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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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äußersten Nothfalle, wenn nämlich die Insurgenten sich zu Herren des Landes
machen wollten, was für die Raja gefährlicher wäre, als die Herrschaft der Dövvlet
allied (der hohen Pforte), für deren Gefügigkeit Nußland gesorgt hat.

Diese Frage ist von der Naja bereits gründlich discutirt worden. Viele
meinten, daß ein entscheidender Sieg der Jnsurrection die Sieger in die Hände
der Raja überliefern würde, da Jene ohne die Hilfe der Pforte sich gegen die drei¬
fach stärkere Raja nicht auf die Dauer zu erhalten vermochten; aber die Mehr¬
zahl erklärte sich gegen diese Ansicht und sprach es offen aus, daß man, ans die
Gefahr hin von beiden Theilen tyrannisirt zu werden, vor der Hand mit der Pforte
halten wolle, "denn die Lebenstage derselben seien doch gezählt und der Streich
müsse dann erst geführt werde", wenn man des Gelingens ganz sicher wäre.
Ueberdies wäre dem Christenthume wenig gedient, wenn Bosnien allein sich retten
und die übrigen Länder in der Knechtschaft lassen wollte; denn das Ganze wäre
doch mehr werth als einzelne abgetrennte Theile." Ich will nicht untersuchen,
ob dieses Raisonnement ganz richtig sei, man sieht aber daraus, daß die Raja
weit aus über Bosnien denke und Pläne verfolge, die um so wichtiger sind, als
sie ihnen zu Liebe eine Existenz erträgt, die tief unter jener der amerikanischen
Negersclaven steht. Dieser passive Heroismus entspricht freilich unsern Ansichten
nicht; da er aber weder aus moralischer noch physischer Schwäche entspringt,
müssen wir jedenfalls demselben ein sehr bedeutsames und wohl combinirtes Motiv
unterschieden.

Eine zweite Frage ist, ob ein selbstständiges Bosnien staatliche Lebenskeime in
sich tragen würde? Diese Frage wäre dnrch Das, was wir oben anführten, so ziemlich
bestimmt verneint worden. Gesetzt auch, daß es den Insurgenten gelungen wäre,
einen unabhängigen Staat zu gründen, so wäre schon bei seinem Entstehen der
Keim des Untergangs in denselben gelegt. Die Raja hätte es gewiß nicht ruhig
zugesehen, daß ihre ärgsten Dränger ihre Herren geworden wären, und hätte
einen Kampf hervorgerufen, der schwerlich zu Gunsten der Türken ausfallen würde.
An physischen Mitteln ist die Raja den Türken mehr als doppelt überlegen, an
geistigen mindestens gleich. Hätte nnn vielleicht anch Europa das triste Schau¬
spiel erlebt, daß ein muhamedanischer Staat in Bosnien von England unterstützt
würde, so würde gewiß Rußland in diesem Falle dasselbe für die Raja thun, und
die ohnehin auf einem Haare Hangende Existenz der Türken wäre um so früher
dahin. Es ist daher durchaus uicht abzusehen, auf welcher Basis solch ein muha¬
medanischer Staat beruhen sollte. Von einem liberalen Interesse kann bei den
böhmischen Muhamedanern keine Rede sein, und ihre Herrschaft wäre jedenfalls
execrabler, als es die des jetzigen Divans ist; wohin sollte es also damit wol
kommen?

Alles, was bei solchen Umständen gewünscht und angestrebt werden kann, ist:
daß die Pforte auf der Bahn der Reform ausharrt und das Loos der Raja


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äußersten Nothfalle, wenn nämlich die Insurgenten sich zu Herren des Landes
machen wollten, was für die Raja gefährlicher wäre, als die Herrschaft der Dövvlet
allied (der hohen Pforte), für deren Gefügigkeit Nußland gesorgt hat.

Diese Frage ist von der Naja bereits gründlich discutirt worden. Viele
meinten, daß ein entscheidender Sieg der Jnsurrection die Sieger in die Hände
der Raja überliefern würde, da Jene ohne die Hilfe der Pforte sich gegen die drei¬
fach stärkere Raja nicht auf die Dauer zu erhalten vermochten; aber die Mehr¬
zahl erklärte sich gegen diese Ansicht und sprach es offen aus, daß man, ans die
Gefahr hin von beiden Theilen tyrannisirt zu werden, vor der Hand mit der Pforte
halten wolle, „denn die Lebenstage derselben seien doch gezählt und der Streich
müsse dann erst geführt werde», wenn man des Gelingens ganz sicher wäre.
Ueberdies wäre dem Christenthume wenig gedient, wenn Bosnien allein sich retten
und die übrigen Länder in der Knechtschaft lassen wollte; denn das Ganze wäre
doch mehr werth als einzelne abgetrennte Theile." Ich will nicht untersuchen,
ob dieses Raisonnement ganz richtig sei, man sieht aber daraus, daß die Raja
weit aus über Bosnien denke und Pläne verfolge, die um so wichtiger sind, als
sie ihnen zu Liebe eine Existenz erträgt, die tief unter jener der amerikanischen
Negersclaven steht. Dieser passive Heroismus entspricht freilich unsern Ansichten
nicht; da er aber weder aus moralischer noch physischer Schwäche entspringt,
müssen wir jedenfalls demselben ein sehr bedeutsames und wohl combinirtes Motiv
unterschieden.

