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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Thränen auf Wittwen-, Waisen- und Männerwangen herabgestossen; der von Aeolus-
Warrens losgelassene Mitternachtswind hat nur Federn ans ihrem Belagernngs-
schlmmner aufgestört, die nicht Kraft genug hatten, sich an eine hohe Staatsuniform
zu hängen und von WarrenS Bedienten mit der Bürste der Verachtung weggefegt
wurden. Mr. WarrenS ist ein kluges Haus. Als Organ des Handelsministers
hat er in den Säckelmeistern der Nationalbank den gemüthlichen Finanzminister
gewaschen; diese Prototype der Gutgesinntheit schrien Zeter über den Verräther
an den heiligsten Interessen des conservativen Princips, und der Weheschrei Israels
wurde wie stets in den höchsten Regionen in Gnaden vernommen. Herr Warrens
sah, daß er schlechtes Holz anf's Feuer gelegt, griff daher zur Nauchpfanne der
Reaction, legte das Opferthier von Olmütz darauf, und "es stieg auf zum an¬
genehmen Geruch sür den Herrn".

Heutzutage sind die Cvnstimtivnsgläubige" bei uns seltener geworden als die
weißen Raben, und unsere Gutgesinnten reiten nnn ein anderes Steckenpferd,
"materieller Wohlstand" mit Namen; und wahrlich, wer in unseren Blättern die
"bereits in Angriff genommenen" oder """widerruflich beschlossenen" Eisenbahn¬
bauten von Pesth nach Kroatien, Siebenbürgen, Kaffa", Galizien, Temeswar,
Grvßkanisa, Fünfkirchen ". f. w. liest, sollte wirklich glauben, daß man uns unsere
Geschichte und politische Geltung durch ein Sonntagshuhn in jeder Bauernhütte
vergesse" machen, und daß unser junger Monarch das schöne Ungarn in ein Pa¬
radies umwandeln will, um darin unumschränkt, aber auch gnädig wie ein Gott
zu regieren. Nur ein Umstand scheint bei der Sache vergessen zu sein, daß nämlich
Ungarn bei Fortsetzung des jetzigen Systems in einigen Jahren ganz entvölkert
sein und vielleicht mir einige Hundert verhungerte Bravos und eben so viele gäh¬
nende Gensd'armen beherbergen wird. Der Polizeistaat wird zwar dann seinen
höchsten Punkt erreicht haben, aber mit dem "entschiedenen Auftreten in Deutsch¬
land" und der "Verbreitung der Civilisation im Osten" dürfte es deun doch seine
Schwierigkeiten haben.

Ich hatte unlängst bei einem kleinen Ausflug in die Gegend Gelegenheit,
mich mit deutschen wohlhabenden und von revolutionären Schwärmereien weit
entfernten Landbauern zu bespreche", und ich habe fast allgemein die Aeußerung
vernehmen müssen, daß es nun in dem schönen Ungarn nicht mehr zu leben sei.
Man hat sich unmittelbar nach dem Tage von Vilagos in den höhern Regionen
viel mit der Colonisirung Ungarns beschäftigt, scheint aber in neuerer Zeit davon
abgekommen zu sein; nur eimgeHpcculative Köpfe befassen sich noch jetzt mit dieser
Idee, sie werden aber von unserer Regierung desavouirt und würden jedenfalls
bessere Geschäfte machen, wenn sie ein Answanderungsbnreau sür Ungarn errichteten.

Während des letzten Kampfes waren wir noch so glücklich, kein Proletariat
zy haben, so daß in unseren größern Städten und in jenen Theilen des Vater¬
landes, die bei einer mehr gleichmäßige" Bevölkerung von der Naserei des Racen-


Thränen auf Wittwen-, Waisen- und Männerwangen herabgestossen; der von Aeolus-
Warrens losgelassene Mitternachtswind hat nur Federn ans ihrem Belagernngs-
schlmmner aufgestört, die nicht Kraft genug hatten, sich an eine hohe Staatsuniform
zu hängen und von WarrenS Bedienten mit der Bürste der Verachtung weggefegt
wurden. Mr. WarrenS ist ein kluges Haus. Als Organ des Handelsministers
hat er in den Säckelmeistern der Nationalbank den gemüthlichen Finanzminister
gewaschen; diese Prototype der Gutgesinntheit schrien Zeter über den Verräther
an den heiligsten Interessen des conservativen Princips, und der Weheschrei Israels
wurde wie stets in den höchsten Regionen in Gnaden vernommen. Herr Warrens
sah, daß er schlechtes Holz anf's Feuer gelegt, griff daher zur Nauchpfanne der
Reaction, legte das Opferthier von Olmütz darauf, und „es stieg auf zum an¬
genehmen Geruch sür den Herrn".

