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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Niederlagen der preußischen Politik als die Folgen einer sehr raffinirten Be¬
rechnung zu preisen. Der Starke geht zurück.

Was deu Standpunkt dieser Brochüre betrifft, so ist er nicht der unsrige.
Wenn sie nicht wirklich von einem Anhänger der Radowitz'schen Politik ausgeht,
so hat der Verfasser diesen Standpunkt wenigstens sehr geschickt fingirt. Er hat
sehr glücklich nachgewiesen, daß Herr v. Manteuffel von den Anforderungen,
welche das Ministerium Nadowitz-Manteuffel an Oestreich stellte, in Olmütz
und in Dresden nnr die äußern Formen beibehalten hat, das Wesen aber in
das Gegentheil verkehrt, daß, was in jener Zeit ein Anspruch war, sich seht
unter veränderten Umständen in eine Concession verwandelt. Aber weniger
glücklich ist der Verfasser in seiner Rechtfertigung der frühern Politik. Die Hal¬
tung der Regierung im Anfang des vorigen Jahres war eben eine so unselige,
wie am Schluß desselben, und nach den Aufschlüssen, die uns die Brochüre über den
Kriegsminister gibt, und die uus auch von andern Seiten her reichlich zuströmen,
war das freilich verspätete Nachgeben eine gebieterische Nothwendigkeit, und die
Schwäche lag nur darin, daß man nicht den Muth hatte, es rücksichtslos zu thun.

Herr v. Radvwitz hat in der Zeit, als die Kaiserpartei sich bildete, das
Project einer dreifältigen Union entworfen, nach den drei verschiedenen Gruppen
des außeröstreichischen Deutschland, des deutschen Oestreich und des außer-
deutschen Oestreich. Man konnte damals Manches dafür anführen, da es mißlich
war, den deutschen Bund, deu Träger noch immer sehr wesentlicher Rechte und
Pflichten, ohne Weiteres aufzuheben; aber die Ausführung des Planes war nnr
denkbar, wenn alle deutsche Staaten damit freiwillig übereinstimmten. Seitdem
die preußische Union auf die Kleinstaaten eingeschränkt war, seitdem anch die
beiden Hessen abgefallen waren, enthielt die Forderung der freien Conferenzen
zwischen den Unionsstaaten und den in Frankfurt vertretjuen Staaten sowohl
eine Ueberschätzung als eine Benachtheiligung des preußischen Interesses. Das
Erste, denn hier standen nicht Gleiche den Gleichen gegenüber; das Zweite,'
denn die Bildung eiuer Union, die Hannover, Sachsen und die beiden Hessen
dem feindlichen Einfluß preis gab, war für Preußen eine Art Selbstmord.
Wollte man in der That die parlamentarische Union, so mußte man auf eiuen
Krieg gefaßt sein; aber dann hätte man sich vorher rüsten und die nöthigen
Bündnisse abschließen müssen. Wollte man aber- nnr Separatverträge mit den
^Kleinstaaten, um den Einfluß Preußens auf dieselben zu vergrößern, so durste
mau deshalb den Einfluß auf das übrige Deutschland, der viel wichtiger war,
nicht aufgeben. Man konnte gleichzeitig in Frankfurt in den allgemein deutschen
Angelegenheiten mitsprechen, ohne sich des Rechts der Separatverträge zu be¬
geben, das factisch ans die Länge ebensowenig verhindert werden konnte, als
der Zollverein. Aber man hatte sich damals ebensowenig klar gemacht, was mau
eigentlich wollte, als jetzt.


Niederlagen der preußischen Politik als die Folgen einer sehr raffinirten Be¬
rechnung zu preisen. Der Starke geht zurück.

Was deu Standpunkt dieser Brochüre betrifft, so ist er nicht der unsrige.
Wenn sie nicht wirklich von einem Anhänger der Radowitz'schen Politik ausgeht,
so hat der Verfasser diesen Standpunkt wenigstens sehr geschickt fingirt. Er hat
sehr glücklich nachgewiesen, daß Herr v. Manteuffel von den Anforderungen,
welche das Ministerium Nadowitz-Manteuffel an Oestreich stellte, in Olmütz
und in Dresden nnr die äußern Formen beibehalten hat, das Wesen aber in
das Gegentheil verkehrt, daß, was in jener Zeit ein Anspruch war, sich seht
unter veränderten Umständen in eine Concession verwandelt. Aber weniger
glücklich ist der Verfasser in seiner Rechtfertigung der frühern Politik. Die Hal¬
tung der Regierung im Anfang des vorigen Jahres war eben eine so unselige,
wie am Schluß desselben, und nach den Aufschlüssen, die uns die Brochüre über den
Kriegsminister gibt, und die uus auch von andern Seiten her reichlich zuströmen,
war das freilich verspätete Nachgeben eine gebieterische Nothwendigkeit, und die
Schwäche lag nur darin, daß man nicht den Muth hatte, es rücksichtslos zu thun.

Herr v. Radvwitz hat in der Zeit, als die Kaiserpartei sich bildete, das
Project einer dreifältigen Union entworfen, nach den drei verschiedenen Gruppen
des außeröstreichischen Deutschland, des deutschen Oestreich und des außer-
deutschen Oestreich. Man konnte damals Manches dafür anführen, da es mißlich
war, den deutschen Bund, deu Träger noch immer sehr wesentlicher Rechte und
Pflichten, ohne Weiteres aufzuheben; aber die Ausführung des Planes war nnr
denkbar, wenn alle deutsche Staaten damit freiwillig übereinstimmten. Seitdem
die preußische Union auf die Kleinstaaten eingeschränkt war, seitdem anch die
beiden Hessen abgefallen waren, enthielt die Forderung der freien Conferenzen
zwischen den Unionsstaaten und den in Frankfurt vertretjuen Staaten sowohl
eine Ueberschätzung als eine Benachtheiligung des preußischen Interesses. Das
Erste, denn hier standen nicht Gleiche den Gleichen gegenüber; das Zweite,'
denn die Bildung eiuer Union, die Hannover, Sachsen und die beiden Hessen
dem feindlichen Einfluß preis gab, war für Preußen eine Art Selbstmord.
Wollte man in der That die parlamentarische Union, so mußte man auf eiuen
Krieg gefaßt sein; aber dann hätte man sich vorher rüsten und die nöthigen
Bündnisse abschließen müssen. Wollte man aber- nnr Separatverträge mit den
^Kleinstaaten, um den Einfluß Preußens auf dieselben zu vergrößern, so durste
mau deshalb den Einfluß auf das übrige Deutschland, der viel wichtiger war,
nicht aufgeben. Man konnte gleichzeitig in Frankfurt in den allgemein deutschen
Angelegenheiten mitsprechen, ohne sich des Rechts der Separatverträge zu be¬
geben, das factisch ans die Länge ebensowenig verhindert werden konnte, als
der Zollverein. Aber man hatte sich damals ebensowenig klar gemacht, was mau
eigentlich wollte, als jetzt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/38>, abgerufen am 27.07.2024.