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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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nur Lichtfreundschaft. Im Anfang des zweiten Theils scheint er diese Voraus¬
setzung glücklich vergessen zu haben, aber wie eine fixe Idee immer wiederkehrt,
so werden wir bei der Kritik über das Gagernsche Programm plötzlich durch die
Erklärung überrascht: "Ihr Entschluß stand fest, Berlin sollte die Hauptstadt des
neuen Byzantinischen Kaiserthums werden, welches ihrer gebrechlichen.Kunst und
Wissenschaft durch die Erhebung derselben zur Hofphilosophie, Hofhistoriographie
und Hofkunst eine sichere Fortdauer und durch die theologische Färbung
aller Parteikämpfe ihrer geschwächten Religiosität einen neuen
Reiz versprach." -- Wenn man Bruno Bauer aufgäbe, ein Buch zu schreiben,
worin Nichts von Theologie vorkäme, gleichviel über welchen Gegenstand, so
würde es ihm gehen wie Meister Dick im David Koppersteld, er würde nie damit
zu Stande kommen.

Dieses krankhafte Hängen an einer Abstraction macht ihn unfähig, in irgend
einer Erscheinung die Totalität anzuschauen. Bei seinem theologischen Spionir-
system, welches uach weiter Nichts sucht, als ifach dem Stichwort, wenn dieses
auch blos in dem unwillkürlichen Ausruf: Ach Herr Jesus! bestehe" sollte, siudet
er in den Menschen höchstens einen quantitativen Unterschied; eigentlich ist ihm
aber Alles "Bürger", Alles "Lichtfreund", Alles "Masse", der König von Preußen
wie Schlosse!, Gagern wie Herr von Bismark, Stahl wie Ottensosser. In diesen
verwaschenen Schilderungen ist es unmöglich, irgend eine Persönlichkeit heraus zu
erkennen. Der Geschichtschreiber kann nur das gut darstellen, was ihn wenig¬
stens einigermaßen interessirt, aber für Persönlichkeiten, soweit sie nicht irgend
einem Moment seines abstracten Begriffs entsprechen, hat Bauer durchaus keinen
Sinn. Seine Schüler, zu denen der Verfasser des drittelt angeführten Buchs
gehört, eben so wenig. Die genannten Kategorien, in denen Collectivbegriffe
personificirt und als el" Wesen für sich betrachtet werden, wie Volk, Bürger-
thum, Masse, Revolution, Geschichte u. s. w., sind eigentlich Nichts, als gute
Einfälle, die dann zu Tode gehetzt werden. Bei seiner steifen und pedantischen
Natur ist er nicht im Stande, diese Begriffe, die ein Resultat der Analyse sind,
in beständigem Fluß zu halten; sie verknöchern unter seinen Händen und werden
zu besondern, obgleich eingebildeten Gestalten, die sich ftemdartig und verwirrend
in das Gewühl der concreten, lebendigen Menschen eindrängen, bis diese zuletzt
völlig verschwinden und die Abstractionen allem übrig bleiben. So ist eine Kraft,
die beständig bei ihm spukt, die sogenannte Macht der Geschichte, die wie eine
Windsbraut über alle endlichen Factoren des Lebens hinwegweht, und der gegen¬
über alles Recht aufhört; was aber diese Macht eigentlich ist, getrennt von den
übrigen Kräften, erfahren wir niemals; sie ist ein Gespenst ohne Fleisch und
Blut, da Bauer sich gegen die Rohheit der Socialisten, ti?se Macht im soge¬
nannten Volk, in der Masse zu suchen, sehr entschieden verwahrt. Wenn er sich
an den Ursprung dieses Begriffes erinnerte, daß er nämlich nichts Anderes sagen


nur Lichtfreundschaft. Im Anfang des zweiten Theils scheint er diese Voraus¬
setzung glücklich vergessen zu haben, aber wie eine fixe Idee immer wiederkehrt,
so werden wir bei der Kritik über das Gagernsche Programm plötzlich durch die
Erklärung überrascht: „Ihr Entschluß stand fest, Berlin sollte die Hauptstadt des
neuen Byzantinischen Kaiserthums werden, welches ihrer gebrechlichen.Kunst und
Wissenschaft durch die Erhebung derselben zur Hofphilosophie, Hofhistoriographie
und Hofkunst eine sichere Fortdauer und durch die theologische Färbung
aller Parteikämpfe ihrer geschwächten Religiosität einen neuen
Reiz versprach." — Wenn man Bruno Bauer aufgäbe, ein Buch zu schreiben,
worin Nichts von Theologie vorkäme, gleichviel über welchen Gegenstand, so
würde es ihm gehen wie Meister Dick im David Koppersteld, er würde nie damit
zu Stande kommen.

