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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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ermordet zu habe". Wir haben diesen merkwürdigen Criminalfall bereits früher
in einem allgemeinen Umrisse erzählt, und sehen uns jetzt dnrch die Anklageacte
und die noch schwebenden Verhandlungen vor Gericht in Stand gesetzt, unsre
damaligen Mittheilungen mit einigen interessante" Einzelnheiten zu vervollständige".
Des Zusammenhanges wegen müssen wir den Thatbestand des Verbrechens kurz
wiederhole". Am AI. November ließ Graf Bvcarm" der Fran von Dndzeele,
der zukünftigen Schwiegermutter des Gustav Fougnies, melden, daß Letzterer, welcher
am Tage vorher auf dem Schlosse gespeist hatte, nach dem Essen am Schlagflusse
gestorben sei. Die am Tage darauf vorgenommene gerichtliche Besichtigung der
Leiche legte jedoch den Verdacht eines gewaltsamen Todes nahe. Das Gesicht
derselben war zerkratzt, und ans der Seite des Halses, in der Mundhöhle und im
Schlunde zeigte sich eine Corrosion, offenbar die Wirkung eines flüssigen Aetz-
mittels. Man vernahm die Dienerschaft, und erfuhr, daß sie während der Tisch¬
zeit und des Nachmittags am 20. November absichtlich fern gehalten worden.
Die Kannuerjungser, Emereutia Briconrr, war "ach dem Esse" zufällig in die
neben dem Speisesaal befindliche Küche Hinabgegange" und hatte hier deutlich Gustav
Fouguies An! An! Gnade, Hyppolit! schreien, und darauf Töne gehört, als ob
man Jemand erwürge. Unmittelbar darauf war die Gräfin aus dein Speisesaal getreten,
und hatte die Thür hinter sich zugemacht. Der Graf hatte an seiner linken
Hand eine Walde, an welcher man deutlich die Spur von zwei Zähnen bemerkte,
und über deren Entstehung der Graf keine genügende AuSümft geben konnte.
An Motive" zu dem Verbrechen fehlte es bei den Verdächtigen nicht. Die Gräfin
Bocarmv war die Tochter eines Apothekers, die ihrem Gatten ein nnr mäßiges Ver¬
mögen zugebracht hatte' Dafür hatte sie noch Aussicht, ihren Bruder, Gustav
Fouguies, zu beerbe", der kränklich war, und in Folge eines unglückliche" Sturzes
vom Pferde nur ein Bein hatte und aus Krücken ging. Die Erbschaft war um
so Wünschenswerther, als das Ehepaar, hauptsächlich durch die Liederlichkeit des
Grasen, das eigene Vermögen bald durchgebracht hatte. Sie waren tief verschuldet,
-- sie waren selbst Dienstboten und im Schlosse arbeitenden Tagelöhnern kleine
Summen wie 30, -13,-10 und 3 Fr. schuldig -- hatten allen Credit verloren, und
standen am Rande des Banqueroutes, als Gustav, dessen Hinterlassenschaft ihr zer¬
rüttetes Vermöge" wieder herstellen sollte, plötzlich auf den Gedanken kam sich
zu verheirathen, und so diese Hoffnung vernichtete. Das war Anfang November
vorigen Jahres; vergebens suchte" sie ihm abzureden; der Hochzeitstag wurde
festgesetzt, und am 20. Novbr. war Gustav Fougnies eine Leiche. Diese drin¬
genden Verdachtsgründe rechtfertigten vollkomne" die Einleitung einer Untersuchung
gegen das Ehepaar Bocarme. Wir haben bereits früher erzählt, wie durch
dieselbe der Verdacht zur moralischen Gewißheit wurde, wie es sich herausstellte,
daß Gustav Fougnies mit Nicotin, einem organischen Alkali, erzeugt aus Tabak,
vergiftet worden, wie der Graf die Bereitung dieses Giftes unter falschem Namen


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ermordet zu habe». Wir haben diesen merkwürdigen Criminalfall bereits früher
in einem allgemeinen Umrisse erzählt, und sehen uns jetzt dnrch die Anklageacte
und die noch schwebenden Verhandlungen vor Gericht in Stand gesetzt, unsre
damaligen Mittheilungen mit einigen interessante» Einzelnheiten zu vervollständige».
