Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.und daß sie einfacher sind in ihrer Leidenschaft, eben weil sie einseitiger sind. Auf die Form ihrer Schreibart hat wol Balzac den meisten Einfluß ausge- und daß sie einfacher sind in ihrer Leidenschaft, eben weil sie einseitiger sind. Auf die Form ihrer Schreibart hat wol Balzac den meisten Einfluß ausge- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0315" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91508"/> <p xml:id="ID_870" prev="#ID_869"> und daß sie einfacher sind in ihrer Leidenschaft, eben weil sie einseitiger sind.<lb/> Das, junge Deutschland hatte kein Recht, sich gegen die Manier der Dichterin<lb/> aufzulehnen, denn es hat dieselben verschwommenen, willkürlichem und capriciösen<lb/> Gestalten hervorgebracht, mit demselben Französischen Firniß überkleidet und mit<lb/> denselben Einfällen über Kunst, Politik, Religion und dergleichen verziert. Ich<lb/> muß gestehen, daß die Faustiue nnter all diesen jungdeutschen Versuchen, Probleme<lb/> ohne bestimmte Fassung und Gestalt zu löse», noch immer der leidlichste ist, und<lb/> wenn man sie mit ihren Standesgenossen vergleicht, dem Fürsten Pückler und dem<lb/> Herrn von Nadvwiiz in seinen „Gespräche» über Staat und Kirche", so dürfte<lb/> schwer zu bestimmen sein, wer von ihnen in seinen Anschauungen und Em-<lb/> pfindungen klarer und sicherer ist."</p><lb/> <p xml:id="ID_871"> Auf die Form ihrer Schreibart hat wol Balzac den meisten Einfluß ausge-<lb/> übt, dem sie auch darin nacheifert, daß sie denselben Kreis fingirter Personen,<lb/> die gleichsam die Typen der Gesellschaft sein sollen, in all' ihren Romanen wieder<lb/> auftreten läßt. Die Art, wie sie portrailirt, ist ganz Balzac. Der eigentliche<lb/> Geist ihrer Werke steht aber Heine'S Reisebildern am Nächsten. Daß der Eine<lb/> demokratische und revolutionaire Gelüste hegte, während der Andere für Adel<lb/> und Königthum schwärmte, kommt ziemlich ans Eins heraus. Die Berechtigung<lb/> ist bei Beiden gleich. Ueberhaupt hat diese moderne Neiscwuth, die ohne be¬<lb/> stimmten Zweck, ohne dauernde Anstrengung, ohne warmes Interesse überall nur<lb/> mit halber Einsicht nach beständig neuen Eindrücken hascht, die alle Liebe z»in<lb/> Vaterlande untergräbt, die sich von der Stimmung der entlegensten Zonen einen<lb/> oberflächlichen Anflug zu verschaffen weiß, aber ohne daß Etwas haftet, und die<lb/> daher micht zu jener fixirten ironischen Stimmung, zu jeuer abgespannten, bla-<lb/> sirten Gleichgiltigkeit gegen alle Dinge sührt, sehr viel Schuld an der Unwahrheit<lb/> unsers belletristische» Lebens und Treibens. Glücklicher Weise scheint diese Manier,<lb/> ans Reise» zu gehen, um nach Emotionen zu jagen, jene Manier der Chateau¬<lb/> briand, Lamartine, Pückler, Heine, Laube, der Hahn n>s. w., anch der G. Sand,<lb/> die jeden Augenblick geneigt ist, sich Etwas vorznlügeu, wenn die Emotionen nicht<lb/> von selbst kommen wollen, und die dann mit der leichtfertigen Frivolität eines<lb/> unbetheiligten Touristen über die ernsthaftesten Fragen abspricht, jetzt allmälig<lb/> vorüber zu sein; mau reist jejzt wieder, um zu studiren, oder ni» sich z» erholen;<lb/> sein Herz findet man am heimathliche» Herde. Dies ist in der That der Ort,<lb/> auf dem allein eine Wiedergeburt der neuern Zeit von der Lüge zur Wahrheit<lb/> stattfinden kauu. Nicht in Babylon und nicht in Jerusalem sind die Räthsel des<lb/> Geistes zu lösen, denn das Eine wie das Andere sind träumerische Schattcnge-<lb/> stalte», von denen es nicht wundem kaun, wenn sie deu Eindruck machen, daß<lb/> Alles in der Welt eitel ist, sondern auf dem Boden, mit dem wir durch unsre<lb/><note type="byline"> I. S.</note> Geschichte, durch unser Herz und durch »usre Interessen verwachsen sind. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0315]
und daß sie einfacher sind in ihrer Leidenschaft, eben weil sie einseitiger sind.
