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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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unklaren Ideen der Volkssouverainetät, des allgemeinen Wahlrechts u. s. w. ab-
strahiren; ich mache nur auf den einen Punkt aufmerksam, der die Lebensfrage unsrer
Partei ist. Der Grundgedanke, von dem wir ausgegangen sind, und aus den wir
immer zurückkommen müssen, gegen den alle übrigen Fragen der Freiheit und Gleich¬
heit von untergeordneter Wichtigkeit sind, ist die Bildung eines souverainen Staates,
welcher ein einiges Interesse, die Kraft, dasselbe nach außen und innen zu vertreten,
und den abgeschlossenen Boden für eine volksthümliche Entwickelung habe; mit
andern Worten, die >, Concentration des außeröstreichischeu Deutschland zu einem
Bundesstaat unter preußischer Hegemonie, der in organischer Entwickelung allmälig
zu einem Einheitsstaat führen soll. In diesem Sinne haben wir die Frankfurter
Reichsverfassung angenommen, die uns keineswegs in allen Stücken convenirte;
in diesem Sinne das DreikönigSbündniß, mit dessen Einzelheiten wir auch nicht
einverstanden waren, und in diesem Sinne müssen wir in allen deutschen Kammern,
in der Presse, und wo uns sonst das Wort gegönnt ist, mit unsrer Opposition
gegen den Particularismus der Regierungen einerseits und gegen das Großdeutsch-
thum andrerseits so lauge fortfahren, bis wir unser Ziel erreicht haben, ganz un¬
bekümmert darum, ob die gegenwärtige preußische Regierung für uns ist oder
nicht. Gegen dieses Princip gehalten, sind alle übrigen politischen Bestrebungen
in Deutschland darum von untergeordneter Wichtigkeit, weil sie auf Sand bauen.
Man kann in Sachsen, in Reuß, in Baiern und in Anhalt die allerfreiesten Ver¬
fassungen von der Welt einführen, sie sind doch ohne Werth und o.)ne Dauer,
weil diese Staaten factisch keine volle Souverainetät haben, weil ihnen in jedem
Augenblick von einem absolutistischen Oestreich oder einem absolutistischen Preu¬
ßen die Entwickelung abgeschnitten werden kann. Mit Preußen ist es aber der¬
selbe Fall. Seine verzwickte geographische Lage macht es nothwendiger Weise zu
einem Militairstaat, in welchem eine freie Verfassung trotz aller Eidschwüre nur so
lange Geltung haben kann, als sie mit den militärischen Tendenzen des Staates
Hand in Hand geht. Preußen steht, auch mitten im Frieden, immer
bug,ra,mes-8 6p l, und daß es bis jetzt noch nicht zu einem Entscheidnngskampf
um seine Existenz gekommen ist, liegt allein an den verwickelten Konstellationen
der allgemeinen europäischen Politik. Es kann ans dieser höchst unconstitutionellen
Lage, deren Natur durch alle konstitutionellen Formen nicht überwunden wird,
nur dadurch herausgerissen werden, daß es seinen natürlichen Boden gewinnt.
Friedliche Eroberung Deutschlands, oder allmäliges Aussterben ans der Reihe der
souverainen Mächte, das ist das in seinem Wesen mit Nothwendigkeit vorgeschrie¬
bene Dilemma.

Ich verkenne keineswegs die Berechtigung des Standpunktes, welchem die
Erwerbnisse der Freiheit höher stehen, als eine sichere Grundlage der. Sou¬
verainetät und der Macht, der sich für Großdeutschland, für Kleiudeutschland
oder anch für das alte Bnndesverhältniß erklärt, je nachdem das Eine oder das


Grenzvoten. II. 1SSI. 9

unklaren Ideen der Volkssouverainetät, des allgemeinen Wahlrechts u. s. w. ab-
strahiren; ich mache nur auf den einen Punkt aufmerksam, der die Lebensfrage unsrer
Partei ist. Der Grundgedanke, von dem wir ausgegangen sind, und aus den wir
immer zurückkommen müssen, gegen den alle übrigen Fragen der Freiheit und Gleich¬
heit von untergeordneter Wichtigkeit sind, ist die Bildung eines souverainen Staates,
welcher ein einiges Interesse, die Kraft, dasselbe nach außen und innen zu vertreten,
und den abgeschlossenen Boden für eine volksthümliche Entwickelung habe; mit
andern Worten, die >, Concentration des außeröstreichischeu Deutschland zu einem
Bundesstaat unter preußischer Hegemonie, der in organischer Entwickelung allmälig
zu einem Einheitsstaat führen soll. In diesem Sinne haben wir die Frankfurter
Reichsverfassung angenommen, die uns keineswegs in allen Stücken convenirte;
in diesem Sinne das DreikönigSbündniß, mit dessen Einzelheiten wir auch nicht
einverstanden waren, und in diesem Sinne müssen wir in allen deutschen Kammern,
in der Presse, und wo uns sonst das Wort gegönnt ist, mit unsrer Opposition
gegen den Particularismus der Regierungen einerseits und gegen das Großdeutsch-
thum andrerseits so lauge fortfahren, bis wir unser Ziel erreicht haben, ganz un¬
bekümmert darum, ob die gegenwärtige preußische Regierung für uns ist oder
nicht. Gegen dieses Princip gehalten, sind alle übrigen politischen Bestrebungen
in Deutschland darum von untergeordneter Wichtigkeit, weil sie auf Sand bauen.
Man kann in Sachsen, in Reuß, in Baiern und in Anhalt die allerfreiesten Ver¬
fassungen von der Welt einführen, sie sind doch ohne Werth und o.)ne Dauer,
weil diese Staaten factisch keine volle Souverainetät haben, weil ihnen in jedem
Augenblick von einem absolutistischen Oestreich oder einem absolutistischen Preu¬
ßen die Entwickelung abgeschnitten werden kann. Mit Preußen ist es aber der¬
selbe Fall. Seine verzwickte geographische Lage macht es nothwendiger Weise zu
einem Militairstaat, in welchem eine freie Verfassung trotz aller Eidschwüre nur so
lange Geltung haben kann, als sie mit den militärischen Tendenzen des Staates
Hand in Hand geht. Preußen steht, auch mitten im Frieden, immer
bug,ra,mes-8 6p l, und daß es bis jetzt noch nicht zu einem Entscheidnngskampf
um seine Existenz gekommen ist, liegt allein an den verwickelten Konstellationen
der allgemeinen europäischen Politik. Es kann ans dieser höchst unconstitutionellen
Lage, deren Natur durch alle konstitutionellen Formen nicht überwunden wird,
nur dadurch herausgerissen werden, daß es seinen natürlichen Boden gewinnt.
Friedliche Eroberung Deutschlands, oder allmäliges Aussterben ans der Reihe der
souverainen Mächte, das ist das in seinem Wesen mit Nothwendigkeit vorgeschrie¬
bene Dilemma.

