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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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A, F. Riccius übernommen. Folgende Orchesterwerke wurden in diesen Con¬
certen aufgeführt: drei Sinfonien von Beethoven, ^,I)ur, Lvur, ?o.storal<z;
IZsvur von Haydn; cour von Franz Schubert; lZNoll von Emil Leon-
hard; Ovur von Heinrich Dorn; vvar von Rob. Schumann; Ouver¬
türen: Mozart, Zauberflöte; Mendelssohn, Sommernachtstraum; Edle-re,
Concertouverture (neu, Mscpt.); Weber, Enryanthe, Freischütz, Oberon; Schu¬
mann, Genoveva; Beethoven, Fidelio (Ur. 4, K vur); Cherubini, Wasser¬
träger; Hentschel, Concertouverture (neu, Mscpt.).

Auch hier begegnen wir einigen Neuigkeiten. Die Sinfonie von Heinrich
Dorn (coul), in Köln, Berlin und Magdeburg früher, in Leipzig jetzt das
erste Mal ausgeführt. Sie errang sich unter der Leitung des Komponisten einen
eben so reiche", als verdienten Beifall, und ohne Zweifel ist sie unter den
neuen Werken dieses Jahres das frischeste und gesundeste. In allen Sätzen leicht
faßliche und rythmisch belebte Motive, die anch in der kunstvollsten Behandlung
uicht ihren Glanz verlieren. Eine Periode entwickelt sich aus der andern einfach
und natürlich, und so gestaltet sich ein Zusammenhang im größern Satze, der
eben so leicht begreiflich, wie wahr ist. Will man an dem Ganzen des Werkes
eine Ausstellung machen, so dürfte es die sein, daß die vier Sätze in ihrer Aus¬
drucksweise nicht ein und derselben Kunstepoche angehören. Das Andante sührt
uns in seiner Weise in die classische Zeit zurück, während die übrigen Sätze, be¬
sonders des Scherzo und der letzte Satz von der Romantik angehaucht sind.
Eine interessante Episode findet sich in dem Andante: der Komponist hat nämlich
den Anfang des ersten Motivs zu einer Solocadenz für Streichquartett benutzt.
Die contrapunktische Durchführung des Thema's steigert sich von Takt zu Takt;
bald springt das Motiv in dieser, bald in jener Stimme hervor; oft liegt es auf
einem getrillerten Orgelpunkte in diesem oder jenem Instrumente, oft gibt es
Gelegenheit zu den interessantesten harmonischen Combinationen. Am Schluß
steigert sich die Cadenz zu vierstimmigen Arpeggien und erstirbt dann endlich mit
Andeutungen des kommenden Tutti. Die Cadenz ist eine sehr geistreiche Arbeit,
sie leidet nur an dem einzigen Fehler der Länge, welche um so empfindlicher hervor¬
tritt, als eines Theils der Zuhörer, durch den vorhergehenden Mittelsalz in Roll
ermüdet, nicht genügende Aufmerksamkeit besitzt, den kunstreichen Verschlingungen
der Cadenz zu folgen, andern Theils einige Wiederholungen den Effect etwas ab¬
schwächen. Der letzte Satz, ein lebhaftes Gemälde mit pastoralen Anstrich, weiß
die Lebensgeister wieder zu erfrischen und führt das ganze Werk zu einem ge-.
deihlichen Ende.

Estere's Ouvertüre (0 Roll) errang weniger lebhaften Beifall. Sie ist lei¬
denschaftlichen finstern Charakters, und als Tongebilde zu Shakspeare's Romeo
und Julia gedacht. Dle Anknüpfungspunkte an den Dichter sind nur schwer zu
erkennen, wenigstens tritt nur einer deutlich hervor: der tragische Untergang des


A, F. Riccius übernommen. Folgende Orchesterwerke wurden in diesen Con¬
certen aufgeführt: drei Sinfonien von Beethoven, ^,I)ur, Lvur, ?o.storal<z;
IZsvur von Haydn; cour von Franz Schubert; lZNoll von Emil Leon-
hard; Ovur von Heinrich Dorn; vvar von Rob. Schumann; Ouver¬
türen: Mozart, Zauberflöte; Mendelssohn, Sommernachtstraum; Edle-re,
Concertouverture (neu, Mscpt.); Weber, Enryanthe, Freischütz, Oberon; Schu¬
mann, Genoveva; Beethoven, Fidelio (Ur. 4, K vur); Cherubini, Wasser¬
träger; Hentschel, Concertouverture (neu, Mscpt.).

Auch hier begegnen wir einigen Neuigkeiten. Die Sinfonie von Heinrich
Dorn (coul), in Köln, Berlin und Magdeburg früher, in Leipzig jetzt das
erste Mal ausgeführt. Sie errang sich unter der Leitung des Komponisten einen
eben so reiche», als verdienten Beifall, und ohne Zweifel ist sie unter den
neuen Werken dieses Jahres das frischeste und gesundeste. In allen Sätzen leicht
faßliche und rythmisch belebte Motive, die anch in der kunstvollsten Behandlung
uicht ihren Glanz verlieren. Eine Periode entwickelt sich aus der andern einfach
und natürlich, und so gestaltet sich ein Zusammenhang im größern Satze, der
eben so leicht begreiflich, wie wahr ist. Will man an dem Ganzen des Werkes
eine Ausstellung machen, so dürfte es die sein, daß die vier Sätze in ihrer Aus¬
drucksweise nicht ein und derselben Kunstepoche angehören. Das Andante sührt
uns in seiner Weise in die classische Zeit zurück, während die übrigen Sätze, be¬
sonders des Scherzo und der letzte Satz von der Romantik angehaucht sind.
Eine interessante Episode findet sich in dem Andante: der Komponist hat nämlich
den Anfang des ersten Motivs zu einer Solocadenz für Streichquartett benutzt.
Die contrapunktische Durchführung des Thema's steigert sich von Takt zu Takt;
bald springt das Motiv in dieser, bald in jener Stimme hervor; oft liegt es auf
einem getrillerten Orgelpunkte in diesem oder jenem Instrumente, oft gibt es
Gelegenheit zu den interessantesten harmonischen Combinationen. Am Schluß
steigert sich die Cadenz zu vierstimmigen Arpeggien und erstirbt dann endlich mit
Andeutungen des kommenden Tutti. Die Cadenz ist eine sehr geistreiche Arbeit,
sie leidet nur an dem einzigen Fehler der Länge, welche um so empfindlicher hervor¬
tritt, als eines Theils der Zuhörer, durch den vorhergehenden Mittelsalz in Roll
ermüdet, nicht genügende Aufmerksamkeit besitzt, den kunstreichen Verschlingungen
der Cadenz zu folgen, andern Theils einige Wiederholungen den Effect etwas ab¬
schwächen. Der letzte Satz, ein lebhaftes Gemälde mit pastoralen Anstrich, weiß
die Lebensgeister wieder zu erfrischen und führt das ganze Werk zu einem ge-.
deihlichen Ende.

Estere's Ouvertüre (0 Roll) errang weniger lebhaften Beifall. Sie ist lei¬
denschaftlichen finstern Charakters, und als Tongebilde zu Shakspeare's Romeo
und Julia gedacht. Dle Anknüpfungspunkte an den Dichter sind nur schwer zu
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/70>, abgerufen am 27.07.2024.