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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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von Friedrich dem Zweiten zurück- und an die Berliner Akademie berufen. Kant
erfreute sich keines so auffälligen Zeichens königlicher Gunst, aber nur unter einem
so freisinnigen Könige wie Friedrich konnte er ungestört den Fortschritt der Deut¬
schen Philosophie vollbringen, der sich an seine Lehre knüpft. Unter dem Nach¬
folger desselben hatte er Verfolgungen und schwere Kämpfe zu bestehen. Von
Gellert äußerte der König während des siebenjährigen Krieges, er sei vielleicht
der einzige Deutsche Dichter, der auf die Nachwelt kommen werde; zwar habe er
nur in einer kleinen Gattung, aber in dieser mit Glück, gearbeitet. Lessing wurde
auch später vou Friedrich, wenn überhaupt, nur wenig gekannt; zu Ende seines
Lebens jedoch ging dem Könige die Ahnung einer herannahenden Periode aus,
in der die Deutsche Literatur dem Deutschen Volke eine würdige Stelle neben den
gebildetsten Nationen erobern werde. Er hat diese Voraussicht in einer Abhand¬
lung über die Deutsche Literatur niedergelegt, und wenn dieselbe sich erfüllte, wer
darf in höherem Grade als Lessing deren Begründer genannt werden? Vielleicht
theilt er dies Verdienst mit Friedrich dem Großen, der in den Geist der tief
entwürdigten Nation wieder Selbstachtung, Bewußtsein und Streben von und
nach inhaltvollen Zielen brachte und eine selbstständige geistige Regsamkeit um sich
her erweckte, wenn gleich er den Werth der Deutschen Sprache zu erkennen nicht
im Stande war. Friedrich's Negierung muß als der fruchtbare Boden betrachtet
werden, auf dem Heroen des Deutschen Geistes wie Lessing und Kant gedeihen
konnten; sie waren die zeitgenössischen Gipfelpunkte Deutscher Literatur und Wis¬
senschaft, sie stehen deshalb hier mit moralischem und geschichtlichem Rechte. Und
wie wundervoll, bewährte sich an ihnen die realistische Auffassung, die fein charak-
terisirende Darstellung des Meisters Rauch! Im engen, langen Rocke, mit weißer
Cravate und Jabot, den dreieckigen Hut und den Stock in der Hand, das vom
tiefen Denken zeugende, trockene Gesicht dem Nachbar in schwerem, etwas pedan¬
tischen Ernste zuwendend, führt der Königsberger Philosoph das Wort. Ihm
gegenüber Lessing im leichten Anzug mit flatternden Manschetten, einen Mantel,
der nur den Rücken bedeckt, frei um eine Schulter geschlungen, während die Hände
ihn nachlässig vorn in einen Knoten zusammenballen, deu Rock geöffnet, den Hals
nackt, uur zwischen den Schultern von kleinem Hemdkragen umkränzt -- eine
Gestalt und Haltung voll unbeschreiblicher Ungezwungenheit, im Antlitz den Aus¬
druck geistvollen Freimuths.

Hinter den Männern der Kunst und Wissenschaft schweben im flachen Relief
zwei Genien des Ruhmes. Der eine trägt in der Rechten ein Füllhorn, wol ein
Symbol der reichen Begabung, welche das Talent vor den übrigen Sterbliche"
auszeichnet. Er senkt mit der Linken einen Lvrbeerzweig zu Lessing hinab, wäh¬
rend der zweite Genius mit einem Kranze von dem Laube desselben Baumes ihn
begleitet.

Blicken wir nun noch einmal ans das eben in seiner Gliederung betrachtete


von Friedrich dem Zweiten zurück- und an die Berliner Akademie berufen. Kant
erfreute sich keines so auffälligen Zeichens königlicher Gunst, aber nur unter einem
so freisinnigen Könige wie Friedrich konnte er ungestört den Fortschritt der Deut¬
schen Philosophie vollbringen, der sich an seine Lehre knüpft. Unter dem Nach¬
folger desselben hatte er Verfolgungen und schwere Kämpfe zu bestehen. Von
Gellert äußerte der König während des siebenjährigen Krieges, er sei vielleicht
der einzige Deutsche Dichter, der auf die Nachwelt kommen werde; zwar habe er
nur in einer kleinen Gattung, aber in dieser mit Glück, gearbeitet. Lessing wurde
auch später vou Friedrich, wenn überhaupt, nur wenig gekannt; zu Ende seines
Lebens jedoch ging dem Könige die Ahnung einer herannahenden Periode aus,
in der die Deutsche Literatur dem Deutschen Volke eine würdige Stelle neben den
gebildetsten Nationen erobern werde. Er hat diese Voraussicht in einer Abhand¬
lung über die Deutsche Literatur niedergelegt, und wenn dieselbe sich erfüllte, wer
darf in höherem Grade als Lessing deren Begründer genannt werden? Vielleicht
theilt er dies Verdienst mit Friedrich dem Großen, der in den Geist der tief
entwürdigten Nation wieder Selbstachtung, Bewußtsein und Streben von und
nach inhaltvollen Zielen brachte und eine selbstständige geistige Regsamkeit um sich
her erweckte, wenn gleich er den Werth der Deutschen Sprache zu erkennen nicht
im Stande war. Friedrich's Negierung muß als der fruchtbare Boden betrachtet
werden, auf dem Heroen des Deutschen Geistes wie Lessing und Kant gedeihen
konnten; sie waren die zeitgenössischen Gipfelpunkte Deutscher Literatur und Wis¬
senschaft, sie stehen deshalb hier mit moralischem und geschichtlichem Rechte. Und
wie wundervoll, bewährte sich an ihnen die realistische Auffassung, die fein charak-
terisirende Darstellung des Meisters Rauch! Im engen, langen Rocke, mit weißer
Cravate und Jabot, den dreieckigen Hut und den Stock in der Hand, das vom
tiefen Denken zeugende, trockene Gesicht dem Nachbar in schwerem, etwas pedan¬
tischen Ernste zuwendend, führt der Königsberger Philosoph das Wort. Ihm
gegenüber Lessing im leichten Anzug mit flatternden Manschetten, einen Mantel,
der nur den Rücken bedeckt, frei um eine Schulter geschlungen, während die Hände
ihn nachlässig vorn in einen Knoten zusammenballen, deu Rock geöffnet, den Hals
nackt, uur zwischen den Schultern von kleinem Hemdkragen umkränzt — eine
Gestalt und Haltung voll unbeschreiblicher Ungezwungenheit, im Antlitz den Aus¬
druck geistvollen Freimuths.

