Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.wird sich ergeben, daß Walter Scott zur Reformation der europäischen Poesie Walter Scott fällt in diejenige Periode, in welcher sich eine allgemeine Em¬ Der berechtigte Inhalt der Romantik läßt sich auf Folgendes zurückführen. wird sich ergeben, daß Walter Scott zur Reformation der europäischen Poesie Walter Scott fällt in diejenige Periode, in welcher sich eine allgemeine Em¬ Der berechtigte Inhalt der Romantik läßt sich auf Folgendes zurückführen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91247"/> <p xml:id="ID_130" prev="#ID_129"> wird sich ergeben, daß Walter Scott zur Reformation der europäischen Poesie<lb/> mehr beigetragen hat, als irgend einer der Dichter des neunzehnten Jahrhunderts,<lb/> mit deren äußerem Glanz und Schimmer er nicht wetteifern kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_131"> Walter Scott fällt in diejenige Periode, in welcher sich eine allgemeine Em¬<lb/> pörung gegen den Geist des achtzehnten Jahrhunderts erhob, gegen die Aufklärung<lb/> und die Lehren derselben über Weltbürgerthum, Humanität und Vermmftglcmbeiu<lb/> Ich habe häufig Gelegenheit gehabt, gegen das Bedenkliche, Unklare und Un¬<lb/> gesunde dieser Richtung zu polemisircn; ich darf aber auch uicht verkennen,<lb/> daß in derselben ebenso ein positiver und berechtigter Inhalt enthalten war. Kein<lb/> Dichter ist geeigneter, dieses Positive der Romantik zu repräsentiren, als Walter<lb/> Scott. Was die deutsche Romantik in der Poesie Positives und Volksthümliches<lb/> geleistet hat, kommt zuletzt auf Uhland's Balladen und aus die Lieder der Freiheits¬<lb/> dichter heraus. Die ersten verlieren sich in sentimental - epigrammatische Pointen,<lb/> die andern bleiben im subjectiven Pathos, und doch sind sie noch das Einzige,<lb/> was sich ans diesem Gewühl himmelanstrebender Tendenzen gerettet hat. Die<lb/> Elfenmärchen und Hexengeschichten, der Zauberring und die Teuselselixire, die<lb/> Phantastik und Mystik, der modernisirte Katholicismus und die Christianisirung<lb/> der Kunst sind gleichmäßig in Vergessenheit gerathen. Der Grund dieses Unter¬<lb/> schieds liegt nicht allein in dem größern oder geringern Talent der Dichter, son¬<lb/> dern in dem praktischen Verhalten der Engländer und dem abstracten Literaten-<lb/> tenthum der Deutschen.</p><lb/> <p xml:id="ID_132" next="#ID_133"> Der berechtigte Inhalt der Romantik läßt sich auf Folgendes zurückführen.<lb/> Die Einseitigkeit im Princip der französischen Aufklärung, welche von den deut¬<lb/> schen Dichtern und Kritikern des achtzehnten Jahrhunderts nur im Gebiet der<lb/> schönen Literatur und der Pnvatsittlichkeit angefochten war, trat zum ersten Mal<lb/> mit einer imposanten Anschaulichkeit in der französischen Revolution ans Licht.<lb/> Zwar waren es zunächst mir die handgreiflichen Greuelthaten der Schreckens¬<lb/> männer, welche die gedankenlose Menge an den Ideen der Humanität, deren<lb/> Panier die Revolution aufgesteckt hatte, irre machten, aber sehr bald mußte die<lb/> Reflexion weiter gehen, und auch in den ersten glänzenden Thaten der Freiheit<lb/> jenen Mangel entdecken, der in dem Princip selbst lag» Die inhumane Durch¬<lb/> führung-des Princips der Humanität hatte darin seinen Grund, daß es sich in<lb/> einer bloß negativen Richtung verstockt hatte, und daß die scheinbar positiven<lb/> Gedanken, die es aus sich entwickelte, nichts Andres waren, als verstärkte Nega¬<lb/> tionen. So enthielt die Idee der Volkssouverainetät nichts weiter, als die Leug¬<lb/> nung des Königthums von Gottes Gnaden; ins Positive übersetzt, führte es<lb/> entweder zur Massenherrschast, d. h. zur Anarchie, — am allerwenigsten zur An¬<lb/> erkennung des wirklichen concreten Volks, das von dein Schemen des eingebildeten<lb/> souverainen Volks, wie es sich Rousseau dachte, himmelweit verschieden war; —<lb/> oder zu einer blos mechanischen Auffassung von dem Wesen und der Einrichtung</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
wird sich ergeben, daß Walter Scott zur Reformation der europäischen Poesie
mehr beigetragen hat, als irgend einer der Dichter des neunzehnten Jahrhunderts,
mit deren äußerem Glanz und Schimmer er nicht wetteifern kann.