Des Zusammenhanges wegen müssen wir den Thatbestand des Verbrechens kurz
wiederhole». Am AI. November ließ Graf Bvcarm« der Fran von Dndzeele,
der zukünftigen Schwiegermutter des Gustav Fougnies, melden, daß Letzterer, welcher
am Tage vorher auf dem Schlosse gespeist hatte, nach dem Essen am Schlagflusse
gestorben sei. Die am Tage darauf vorgenommene gerichtliche Besichtigung der
Leiche legte jedoch den Verdacht eines gewaltsamen Todes nahe. Das Gesicht
derselben war zerkratzt, und ans der Seite des Halses, in der Mundhöhle und im
Schlunde zeigte sich eine Corrosion, offenbar die Wirkung eines flüssigen Aetz-
mittels. Man vernahm die Dienerschaft, und erfuhr, daß sie während der Tisch¬
zeit und des Nachmittags am 20. November absichtlich fern gehalten worden.
Die Kannuerjungser, Emereutia Briconrr, war »ach dem Esse» zufällig in die
neben dem Speisesaal befindliche Küche Hinabgegange» und hatte hier deutlich Gustav
Fouguies An! An! Gnade, Hyppolit! schreien, und darauf Töne gehört, als ob
man Jemand erwürge. Unmittelbar darauf war die Gräfin aus dein Speisesaal getreten,
und hatte die Thür hinter sich zugemacht. Der Graf hatte an seiner linken
Hand eine Walde, an welcher man deutlich die Spur von zwei Zähnen bemerkte,
und über deren Entstehung der Graf keine genügende AuSümft geben konnte.
An Motive» zu dem Verbrechen fehlte es bei den Verdächtigen nicht. Die Gräfin
Bocarmv war die Tochter eines Apothekers, die ihrem Gatten ein nnr mäßiges Ver¬
mögen zugebracht hatte' Dafür hatte sie noch Aussicht, ihren Bruder, Gustav
Fouguies, zu beerbe«, der kränklich war, und in Folge eines unglückliche» Sturzes
vom Pferde nur ein Bein hatte und aus Krücken ging. Die Erbschaft war um
so Wünschenswerther, als das Ehepaar, hauptsächlich durch die Liederlichkeit des
Grasen, das eigene Vermögen bald durchgebracht hatte. Sie waren tief verschuldet,
— sie waren selbst Dienstboten und im Schlosse arbeitenden Tagelöhnern kleine
Summen wie 30, -13,-10 und 3 Fr. schuldig — hatten allen Credit verloren, und
standen am Rande des Banqueroutes, als Gustav, dessen Hinterlassenschaft ihr zer¬
rüttetes Vermöge» wieder herstellen sollte, plötzlich auf den Gedanken kam sich
zu verheirathen, und so diese Hoffnung vernichtete. Das war Anfang November
vorigen Jahres; vergebens suchte» sie ihm abzureden; der Hochzeitstag wurde
festgesetzt, und am 20. Novbr. war Gustav Fougnies eine Leiche. Diese drin¬
genden Verdachtsgründe rechtfertigten vollkomne» die Einleitung einer Untersuchung
gegen das Ehepaar Bocarme. Wir haben bereits früher erzählt, wie durch
dieselbe der Verdacht zur moralischen Gewißheit wurde, wie es sich herausstellte,
daß Gustav Fougnies mit Nicotin, einem organischen Alkali, erzeugt aus Tabak,
vergiftet worden, wie der Graf die Bereitung dieses Giftes unter falschem Namen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/399>, abgerufen am 06.10.2024.