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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Sollst Dein Herz zum Lohn uns geben,
Sollst uns opfern Deine Liebe!
Braut des Rheines sollst Du werden,
Braut des Rheins im Fclsenschlvß!

Leonore.

Es sei! Es sei!
Wie ich den Schleier hier zerreiße,
So sei zerrissen meine Liebe!
Flattre se- hin in den Lüften!
Dem Wind, dem Sturme vermach' ich sie. u. s. f.

Der Chor gelobt mit Wiederholung dieser Worte die von ihm geforderte Rache
und ruft am Schlüsse des Finale den Genossen zu:


Heil der mächtigen Sterblichen!
Heil der Schönheitsverderblichen!
Rache, Rache geloben wir Dir!

Es ist schwer, nach einmaligem Hören über die Musik und die dramatische Wir¬
kung des Finale ein entscheidendes Urtheil zu geben, wenigstens darf der Eindruck
aus dem Concertsaale kein durchaus maßgebender sein. Hier, wo die Scenerie
gänzlich vermißt wurde, wo das Wogen und Treiben der entfesselten Geister dem
Auge unsichtbar war, wo die einzige That der ganzen langen Verhandlung, das
Zerreißen des Schleiers, die auch blos symbolischer Natur ist, nur dem innern
Gefühle überlassen bleiben mußte, konnte der Eindruck kein überzeugender sein.
Von großer Wirkung ist trotzdem der Moment des Zerreißens des Schleiers und
die ihm vorausgehenden Worte, welche den Preis für die zu leistende Rache der
Leonore bestimmen. Weniger wirksam sind die Einzelgesänge der Heldin, es man¬
gelt den Melodien die Wahrheit und die Behendigkeit der dramatischen Musik,
der Anschluß der Chöre allein gibt ihnen immer erst die richtige Haltung. Men¬
delssohns Muse erscheint bei aller ihrer Feinheit doch zu schwerfällig für die
Oper; er hat sich, so weit es ihm gelingen konnte, von dem ernsten Stile der
Kammermusik und des Oratoriums losgerissen, doch sieht man jeden Augenblick,
daß er gegen seine Natur kämpfen mußte. Die Haltung der Musik im Allge¬
meinen ist sehr düster, und wenn das auch das Kolorit der Situation verlangte,
so ist es doch in dem Anfangschore zu weit getrieben.

In demselben Concerte, wo uns dieses nachgelassene Werk Mendelssohns vor¬
geführt wurde, hörten wir noch die neunte Sinfonie mit Chören von Beethoven.
Die Ausführung von Seiten des Orchesters war vielleicht die gelungenste, welche
wir seit Jahren hier erlebt haben. Der Dirigent hatte mit den wenigen Proben,
die ihm zu halten vergönnt waren, fast das Unglaubliche geleistet; eine Menge
von großartigen Effectstellen traten glänzender.hervor, als wir es uns je> zu er¬
innern vermögen; so jene Stelle im ersten Satze, wo nach der Durchführung das
erste Thema in der Vergrößerung auftritt. Der Orgelpunkt der Pauke wirbelte
dazu, wie die Pauke des ewigen Gerichtes; ein heiliger Schauer durchrieselte das


Sollst Dein Herz zum Lohn uns geben,
Sollst uns opfern Deine Liebe!
Braut des Rheines sollst Du werden,
Braut des Rheins im Fclsenschlvß!

Leonore.

Es sei! Es sei!
Wie ich den Schleier hier zerreiße,
So sei zerrissen meine Liebe!
Flattre se- hin in den Lüften!
Dem Wind, dem Sturme vermach' ich sie. u. s. f.

Der Chor gelobt mit Wiederholung dieser Worte die von ihm geforderte Rache
und ruft am Schlüsse des Finale den Genossen zu:


Heil der mächtigen Sterblichen!
Heil der Schönheitsverderblichen!
Rache, Rache geloben wir Dir!

Es ist schwer, nach einmaligem Hören über die Musik und die dramatische Wir¬
kung des Finale ein entscheidendes Urtheil zu geben, wenigstens darf der Eindruck
aus dem Concertsaale kein durchaus maßgebender sein. Hier, wo die Scenerie
gänzlich vermißt wurde, wo das Wogen und Treiben der entfesselten Geister dem
Auge unsichtbar war, wo die einzige That der ganzen langen Verhandlung, das
Zerreißen des Schleiers, die auch blos symbolischer Natur ist, nur dem innern
Gefühle überlassen bleiben mußte, konnte der Eindruck kein überzeugender sein.
Von großer Wirkung ist trotzdem der Moment des Zerreißens des Schleiers und
die ihm vorausgehenden Worte, welche den Preis für die zu leistende Rache der
Leonore bestimmen. Weniger wirksam sind die Einzelgesänge der Heldin, es man¬
gelt den Melodien die Wahrheit und die Behendigkeit der dramatischen Musik,
der Anschluß der Chöre allein gibt ihnen immer erst die richtige Haltung. Men¬
delssohns Muse erscheint bei aller ihrer Feinheit doch zu schwerfällig für die
Oper; er hat sich, so weit es ihm gelingen konnte, von dem ernsten Stile der
Kammermusik und des Oratoriums losgerissen, doch sieht man jeden Augenblick,
daß er gegen seine Natur kämpfen mußte. Die Haltung der Musik im Allge¬
meinen ist sehr düster, und wenn das auch das Kolorit der Situation verlangte,
so ist es doch in dem Anfangschore zu weit getrieben.