Eine zweite Frage ist, ob ein selbstständiges Bosnien staatliche Lebenskeime in
sich tragen würde? Diese Frage wäre dnrch Das, was wir oben anführten, so ziemlich
bestimmt verneint worden. Gesetzt auch, daß es den Insurgenten gelungen wäre,
einen unabhängigen Staat zu gründen, so wäre schon bei seinem Entstehen der
Keim des Untergangs in denselben gelegt. Die Raja hätte es gewiß nicht ruhig
zugesehen, daß ihre ärgsten Dränger ihre Herren geworden wären, und hätte
einen Kampf hervorgerufen, der schwerlich zu Gunsten der Türken ausfallen würde.
An physischen Mitteln ist die Raja den Türken mehr als doppelt überlegen, an
geistigen mindestens gleich. Hätte nnn vielleicht anch Europa das triste Schau¬
spiel erlebt, daß ein muhamedanischer Staat in Bosnien von England unterstützt
würde, so würde gewiß Rußland in diesem Falle dasselbe für die Raja thun, und
die ohnehin auf einem Haare Hangende Existenz der Türken wäre um so früher
dahin. Es ist daher durchaus uicht abzusehen, auf welcher Basis solch ein muha¬
medanischer Staat beruhen sollte. Von einem liberalen Interesse kann bei den
böhmischen Muhamedanern keine Rede sein, und ihre Herrschaft wäre jedenfalls
execrabler, als es die des jetzigen Divans ist; wohin sollte es also damit wol
kommen?

Alles, was bei solchen Umständen gewünscht und angestrebt werden kann, ist:
daß die Pforte auf der Bahn der Reform ausharrt und das Loos der Raja


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[0199] äußersten Nothfalle, wenn nämlich die Insurgenten sich zu Herren des Landes machen wollten, was für die Raja gefährlicher wäre, als die Herrschaft der Dövvlet allied (der hohen Pforte), für deren Gefügigkeit Nußland gesorgt hat. Diese Frage ist von der Naja bereits gründlich discutirt worden. Viele meinten, daß ein entscheidender Sieg der Jnsurrection die Sieger in die Hände der Raja überliefern würde, da Jene ohne die Hilfe der Pforte sich gegen die drei¬ fach stärkere Raja nicht auf die Dauer zu erhalten vermochten; aber die Mehr¬ zahl erklärte sich gegen diese Ansicht und sprach es offen aus, daß man, ans die Gefahr hin von beiden Theilen tyrannisirt zu werden, vor der Hand mit der Pforte halten wolle, „denn die Lebenstage derselben seien doch gezählt und der Streich müsse dann erst geführt werde», wenn man des Gelingens ganz sicher wäre. Ueberdies wäre dem Christenthume wenig gedient, wenn Bosnien allein sich retten und die übrigen Länder in der Knechtschaft lassen wollte; denn das Ganze wäre doch mehr werth als einzelne abgetrennte Theile." Ich will nicht untersuchen, ob dieses Raisonnement ganz richtig sei, man sieht aber daraus, daß die Raja weit aus über Bosnien denke und Pläne verfolge, die um so wichtiger sind, als sie ihnen zu Liebe eine Existenz erträgt, die tief unter jener der amerikanischen Negersclaven steht. Dieser passive Heroismus entspricht freilich unsern Ansichten nicht; da er aber weder aus moralischer noch physischer Schwäche entspringt, müssen wir jedenfalls demselben ein sehr bedeutsames und wohl combinirtes Motiv unterschieden. Eine zweite Frage ist, ob ein selbstständiges Bosnien staatliche Lebenskeime in sich tragen würde? Diese Frage wäre dnrch Das, was wir oben anführten, so ziemlich bestimmt verneint worden. Gesetzt auch, daß es den Insurgenten gelungen wäre, einen unabhängigen Staat zu gründen, so wäre schon bei seinem Entstehen der Keim des Untergangs in denselben gelegt. Die Raja hätte es gewiß nicht ruhig zugesehen, daß ihre ärgsten Dränger ihre Herren geworden wären, und hätte einen Kampf hervorgerufen, der schwerlich zu Gunsten der Türken ausfallen würde. An physischen Mitteln ist die Raja den Türken mehr als doppelt überlegen, an geistigen mindestens gleich. Hätte nnn vielleicht anch Europa das triste Schau¬ spiel erlebt, daß ein muhamedanischer Staat in Bosnien von England unterstützt würde, so würde gewiß Rußland in diesem Falle dasselbe für die Raja thun, und die ohnehin auf einem Haare Hangende Existenz der Türken wäre um so früher dahin. Es ist daher durchaus uicht abzusehen, auf welcher Basis solch ein muha¬ medanischer Staat beruhen sollte. Von einem liberalen Interesse kann bei den böhmischen Muhamedanern keine Rede sein, und ihre Herrschaft wäre jedenfalls execrabler, als es die des jetzigen Divans ist; wohin sollte es also damit wol kommen? Alles, was bei solchen Umständen gewünscht und angestrebt werden kann, ist: daß die Pforte auf der Bahn der Reform ausharrt und das Loos der Raja 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/199>, abgerufen am 27.07.2024.