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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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Zeiten darbrachte, war doch immer nur eine scheinbare; der starke Ritter kämpfte
mit Niesen und Drachen, um dnrch ein Lächeln von schönem Munde belohnt zu
werden; es fiel Niemandem ein, in dem Weibe Eigenschaften zu verehren, die
ihm in geringerem Maße zukommen, als dem Manne. Heutzutage aber ist die
alte Convenienz der Galanterie gebliebe" und dabei ans Dinge übertragen, die
ihren Sinn vollständig verkehren. Die Frauen lassen sich als Ebenbürtige in den
geistigen Kampf der Männer ein, und verlangen dabei doch jene Schonung, die
man früher nnter dein Schein der Huldigung der Schwäche angedeihen ließ.
Diese Unwahrheit, die man doch im Stillen fühlt, treibt dann zu einer Stei¬
gerung des weiblichen Wesens, zu jenem nicht zu berechnende" fortwährenden
Wechsel der Stimmungen und Einfälle, der den Zuschauer verwirrt, weil er
instinctmäßig nach einem Gesetz sucht, wo keins vorhanden ist, und da es na¬
mentlich bei der jüngern Literatur zum guten Ton gehört, nnr das Unklare tief
und nur das Zusammenhanglose erhaben zu finden. Die romantische Schule,
die vorzugsweise jene Verkehrung der Geschlechter gepredigt hat, trägt zum gro¬
ßen Theil die Schuld von diesem unwahren Verhältniß. Tritt nun vollends die
aristokratische Neigung hinzu, die sich in der Männerwelt bei der Versenkung
derselben in die bürgerlichen Interesse" des Erwerbs oder deö Beamtenthums
vergebens nach den Fouquvschen Nebclbildern der Ritterlichkeit umsieht, so kommt
man bald dahin, im Salon den einzigen Nest jenes freien, bernsslosen, ätheri¬
schen Daseins zu finden, und in den Frauen die letzte Spur des vornehmen
Wesens, da die ganze Männerwelt bis zum Grasen heraus dnrch Unterstand
oder durch Bvrsenspeculativncn encanäillirt ist.

Man würde aber irren, wenn man in den Schriften der Gräfin Hcchn eine
wirkliche Darstellung der Aristokratie suchte. Eine wirkliche Aristokratie ist undenk¬
bar ohne eine große Macht und einen großen Blick in die öffentlichen Verhält¬
nisse. Die Engländer haben eine wirkliche Aristokratie, die unabhängig ist von
dem günstigen Lächeln eines Fürsten, unabhängig von dem Geschmack der Pariser
Schneider. Man darf nur einen beliebigen Roman der Englischen Schriftstellerinnen
aufschlagen, welche die höhere Gesellschaft schildern, z. B. der Lady Charlotte
Bury, um den grenzenlosen Unterschied zu erkenne". Die echte Vornehmheit des
Aristokraten beruht auf dem Gefühl einer realen, in langer Tradition fortgeerbtcn
Macht und in der Sicherheit seiner Stellung, die ihn auch dem Höchsten ebenbürtig
setzt; sie ist daher höflich, bescheiden und kalt, niemals herausfordernd, wie unsre
kleine Noblesse, die nnr vornehm thut, und durch den beständigen Widerspruch
zwischen ihren Idealen und der Wirklichkeit einen unabweislich komische" Eindruck
hervorruft. Auch wir in Deutschland haben wenigstens in manchen Provinzen
noch eine wirkliche Aristokratie, der zwar die eigentliche Weihe der Englischen,
die politische Einsicht und Uebung und der Stolz einer großen Nation fehlt, die
aber in ihrem bedeutenden Besitz zu sicher ist, als daß es ihr einfallen sollte,


Zeiten darbrachte, war doch immer nur eine scheinbare; der starke Ritter kämpfte
mit Niesen und Drachen, um dnrch ein Lächeln von schönem Munde belohnt zu
werden; es fiel Niemandem ein, in dem Weibe Eigenschaften zu verehren, die
ihm in geringerem Maße zukommen, als dem Manne. Heutzutage aber ist die
alte Convenienz der Galanterie gebliebe» und dabei ans Dinge übertragen, die
ihren Sinn vollständig verkehren. Die Frauen lassen sich als Ebenbürtige in den
geistigen Kampf der Männer ein, und verlangen dabei doch jene Schonung, die
man früher nnter dein Schein der Huldigung der Schwäche angedeihen ließ.
Diese Unwahrheit, die man doch im Stillen fühlt, treibt dann zu einer Stei¬
gerung des weiblichen Wesens, zu jenem nicht zu berechnende» fortwährenden
Wechsel der Stimmungen und Einfälle, der den Zuschauer verwirrt, weil er
instinctmäßig nach einem Gesetz sucht, wo keins vorhanden ist, und da es na¬
mentlich bei der jüngern Literatur zum guten Ton gehört, nnr das Unklare tief
und nur das Zusammenhanglose erhaben zu finden. Die romantische Schule,
die vorzugsweise jene Verkehrung der Geschlechter gepredigt hat, trägt zum gro¬
ßen Theil die Schuld von diesem unwahren Verhältniß. Tritt nun vollends die
aristokratische Neigung hinzu, die sich in der Männerwelt bei der Versenkung
derselben in die bürgerlichen Interesse» des Erwerbs oder deö Beamtenthums
vergebens nach den Fouquvschen Nebclbildern der Ritterlichkeit umsieht, so kommt
man bald dahin, im Salon den einzigen Nest jenes freien, bernsslosen, ätheri¬
schen Daseins zu finden, und in den Frauen die letzte Spur des vornehmen
Wesens, da die ganze Männerwelt bis zum Grasen heraus dnrch Unterstand
oder durch Bvrsenspeculativncn encanäillirt ist.

Man würde aber irren, wenn man in den Schriften der Gräfin Hcchn eine
wirkliche Darstellung der Aristokratie suchte. Eine wirkliche Aristokratie ist undenk¬
bar ohne eine große Macht und einen großen Blick in die öffentlichen Verhält¬
nisse. Die Engländer haben eine wirkliche Aristokratie, die unabhängig ist von
dem günstigen Lächeln eines Fürsten, unabhängig von dem Geschmack der Pariser
Schneider. Man darf nur einen beliebigen Roman der Englischen Schriftstellerinnen
aufschlagen, welche die höhere Gesellschaft schildern, z. B. der Lady Charlotte
Bury, um den grenzenlosen Unterschied zu erkenne». Die echte Vornehmheit des
Aristokraten beruht auf dem Gefühl einer realen, in langer Tradition fortgeerbtcn
Macht und in der Sicherheit seiner Stellung, die ihn auch dem Höchsten ebenbürtig
setzt; sie ist daher höflich, bescheiden und kalt, niemals herausfordernd, wie unsre
kleine Noblesse, die nnr vornehm thut, und durch den beständigen Widerspruch
zwischen ihren Idealen und der Wirklichkeit einen unabweislich komische» Eindruck
hervorruft. Auch wir in Deutschland haben wenigstens in manchen Provinzen
noch eine wirkliche Aristokratie, der zwar die eigentliche Weihe der Englischen,
die politische Einsicht und Uebung und der Stolz einer großen Nation fehlt, die
aber in ihrem bedeutenden Besitz zu sicher ist, als daß es ihr einfallen sollte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/313>, abgerufen am 28.07.2024.