In demselben Concerte, wo uns dieses nachgelassene Werk Mendelssohns vor¬
geführt wurde, hörten wir noch die neunte Sinfonie mit Chören von Beethoven.
Die Ausführung von Seiten des Orchesters war vielleicht die gelungenste, welche
wir seit Jahren hier erlebt haben. Der Dirigent hatte mit den wenigen Proben,
die ihm zu halten vergönnt waren, fast das Unglaubliche geleistet; eine Menge
von großartigen Effectstellen traten glänzender.hervor, als wir es uns je> zu er¬
innern vermögen; so jene Stelle im ersten Satze, wo nach der Durchführung das
erste Thema in der Vergrößerung auftritt. Der Orgelpunkt der Pauke wirbelte
dazu, wie die Pauke des ewigen Gerichtes; ein heiliger Schauer durchrieselte das


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[0072] Sollst Dein Herz zum Lohn uns geben, Sollst uns opfern Deine Liebe! Braut des Rheines sollst Du werden, Braut des Rheins im Fclsenschlvß! Leonore. Es sei! Es sei! Wie ich den Schleier hier zerreiße, So sei zerrissen meine Liebe! Flattre se- hin in den Lüften! Dem Wind, dem Sturme vermach' ich sie. u. s. f. Der Chor gelobt mit Wiederholung dieser Worte die von ihm geforderte Rache und ruft am Schlüsse des Finale den Genossen zu: Heil der mächtigen Sterblichen! Heil der Schönheitsverderblichen! Rache, Rache geloben wir Dir! Es ist schwer, nach einmaligem Hören über die Musik und die dramatische Wir¬ kung des Finale ein entscheidendes Urtheil zu geben, wenigstens darf der Eindruck aus dem Concertsaale kein durchaus maßgebender sein. Hier, wo die Scenerie gänzlich vermißt wurde, wo das Wogen und Treiben der entfesselten Geister dem Auge unsichtbar war, wo die einzige That der ganzen langen Verhandlung, das Zerreißen des Schleiers, die auch blos symbolischer Natur ist, nur dem innern Gefühle überlassen bleiben mußte, konnte der Eindruck kein überzeugender sein. Von großer Wirkung ist trotzdem der Moment des Zerreißens des Schleiers und die ihm vorausgehenden Worte, welche den Preis für die zu leistende Rache der Leonore bestimmen. Weniger wirksam sind die Einzelgesänge der Heldin, es man¬ gelt den Melodien die Wahrheit und die Behendigkeit der dramatischen Musik, der Anschluß der Chöre allein gibt ihnen immer erst die richtige Haltung. Men¬ delssohns Muse erscheint bei aller ihrer Feinheit doch zu schwerfällig für die Oper; er hat sich, so weit es ihm gelingen konnte, von dem ernsten Stile der Kammermusik und des Oratoriums losgerissen, doch sieht man jeden Augenblick, daß er gegen seine Natur kämpfen mußte. Die Haltung der Musik im Allge¬ meinen ist sehr düster, und wenn das auch das Kolorit der Situation verlangte, so ist es doch in dem Anfangschore zu weit getrieben. In demselben Concerte, wo uns dieses nachgelassene Werk Mendelssohns vor¬ geführt wurde, hörten wir noch die neunte Sinfonie mit Chören von Beethoven. Die Ausführung von Seiten des Orchesters war vielleicht die gelungenste, welche wir seit Jahren hier erlebt haben. Der Dirigent hatte mit den wenigen Proben, die ihm zu halten vergönnt waren, fast das Unglaubliche geleistet; eine Menge von großartigen Effectstellen traten glänzender.hervor, als wir es uns je> zu er¬ innern vermögen; so jene Stelle im ersten Satze, wo nach der Durchführung das erste Thema in der Vergrößerung auftritt. Der Orgelpunkt der Pauke wirbelte dazu, wie die Pauke des ewigen Gerichtes; ein heiliger Schauer durchrieselte das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/72>, abgerufen am 01.09.2024.