Dieses krankhafte Hängen an einer Abstraction macht ihn unfähig, in irgend
einer Erscheinung die Totalität anzuschauen. Bei seinem theologischen Spionir-
system, welches uach weiter Nichts sucht, als ifach dem Stichwort, wenn dieses
auch blos in dem unwillkürlichen Ausruf: Ach Herr Jesus! bestehe» sollte, siudet
er in den Menschen höchstens einen quantitativen Unterschied; eigentlich ist ihm
aber Alles „Bürger", Alles „Lichtfreund", Alles „Masse", der König von Preußen
wie Schlosse!, Gagern wie Herr von Bismark, Stahl wie Ottensosser. In diesen
verwaschenen Schilderungen ist es unmöglich, irgend eine Persönlichkeit heraus zu
erkennen. Der Geschichtschreiber kann nur das gut darstellen, was ihn wenig¬
stens einigermaßen interessirt, aber für Persönlichkeiten, soweit sie nicht irgend
einem Moment seines abstracten Begriffs entsprechen, hat Bauer durchaus keinen
Sinn. Seine Schüler, zu denen der Verfasser des drittelt angeführten Buchs
gehört, eben so wenig. Die genannten Kategorien, in denen Collectivbegriffe
personificirt und als el» Wesen für sich betrachtet werden, wie Volk, Bürger-
thum, Masse, Revolution, Geschichte u. s. w., sind eigentlich Nichts, als gute
Einfälle, die dann zu Tode gehetzt werden. Bei seiner steifen und pedantischen
Natur ist er nicht im Stande, diese Begriffe, die ein Resultat der Analyse sind,
in beständigem Fluß zu halten; sie verknöchern unter seinen Händen und werden
zu besondern, obgleich eingebildeten Gestalten, die sich ftemdartig und verwirrend
in das Gewühl der concreten, lebendigen Menschen eindrängen, bis diese zuletzt
völlig verschwinden und die Abstractionen allem übrig bleiben. So ist eine Kraft,
die beständig bei ihm spukt, die sogenannte Macht der Geschichte, die wie eine
Windsbraut über alle endlichen Factoren des Lebens hinwegweht, und der gegen¬
über alles Recht aufhört; was aber diese Macht eigentlich ist, getrennt von den
übrigen Kräften, erfahren wir niemals; sie ist ein Gespenst ohne Fleisch und
Blut, da Bauer sich gegen die Rohheit der Socialisten, ti?se Macht im soge¬
nannten Volk, in der Masse zu suchen, sehr entschieden verwahrt. Wenn er sich
an den Ursprung dieses Begriffes erinnerte, daß er nämlich nichts Anderes sagen


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[0257] nur Lichtfreundschaft. Im Anfang des zweiten Theils scheint er diese Voraus¬ setzung glücklich vergessen zu haben, aber wie eine fixe Idee immer wiederkehrt, so werden wir bei der Kritik über das Gagernsche Programm plötzlich durch die Erklärung überrascht: „Ihr Entschluß stand fest, Berlin sollte die Hauptstadt des neuen Byzantinischen Kaiserthums werden, welches ihrer gebrechlichen.Kunst und Wissenschaft durch die Erhebung derselben zur Hofphilosophie, Hofhistoriographie und Hofkunst eine sichere Fortdauer und durch die theologische Färbung aller Parteikämpfe ihrer geschwächten Religiosität einen neuen Reiz versprach." — Wenn man Bruno Bauer aufgäbe, ein Buch zu schreiben, worin Nichts von Theologie vorkäme, gleichviel über welchen Gegenstand, so würde es ihm gehen wie Meister Dick im David Koppersteld, er würde nie damit zu Stande kommen. Dieses krankhafte Hängen an einer Abstraction macht ihn unfähig, in irgend einer Erscheinung die Totalität anzuschauen. Bei seinem theologischen Spionir- system, welches uach weiter Nichts sucht, als ifach dem Stichwort, wenn dieses auch blos in dem unwillkürlichen Ausruf: Ach Herr Jesus! bestehe» sollte, siudet er in den Menschen höchstens einen quantitativen Unterschied; eigentlich ist ihm aber Alles „Bürger", Alles „Lichtfreund", Alles „Masse", der König von Preußen wie Schlosse!, Gagern wie Herr von Bismark, Stahl wie Ottensosser. In diesen verwaschenen Schilderungen ist es unmöglich, irgend eine Persönlichkeit heraus zu erkennen. Der Geschichtschreiber kann nur das gut darstellen, was ihn wenig¬ stens einigermaßen interessirt, aber für Persönlichkeiten, soweit sie nicht irgend einem Moment seines abstracten Begriffs entsprechen, hat Bauer durchaus keinen Sinn. Seine Schüler, zu denen der Verfasser des drittelt angeführten Buchs gehört, eben so wenig. Die genannten Kategorien, in denen Collectivbegriffe personificirt und als el» Wesen für sich betrachtet werden, wie Volk, Bürger- thum, Masse, Revolution, Geschichte u. s. w., sind eigentlich Nichts, als gute Einfälle, die dann zu Tode gehetzt werden. Bei seiner steifen und pedantischen Natur ist er nicht im Stande, diese Begriffe, die ein Resultat der Analyse sind, in beständigem Fluß zu halten; sie verknöchern unter seinen Händen und werden zu besondern, obgleich eingebildeten Gestalten, die sich ftemdartig und verwirrend in das Gewühl der concreten, lebendigen Menschen eindrängen, bis diese zuletzt völlig verschwinden und die Abstractionen allem übrig bleiben. So ist eine Kraft, die beständig bei ihm spukt, die sogenannte Macht der Geschichte, die wie eine Windsbraut über alle endlichen Factoren des Lebens hinwegweht, und der gegen¬ über alles Recht aufhört; was aber diese Macht eigentlich ist, getrennt von den übrigen Kräften, erfahren wir niemals; sie ist ein Gespenst ohne Fleisch und Blut, da Bauer sich gegen die Rohheit der Socialisten, ti?se Macht im soge¬ nannten Volk, in der Masse zu suchen, sehr entschieden verwahrt. Wenn er sich an den Ursprung dieses Begriffes erinnerte, daß er nämlich nichts Anderes sagen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/257>, abgerufen am 01.09.2024.