Das, junge Deutschland hatte kein Recht, sich gegen die Manier der Dichterin
aufzulehnen, denn es hat dieselben verschwommenen, willkürlichem und capriciösen
Gestalten hervorgebracht, mit demselben Französischen Firniß überkleidet und mit
denselben Einfällen über Kunst, Politik, Religion und dergleichen verziert. Ich
muß gestehen, daß die Faustiue nnter all diesen jungdeutschen Versuchen, Probleme
ohne bestimmte Fassung und Gestalt zu löse», noch immer der leidlichste ist, und
wenn man sie mit ihren Standesgenossen vergleicht, dem Fürsten Pückler und dem
Herrn von Nadvwiiz in seinen „Gespräche» über Staat und Kirche", so dürfte
schwer zu bestimmen sein, wer von ihnen in seinen Anschauungen und Em-
pfindungen klarer und sicherer ist."
Auf die Form ihrer Schreibart hat wol Balzac den meisten Einfluß ausge-
übt, dem sie auch darin nacheifert, daß sie denselben Kreis fingirter Personen,
die gleichsam die Typen der Gesellschaft sein sollen, in all' ihren Romanen wieder
auftreten läßt. Die Art, wie sie portrailirt, ist ganz Balzac. Der eigentliche
Geist ihrer Werke steht aber Heine'S Reisebildern am Nächsten. Daß der Eine
demokratische und revolutionaire Gelüste hegte, während der Andere für Adel
und Königthum schwärmte, kommt ziemlich ans Eins heraus. Die Berechtigung
ist bei Beiden gleich. Ueberhaupt hat diese moderne Neiscwuth, die ohne be¬
stimmten Zweck, ohne dauernde Anstrengung, ohne warmes Interesse überall nur
mit halber Einsicht nach beständig neuen Eindrücken hascht, die alle Liebe z»in
Vaterlande untergräbt, die sich von der Stimmung der entlegensten Zonen einen
oberflächlichen Anflug zu verschaffen weiß, aber ohne daß Etwas haftet, und die
daher micht zu jener fixirten ironischen Stimmung, zu jeuer abgespannten, bla-
sirten Gleichgiltigkeit gegen alle Dinge sührt, sehr viel Schuld an der Unwahrheit
unsers belletristische» Lebens und Treibens. Glücklicher Weise scheint diese Manier,
ans Reise» zu gehen, um nach Emotionen zu jagen, jene Manier der Chateau¬
briand, Lamartine, Pückler, Heine, Laube, der Hahn n>s. w., anch der G. Sand,
die jeden Augenblick geneigt ist, sich Etwas vorznlügeu, wenn die Emotionen nicht
von selbst kommen wollen, und die dann mit der leichtfertigen Frivolität eines
unbetheiligten Touristen über die ernsthaftesten Fragen abspricht, jetzt allmälig
vorüber zu sein; mau reist jejzt wieder, um zu studiren, oder ni» sich z» erholen;
sein Herz findet man am heimathliche» Herde. Dies ist in der That der Ort,
auf dem allein eine Wiedergeburt der neuern Zeit von der Lüge zur Wahrheit
stattfinden kauu. Nicht in Babylon und nicht in Jerusalem sind die Räthsel des
Geistes zu lösen, denn das Eine wie das Andere sind träumerische Schattcnge-
stalte», von denen es nicht wundem kaun, wenn sie deu Eindruck machen, daß
Alles in der Welt eitel ist, sondern auf dem Boden, mit dem wir durch unsre
I. S. Geschichte, durch unser Herz und durch »usre Interessen verwachsen sind.
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