Walter Scott fällt in diejenige Periode, in welcher sich eine allgemeine Em¬
pörung gegen den Geist des achtzehnten Jahrhunderts erhob, gegen die Aufklärung
und die Lehren derselben über Weltbürgerthum, Humanität und Vermmftglcmbeiu
Ich habe häufig Gelegenheit gehabt, gegen das Bedenkliche, Unklare und Un¬
gesunde dieser Richtung zu polemisircn; ich darf aber auch uicht verkennen,
daß in derselben ebenso ein positiver und berechtigter Inhalt enthalten war. Kein
Dichter ist geeigneter, dieses Positive der Romantik zu repräsentiren, als Walter
Scott. Was die deutsche Romantik in der Poesie Positives und Volksthümliches
geleistet hat, kommt zuletzt auf Uhland's Balladen und aus die Lieder der Freiheits¬
dichter heraus. Die ersten verlieren sich in sentimental - epigrammatische Pointen,
die andern bleiben im subjectiven Pathos, und doch sind sie noch das Einzige,
was sich ans diesem Gewühl himmelanstrebender Tendenzen gerettet hat. Die
Elfenmärchen und Hexengeschichten, der Zauberring und die Teuselselixire, die
Phantastik und Mystik, der modernisirte Katholicismus und die Christianisirung
der Kunst sind gleichmäßig in Vergessenheit gerathen. Der Grund dieses Unter¬
schieds liegt nicht allein in dem größern oder geringern Talent der Dichter, son¬
dern in dem praktischen Verhalten der Engländer und dem abstracten Literaten-
tenthum der Deutschen.
Der berechtigte Inhalt der Romantik läßt sich auf Folgendes zurückführen.
Die Einseitigkeit im Princip der französischen Aufklärung, welche von den deut¬
schen Dichtern und Kritikern des achtzehnten Jahrhunderts nur im Gebiet der
schönen Literatur und der Pnvatsittlichkeit angefochten war, trat zum ersten Mal
mit einer imposanten Anschaulichkeit in der französischen Revolution ans Licht.
Zwar waren es zunächst mir die handgreiflichen Greuelthaten der Schreckens¬
männer, welche die gedankenlose Menge an den Ideen der Humanität, deren
Panier die Revolution aufgesteckt hatte, irre machten, aber sehr bald mußte die
Reflexion weiter gehen, und auch in den ersten glänzenden Thaten der Freiheit
jenen Mangel entdecken, der in dem Princip selbst lag» Die inhumane Durch¬
führung-des Princips der Humanität hatte darin seinen Grund, daß es sich in
einer bloß negativen Richtung verstockt hatte, und daß die scheinbar positiven
Gedanken, die es aus sich entwickelte, nichts Andres waren, als verstärkte Nega¬
tionen. So enthielt die Idee der Volkssouverainetät nichts weiter, als die Leug¬
nung des Königthums von Gottes Gnaden; ins Positive übersetzt, führte es
entweder zur Massenherrschast, d. h. zur Anarchie, — am allerwenigsten zur An¬
erkennung des wirklichen concreten Volks, das von dein Schemen des eingebildeten
souverainen Volks, wie es sich Rousseau dachte, himmelweit verschieden war; —
oder zu einer blos mechanischen Auffassung von dem Wesen und der Einrichtung
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |