Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.fast schrien Priester und Volk aus: das Blut fließt. Jubelnd fing die Musik an, Werner blieb bis zur Mitte des Jahres 1813 in Rom in dem täglich grell¬ fast schrien Priester und Volk aus: das Blut fließt. Jubelnd fing die Musik an, Werner blieb bis zur Mitte des Jahres 1813 in Rom in dem täglich grell¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91708"/> <p xml:id="ID_1385" prev="#ID_1384"> fast schrien Priester und Volk aus: das Blut fließt. Jubelnd fing die Musik an,<lb/> Alles jauchzte vor Freude, und ich, ich war außer mir vor Entzücken, denn mir<lb/> war es gewiß ein Wunder; ich küßte Schlosser heimlich.... Ich werde diesen<lb/> Moment des Wunders, womit Gott mich begnadigte, nie vergessen. Der Priester<lb/> zeigte uns die Phiole ganz nahe, die wir küßten ..... Schlosser glaubt dem un¬<lb/> geachtet, es sei plumper Trug. Dem sei wie ihm wolle; es floß, als ich gebetet<lb/> hatte, mir zum Trost, mir war es Wunder, und ewig unvergeßlich sei dieser Tag.<lb/> Hallelujah!"--Werners Freunde haben ein großes Wesen davon gemacht,<lb/> daß seine Apostasie nicht durch Geldgewinn bedingt sei. Ich glaube das gern, aber<lb/> ich frage jeden Unbefangenen, ob diese freiwillige Verdummung, diese Selbstbefleckung<lb/> seines Geistes nicht ein viel scheußlicheres Zeichen eines verwahrloste» Gemüths<lb/> ist. Wir sind in Deutschland gegen dergleichen Erscheinungen immer viel zu<lb/> tolerant gewesen; ich erinnere nur an die Geisterseherei des Her,rü Justinus<lb/> Keruer, mit der die gebildetsten Leute coquettirt haben. Das Uebel liegt<lb/> tiefer, als daß wir es auf einen einzelnen Schritt beschränken dürften: es ist<lb/> dieser Hochmuth eiuer eitlen, trägen und ungesunden Subjectivität, sich den<lb/> Idealen des Lebens ohne Vermittelung der sittlichen und logischen Gesetze nähern<lb/> zu wollen, jener Faustische freche Uebermuth, der noch immer an den Herzen un¬<lb/> srer Jugend nagt, und der schließlich stets entweder zur vollständigsten Frivolität<lb/> oder zum kläglichsten Obscurantismus führt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1386" next="#ID_1387"> Werner blieb bis zur Mitte des Jahres 1813 in Rom in dem täglich grell¬<lb/> sten Wechsel von Andacht und Frivolität, Beten und Schwelgen, in Kirchen,<lb/> Theater und Bordellen, in den strengsten geistlichen und üppigsten weltlichen Uebun¬<lb/> gen, in den höchsten Kunst- und niedrigsten Sinnengenüssen, in dem edelsten Um¬<lb/> gang mit ausgezeichneten Männern und Frauen und dem gemeinsten mit Rvuvs<lb/> und Freudenmädchen. Er schloß seinen Aufenthalt in Italien mit einer Wallfahrt<lb/> nach Loretto, kehrte dann nach Dentschland zurück, ließ sich zum Priester weihen,<lb/> und trat in Wien während des Kongresses zum ersten Mal als öffentlicher Predi¬<lb/> ger aus. Durch seine Persönlichkeit, eine lange hagere Figur mit einer ebenfalls<lb/> langen und magern, aber durch eine mächtig große Nase und ein Paar feurige<lb/> dunkelbraune Augen mit sehr starken Brauen auffallenden Gesichtsbildung; dnrch<lb/> eine Mischung von Witz und Mystik, hyperpvetischem Schwulst und gemeinster<lb/> Obscönität, durch sein theatralisches Pathos und das Gepolter einer kräftigen<lb/> Baßstimme imponirte er sowol dem Pöbel, wie den sogenannten Gebildeten.<lb/> Varnhagen hat in seinen Denkwürdigkeiten über die Art seines Predigens einige<lb/> Notizen gegeben, von denen ich hier die eine anführe, trotz ihrer Unfläthigkeit,<lb/> weil sie charakteristisch ist. Werner hatte lange Zeit gegen ein Glied des mensch¬<lb/> lichen Körpers gedonnert, von welchem die meisten Sünden und Krankheiten der<lb/> Menschen herkommen sollten. Plötzlich rief er zum allgemeinen Entsetzen des<lb/> Publicums: „Soll ich das Glied etwa nennen, soll ich es zeigen?" Dann</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0515]
fast schrien Priester und Volk aus: das Blut fließt. Jubelnd fing die Musik an,
Alles jauchzte vor Freude, und ich, ich war außer mir vor Entzücken, denn mir
war es gewiß ein Wunder; ich küßte Schlosser heimlich.... Ich werde diesen
Moment des Wunders, womit Gott mich begnadigte, nie vergessen. Der Priester
zeigte uns die Phiole ganz nahe, die wir küßten ..... Schlosser glaubt dem un¬
geachtet, es sei plumper Trug. Dem sei wie ihm wolle; es floß, als ich gebetet
hatte, mir zum Trost, mir war es Wunder, und ewig unvergeßlich sei dieser Tag.
Hallelujah!"--Werners Freunde haben ein großes Wesen davon gemacht,
daß seine Apostasie nicht durch Geldgewinn bedingt sei. Ich glaube das gern, aber
ich frage jeden Unbefangenen, ob diese freiwillige Verdummung, diese Selbstbefleckung
seines Geistes nicht ein viel scheußlicheres Zeichen eines verwahrloste» Gemüths
ist. Wir sind in Deutschland gegen dergleichen Erscheinungen immer viel zu
tolerant gewesen; ich erinnere nur an die Geisterseherei des Her,rü Justinus
Keruer, mit der die gebildetsten Leute coquettirt haben. Das Uebel liegt
tiefer, als daß wir es auf einen einzelnen Schritt beschränken dürften: es ist
dieser Hochmuth eiuer eitlen, trägen und ungesunden Subjectivität, sich den
Idealen des Lebens ohne Vermittelung der sittlichen und logischen Gesetze nähern
zu wollen, jener Faustische freche Uebermuth, der noch immer an den Herzen un¬
srer Jugend nagt, und der schließlich stets entweder zur vollständigsten Frivolität
oder zum kläglichsten Obscurantismus führt.
Werner blieb bis zur Mitte des Jahres 1813 in Rom in dem täglich grell¬
sten Wechsel von Andacht und Frivolität, Beten und Schwelgen, in Kirchen,
Theater und Bordellen, in den strengsten geistlichen und üppigsten weltlichen Uebun¬
gen, in den höchsten Kunst- und niedrigsten Sinnengenüssen, in dem edelsten Um¬
gang mit ausgezeichneten Männern und Frauen und dem gemeinsten mit Rvuvs
und Freudenmädchen. Er schloß seinen Aufenthalt in Italien mit einer Wallfahrt
nach Loretto, kehrte dann nach Dentschland zurück, ließ sich zum Priester weihen,
und trat in Wien während des Kongresses zum ersten Mal als öffentlicher Predi¬
ger aus. Durch seine Persönlichkeit, eine lange hagere Figur mit einer ebenfalls
langen und magern, aber durch eine mächtig große Nase und ein Paar feurige
dunkelbraune Augen mit sehr starken Brauen auffallenden Gesichtsbildung; dnrch
eine Mischung von Witz und Mystik, hyperpvetischem Schwulst und gemeinster
Obscönität, durch sein theatralisches Pathos und das Gepolter einer kräftigen
Baßstimme imponirte er sowol dem Pöbel, wie den sogenannten Gebildeten.
Varnhagen hat in seinen Denkwürdigkeiten über die Art seines Predigens einige
Notizen gegeben, von denen ich hier die eine anführe, trotz ihrer Unfläthigkeit,
weil sie charakteristisch ist. Werner hatte lange Zeit gegen ein Glied des mensch¬
lichen Körpers gedonnert, von welchem die meisten Sünden und Krankheiten der
Menschen herkommen sollten. Plötzlich rief er zum allgemeinen Entsetzen des
Publicums: „Soll ich das Glied etwa nennen, soll ich es zeigen?" Dann
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