Hinter den Männern der Kunst und Wissenschaft schweben im flachen Relief
zwei Genien des Ruhmes. Der eine trägt in der Rechten ein Füllhorn, wol ein
Symbol der reichen Begabung, welche das Talent vor den übrigen Sterbliche»
auszeichnet. Er senkt mit der Linken einen Lvrbeerzweig zu Lessing hinab, wäh¬
rend der zweite Genius mit einem Kranze von dem Laube desselben Baumes ihn
begleitet.

Blicken wir nun noch einmal ans das eben in seiner Gliederung betrachtete


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[0299] von Friedrich dem Zweiten zurück- und an die Berliner Akademie berufen. Kant erfreute sich keines so auffälligen Zeichens königlicher Gunst, aber nur unter einem so freisinnigen Könige wie Friedrich konnte er ungestört den Fortschritt der Deut¬ schen Philosophie vollbringen, der sich an seine Lehre knüpft. Unter dem Nach¬ folger desselben hatte er Verfolgungen und schwere Kämpfe zu bestehen. Von Gellert äußerte der König während des siebenjährigen Krieges, er sei vielleicht der einzige Deutsche Dichter, der auf die Nachwelt kommen werde; zwar habe er nur in einer kleinen Gattung, aber in dieser mit Glück, gearbeitet. Lessing wurde auch später vou Friedrich, wenn überhaupt, nur wenig gekannt; zu Ende seines Lebens jedoch ging dem Könige die Ahnung einer herannahenden Periode aus, in der die Deutsche Literatur dem Deutschen Volke eine würdige Stelle neben den gebildetsten Nationen erobern werde. Er hat diese Voraussicht in einer Abhand¬ lung über die Deutsche Literatur niedergelegt, und wenn dieselbe sich erfüllte, wer darf in höherem Grade als Lessing deren Begründer genannt werden? Vielleicht theilt er dies Verdienst mit Friedrich dem Großen, der in den Geist der tief entwürdigten Nation wieder Selbstachtung, Bewußtsein und Streben von und nach inhaltvollen Zielen brachte und eine selbstständige geistige Regsamkeit um sich her erweckte, wenn gleich er den Werth der Deutschen Sprache zu erkennen nicht im Stande war. Friedrich's Negierung muß als der fruchtbare Boden betrachtet werden, auf dem Heroen des Deutschen Geistes wie Lessing und Kant gedeihen konnten; sie waren die zeitgenössischen Gipfelpunkte Deutscher Literatur und Wis¬ senschaft, sie stehen deshalb hier mit moralischem und geschichtlichem Rechte. Und wie wundervoll, bewährte sich an ihnen die realistische Auffassung, die fein charak- terisirende Darstellung des Meisters Rauch! Im engen, langen Rocke, mit weißer Cravate und Jabot, den dreieckigen Hut und den Stock in der Hand, das vom tiefen Denken zeugende, trockene Gesicht dem Nachbar in schwerem, etwas pedan¬ tischen Ernste zuwendend, führt der Königsberger Philosoph das Wort. Ihm gegenüber Lessing im leichten Anzug mit flatternden Manschetten, einen Mantel, der nur den Rücken bedeckt, frei um eine Schulter geschlungen, während die Hände ihn nachlässig vorn in einen Knoten zusammenballen, deu Rock geöffnet, den Hals nackt, uur zwischen den Schultern von kleinem Hemdkragen umkränzt — eine Gestalt und Haltung voll unbeschreiblicher Ungezwungenheit, im Antlitz den Aus¬ druck geistvollen Freimuths. Hinter den Männern der Kunst und Wissenschaft schweben im flachen Relief zwei Genien des Ruhmes. Der eine trägt in der Rechten ein Füllhorn, wol ein Symbol der reichen Begabung, welche das Talent vor den übrigen Sterbliche» auszeichnet. Er senkt mit der Linken einen Lvrbeerzweig zu Lessing hinab, wäh¬ rend der zweite Genius mit einem Kranze von dem Laube desselben Baumes ihn begleitet. Blicken wir nun noch einmal ans das eben in seiner Gliederung betrachtete

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/299>, abgerufen am 27.07.2024.