Ich verkenne keineswegs die Berechtigung des Standpunktes, welchem die
Erwerbnisse der Freiheit höher stehen, als eine sichere Grundlage der. Sou¬
verainetät und der Macht, der sich für Großdeutschland, für Kleiudeutschland
oder anch für das alte Bnndesverhältniß erklärt, je nachdem das Eine oder das


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[0077] unklaren Ideen der Volkssouverainetät, des allgemeinen Wahlrechts u. s. w. ab- strahiren; ich mache nur auf den einen Punkt aufmerksam, der die Lebensfrage unsrer Partei ist. Der Grundgedanke, von dem wir ausgegangen sind, und aus den wir immer zurückkommen müssen, gegen den alle übrigen Fragen der Freiheit und Gleich¬ heit von untergeordneter Wichtigkeit sind, ist die Bildung eines souverainen Staates, welcher ein einiges Interesse, die Kraft, dasselbe nach außen und innen zu vertreten, und den abgeschlossenen Boden für eine volksthümliche Entwickelung habe; mit andern Worten, die >, Concentration des außeröstreichischeu Deutschland zu einem Bundesstaat unter preußischer Hegemonie, der in organischer Entwickelung allmälig zu einem Einheitsstaat führen soll. In diesem Sinne haben wir die Frankfurter Reichsverfassung angenommen, die uns keineswegs in allen Stücken convenirte; in diesem Sinne das DreikönigSbündniß, mit dessen Einzelheiten wir auch nicht einverstanden waren, und in diesem Sinne müssen wir in allen deutschen Kammern, in der Presse, und wo uns sonst das Wort gegönnt ist, mit unsrer Opposition gegen den Particularismus der Regierungen einerseits und gegen das Großdeutsch- thum andrerseits so lauge fortfahren, bis wir unser Ziel erreicht haben, ganz un¬ bekümmert darum, ob die gegenwärtige preußische Regierung für uns ist oder nicht. Gegen dieses Princip gehalten, sind alle übrigen politischen Bestrebungen in Deutschland darum von untergeordneter Wichtigkeit, weil sie auf Sand bauen. Man kann in Sachsen, in Reuß, in Baiern und in Anhalt die allerfreiesten Ver¬ fassungen von der Welt einführen, sie sind doch ohne Werth und o.)ne Dauer, weil diese Staaten factisch keine volle Souverainetät haben, weil ihnen in jedem Augenblick von einem absolutistischen Oestreich oder einem absolutistischen Preu¬ ßen die Entwickelung abgeschnitten werden kann. Mit Preußen ist es aber der¬ selbe Fall. Seine verzwickte geographische Lage macht es nothwendiger Weise zu einem Militairstaat, in welchem eine freie Verfassung trotz aller Eidschwüre nur so lange Geltung haben kann, als sie mit den militärischen Tendenzen des Staates Hand in Hand geht. Preußen steht, auch mitten im Frieden, immer bug,ra,mes-8 6p l, und daß es bis jetzt noch nicht zu einem Entscheidnngskampf um seine Existenz gekommen ist, liegt allein an den verwickelten Konstellationen der allgemeinen europäischen Politik. Es kann ans dieser höchst unconstitutionellen Lage, deren Natur durch alle konstitutionellen Formen nicht überwunden wird, nur dadurch herausgerissen werden, daß es seinen natürlichen Boden gewinnt. Friedliche Eroberung Deutschlands, oder allmäliges Aussterben ans der Reihe der souverainen Mächte, das ist das in seinem Wesen mit Nothwendigkeit vorgeschrie¬ bene Dilemma. Ich verkenne keineswegs die Berechtigung des Standpunktes, welchem die Erwerbnisse der Freiheit höher stehen, als eine sichere Grundlage der. Sou¬ verainetät und der Macht, der sich für Großdeutschland, für Kleiudeutschland oder anch für das alte Bnndesverhältniß erklärt, je nachdem das Eine oder das Grenzvoten. II. 1SSI. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/77>, abgerufen am 27.07.2024.