Heutzutage sind die Cvnstimtivnsgläubige» bei uns seltener geworden als die
weißen Raben, und unsere Gutgesinnten reiten nnn ein anderes Steckenpferd,
„materieller Wohlstand" mit Namen; und wahrlich, wer in unseren Blättern die
„bereits in Angriff genommenen" oder „»»widerruflich beschlossenen" Eisenbahn¬
bauten von Pesth nach Kroatien, Siebenbürgen, Kaffa», Galizien, Temeswar,
Grvßkanisa, Fünfkirchen ». f. w. liest, sollte wirklich glauben, daß man uns unsere
Geschichte und politische Geltung durch ein Sonntagshuhn in jeder Bauernhütte
vergesse» machen, und daß unser junger Monarch das schöne Ungarn in ein Pa¬
radies umwandeln will, um darin unumschränkt, aber auch gnädig wie ein Gott
zu regieren. Nur ein Umstand scheint bei der Sache vergessen zu sein, daß nämlich
Ungarn bei Fortsetzung des jetzigen Systems in einigen Jahren ganz entvölkert
sein und vielleicht mir einige Hundert verhungerte Bravos und eben so viele gäh¬
nende Gensd'armen beherbergen wird. Der Polizeistaat wird zwar dann seinen
höchsten Punkt erreicht haben, aber mit dem „entschiedenen Auftreten in Deutsch¬
land" und der „Verbreitung der Civilisation im Osten" dürfte es deun doch seine
Schwierigkeiten haben.

Ich hatte unlängst bei einem kleinen Ausflug in die Gegend Gelegenheit,
mich mit deutschen wohlhabenden und von revolutionären Schwärmereien weit
entfernten Landbauern zu bespreche», und ich habe fast allgemein die Aeußerung
vernehmen müssen, daß es nun in dem schönen Ungarn nicht mehr zu leben sei.
Man hat sich unmittelbar nach dem Tage von Vilagos in den höhern Regionen
viel mit der Colonisirung Ungarns beschäftigt, scheint aber in neuerer Zeit davon
abgekommen zu sein; nur eimgeHpcculative Köpfe befassen sich noch jetzt mit dieser
Idee, sie werden aber von unserer Regierung desavouirt und würden jedenfalls
bessere Geschäfte machen, wenn sie ein Answanderungsbnreau sür Ungarn errichteten.

Während des letzten Kampfes waren wir noch so glücklich, kein Proletariat
zy haben, so daß in unseren größern Städten und in jenen Theilen des Vater¬
landes, die bei einer mehr gleichmäßige» Bevölkerung von der Naserei des Racen-


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[0041] Thränen auf Wittwen-, Waisen- und Männerwangen herabgestossen; der von Aeolus- Warrens losgelassene Mitternachtswind hat nur Federn ans ihrem Belagernngs- schlmmner aufgestört, die nicht Kraft genug hatten, sich an eine hohe Staatsuniform zu hängen und von WarrenS Bedienten mit der Bürste der Verachtung weggefegt wurden. Mr. WarrenS ist ein kluges Haus. Als Organ des Handelsministers hat er in den Säckelmeistern der Nationalbank den gemüthlichen Finanzminister gewaschen; diese Prototype der Gutgesinntheit schrien Zeter über den Verräther an den heiligsten Interessen des conservativen Princips, und der Weheschrei Israels wurde wie stets in den höchsten Regionen in Gnaden vernommen. Herr Warrens sah, daß er schlechtes Holz anf's Feuer gelegt, griff daher zur Nauchpfanne der Reaction, legte das Opferthier von Olmütz darauf, und „es stieg auf zum an¬ genehmen Geruch sür den Herrn". Heutzutage sind die Cvnstimtivnsgläubige» bei uns seltener geworden als die weißen Raben, und unsere Gutgesinnten reiten nnn ein anderes Steckenpferd, „materieller Wohlstand" mit Namen; und wahrlich, wer in unseren Blättern die „bereits in Angriff genommenen" oder „»»widerruflich beschlossenen" Eisenbahn¬ bauten von Pesth nach Kroatien, Siebenbürgen, Kaffa», Galizien, Temeswar, Grvßkanisa, Fünfkirchen ». f. w. liest, sollte wirklich glauben, daß man uns unsere Geschichte und politische Geltung durch ein Sonntagshuhn in jeder Bauernhütte vergesse» machen, und daß unser junger Monarch das schöne Ungarn in ein Pa¬ radies umwandeln will, um darin unumschränkt, aber auch gnädig wie ein Gott zu regieren. Nur ein Umstand scheint bei der Sache vergessen zu sein, daß nämlich Ungarn bei Fortsetzung des jetzigen Systems in einigen Jahren ganz entvölkert sein und vielleicht mir einige Hundert verhungerte Bravos und eben so viele gäh¬ nende Gensd'armen beherbergen wird. Der Polizeistaat wird zwar dann seinen höchsten Punkt erreicht haben, aber mit dem „entschiedenen Auftreten in Deutsch¬ land" und der „Verbreitung der Civilisation im Osten" dürfte es deun doch seine Schwierigkeiten haben. Ich hatte unlängst bei einem kleinen Ausflug in die Gegend Gelegenheit, mich mit deutschen wohlhabenden und von revolutionären Schwärmereien weit entfernten Landbauern zu bespreche», und ich habe fast allgemein die Aeußerung vernehmen müssen, daß es nun in dem schönen Ungarn nicht mehr zu leben sei. Man hat sich unmittelbar nach dem Tage von Vilagos in den höhern Regionen viel mit der Colonisirung Ungarns beschäftigt, scheint aber in neuerer Zeit davon abgekommen zu sein; nur eimgeHpcculative Köpfe befassen sich noch jetzt mit dieser Idee, sie werden aber von unserer Regierung desavouirt und würden jedenfalls bessere Geschäfte machen, wenn sie ein Answanderungsbnreau sür Ungarn errichteten. Während des letzten Kampfes waren wir noch so glücklich, kein Proletariat zy haben, so daß in unseren größern Städten und in jenen Theilen des Vater¬ landes, die bei einer mehr gleichmäßige» Bevölkerung von der Naserei des Racen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/41>, abgerufen am 27.07.2024.