird deshalb genöthigt, den
Anschluß der Nordseestaateu um jeden Preis zu erkaufen. Es hat deshalb seiue
gesicherte Position bei den Unterhandlungen verloren, und der preußische Handel
wie die preußische Industrie werden bei weitem größere Opfer bringen müssen
und doch durch diesen Anschluß gefährlichere Erschütterungen erleiden, als nnter
andern Umständen nöthig gewesen wäre. Preußen wird jäh und unvorbereitet zu
den Principien eines Freihandels gedrängt, mit welchen der gegenwärtige Zustand
seiner Industrie in vielfacher Opposition steht.

Unleugbar ist dies Unglück für Preußen weit geringer, als ein Anschluß an
das östreichische System, aber es ist doch eine Calamität. Und daß der preu¬
ßische Staat gegenwärtig in die Lage gekommen ist, von zwei Uebeln des kleinste
wählen zu müssen, ist die Schuld der gegenwärtigen Regierung; denn in den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/155>, abgerufen am 27.06.2024.