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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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finden, die er zu bekämpfen glaul't. Das Unglück der Deutschen Nestanrations-
litcratur, oder, wenn wir den alten Ausdruck beibehalten wollen, der Deutschen
Romantik, bestand in ihrer vollständigen Trennung vom Leben. Sie nahm ihre
Stoffe wie ihre Formen theils verehrend, theils polemisireud ans der Literatur,
ihre Gestalten hatten daher kein wirkliches Leben, ihre Handlung keine innere
Einheit, und die Sprache wurde nur dadurch scheinbar erhöht, daß dnrch fort¬
währende Anspielungen auf literarische Kuriositäten, die der Uneingeweihte nicht
verstehen konnte, ein gewisser Nebel darüber gebreitet wurde. Um sich von seiner
Quelle zu unterscheiden, suchte der Dichter die barockesten Formen und Combina¬
tionen, gab Styl, Maß und Regel auf, und erdachte sich eine Convenienz des
Schönen, die dem wirklichen Gefühl eben so fremd war, als der Inhalt, den er
ihr unterwarf. In sclavischer Abhängigkeit von der Vorstellungsweise entlegener
Zeiten und Zonen träumte er sich in eine phantastische Freiheit hinein, die aber
nur in seiner Vereinsamung lag. So bezog sich, was erdachte und dichtete, in
letzter Instanz lediglich ans seine eigne Subjectivität, und von dieser konnte er, da
er das Leben der Wirklichkeit nicht mitmachte, und daher auch keine Geschichte hatte,
der Welt Nichts weiter mittheilen, als seine literarischen Sympathien und Anti¬
pathien. Die Welt läßt sich wol die subjective Dichtung gefallen, wenn die sich
hervordrängende Persönlichkeit sie interessirt und fesselt, wie es bei Lord Byron
der Fall war; wo sie aber nichts Anderes gibt, als ein forcirtes Anempfinder
fremder Gedanken und Gefühle, da muß sie zuletzt das Publieum langweilen
und erbittern; und so ist es Platen ebenso ergangen, als seinen Gegnern. Die
neue Dichtung wird sich nur dadurch wieder heben können, wenn sie dieser eitlen
träumerischen Einsamkeit, dieser gegenstandloseu Selbstbetrachtung entflieht und in
den offenen Markt des Lebens zurückkehrt, um sich in dem Gemeingefühl ihres
Volks und ihrer Zeit selbst wiederzufinden.




Werde zierlich wie das Schöne durch des Geistes edle Form,
Nichts von Allem, was das Leben Euch vergiftet, secht' Euch an,
Alles taucht die Hand des Dichters in der Schönheit Ocean.
Nicht allein der Glaube ist es, der die Welt besiegen lehrt,
Wißt, daß auch die Kunst in Flammen das Vergängliche verzehrt:
Um den Geist empor zu richte" von der Sinne rohem Schmaus,
Um der Dinge Maß zu lehren, sandte Gott die Dichter aus!

finden, die er zu bekämpfen glaul't. Das Unglück der Deutschen Nestanrations-
litcratur, oder, wenn wir den alten Ausdruck beibehalten wollen, der Deutschen
Romantik, bestand in ihrer vollständigen Trennung vom Leben. Sie nahm ihre
Stoffe wie ihre Formen theils verehrend, theils polemisireud ans der Literatur,
ihre Gestalten hatten daher kein wirkliches Leben, ihre Handlung keine innere
Einheit, und die Sprache wurde nur dadurch scheinbar erhöht, daß dnrch fort¬
währende Anspielungen auf literarische Kuriositäten, die der Uneingeweihte nicht
verstehen konnte, ein gewisser Nebel darüber gebreitet wurde. Um sich von seiner
Quelle zu unterscheiden, suchte der Dichter die barockesten Formen und Combina¬
tionen, gab Styl, Maß und Regel auf, und erdachte sich eine Convenienz des
Schönen, die dem wirklichen Gefühl eben so fremd war, als der Inhalt, den er
ihr unterwarf. In sclavischer Abhängigkeit von der Vorstellungsweise entlegener
Zeiten und Zonen träumte er sich in eine phantastische Freiheit hinein, die aber
nur in seiner Vereinsamung lag. So bezog sich, was erdachte und dichtete, in
letzter Instanz lediglich ans seine eigne Subjectivität, und von dieser konnte er, da
er das Leben der Wirklichkeit nicht mitmachte, und daher auch keine Geschichte hatte,
der Welt Nichts weiter mittheilen, als seine literarischen Sympathien und Anti¬
pathien. Die Welt läßt sich wol die subjective Dichtung gefallen, wenn die sich
hervordrängende Persönlichkeit sie interessirt und fesselt, wie es bei Lord Byron
der Fall war; wo sie aber nichts Anderes gibt, als ein forcirtes Anempfinder
fremder Gedanken und Gefühle, da muß sie zuletzt das Publieum langweilen
und erbittern; und so ist es Platen ebenso ergangen, als seinen Gegnern. Die
neue Dichtung wird sich nur dadurch wieder heben können, wenn sie dieser eitlen
träumerischen Einsamkeit, dieser gegenstandloseu Selbstbetrachtung entflieht und in
den offenen Markt des Lebens zurückkehrt, um sich in dem Gemeingefühl ihres
Volks und ihrer Zeit selbst wiederzufinden.




Werde zierlich wie das Schöne durch des Geistes edle Form,
Nichts von Allem, was das Leben Euch vergiftet, secht' Euch an,
Alles taucht die Hand des Dichters in der Schönheit Ocean.
Nicht allein der Glaube ist es, der die Welt besiegen lehrt,
Wißt, daß auch die Kunst in Flammen das Vergängliche verzehrt:
Um den Geist empor zu richte» von der Sinne rohem Schmaus,
Um der Dinge Maß zu lehren, sandte Gott die Dichter aus!
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/226>, abgerufen am 06.10.2024.