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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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seiner serbischen Muttersprache türkisch, russisch, französisch und deutsch, und be¬
schäftigt sich in freien Stunden viel mit Literatur. Er hat nur eine Frau --
die Tochter eines deutschen protestantischen Beamten aus Bukareftht -- und lebt
ganz so, wie seine serbischen Landsleute, was natürlich den Türken nicht besonders
gefällt, welche ihn deshalb durchaus nicht als einen othodoxcn Mnselman ansehen
mögen und als einen blos halbwegs Gläubigen betrachten.

Die alttürkische Partei nahm es daher dem Divan sehr übel, daß er gegen
wahre Muslimin einen Halbtürken, wie Omer-Pascha, schicke, dessen militairische
Talente ihnen überdies die größten Besorgnisse einflößten. Dies diente den Or¬
thodoxen dazu, den Divan und und dessen Feldherrn zu depopularisiren und den
Kampf gegen beide zu einem religiösen Gebote z" machen. "Wenn der SultM
und sein Divan Dfchauri (Ungläubige) geworden sind, so ziemt es uns, den
Islam gegen ihre Angriffe in Schutz zu nehmen, denn selig stirbt, wer für seinen
Din (Glauben) stirbt," sagte mir vorigen Jahres ein böhmischer Türke mit so
großem Ernste, daß ich es beinahe hätte glauben mögen, würde ich nicht gewußt
haben, daß es nur sehr Wenigen um ihren. Din zu thun ist, den Meisten aber nur
um ihren Vortheil. Man fanatisirte indessen die Massen, und diese fochten Koua,
Ms für den Islam und ihren Propheten mit einem Muthe und einer Ausdauer,
die einer weit bessern Sache werth gewesen wären. Die dem ganzen serbischen
Stamme eigene Tapferkeit und Klugheit machte sich auch hier in hohem Maße
geltend. Die Bewegung hatte kein offen erklärtes Haupt; sie war aber durch
ganz Bosnien und die Krajina verbreitet und es zeigte sich bald, daß sie aus
einem genan bestimmten Plane beruht. Ali-Neditsch, ein krajinaer Türke, leitete
zwar die Jnsurrection in der Krajiua, und machte am Meisten von sich reden,
allein es muthete ihm Niemand Talent und Geschick zu, den Plan der ganzen
Bewegung entworfen zu haben. Dies führte natürlich auf den Gedanken, daß
die Angelegenheit von einer unsichtbaren Hand geleitet werde, welche Muth¬
maßung zu Ende des vorigen Jahres zur völligen Gewißheit wurde, da verschie¬
dene gründliche Combinationen das unsichtbare Haupt der Jnsurrection in dem
Wezir der Erzegowina, Ali-Pascha Stoltschewitsch, erkennen ließen.

Ali-Pascha von Stolaz, ein kluger, welterfahreuer Greis vou hohem Talente
und unerschütterlicher Willenskraft, war leicht zu der Ueberzeugung gelangt, daß
weder der Koran, noch die Kriegsfahne des Propheten das Osmanenreich zu
retten vermögen. Er sah es an seinen Landsleuten in Serbien, daß man nur
zu wollen brauche, um von der Pforte Alles zu erlangen. Als daher die alt¬
türkische Partei im ganzen Reiche der böhmischen Spahije sich annahm, wußte
er die Umstände auszubeuten und sicherte' sich alsbald einen wesentlichen Einfluß
auf die böhmischen Türken, ohne handelnd aufzutreten oder sich zu verrathen. Er
erhielt in seinem Paschalük die Ruhe aufrecht und bot sogar dem Divan militai¬
rische und financielle Hilft an, wodurch er sich in Stambul so großes Vertrauen


seiner serbischen Muttersprache türkisch, russisch, französisch und deutsch, und be¬
schäftigt sich in freien Stunden viel mit Literatur. Er hat nur eine Frau —
die Tochter eines deutschen protestantischen Beamten aus Bukareftht — und lebt
ganz so, wie seine serbischen Landsleute, was natürlich den Türken nicht besonders
gefällt, welche ihn deshalb durchaus nicht als einen othodoxcn Mnselman ansehen
mögen und als einen blos halbwegs Gläubigen betrachten.

Die alttürkische Partei nahm es daher dem Divan sehr übel, daß er gegen
wahre Muslimin einen Halbtürken, wie Omer-Pascha, schicke, dessen militairische
Talente ihnen überdies die größten Besorgnisse einflößten. Dies diente den Or¬
thodoxen dazu, den Divan und und dessen Feldherrn zu depopularisiren und den
Kampf gegen beide zu einem religiösen Gebote z» machen. „Wenn der SultM
und sein Divan Dfchauri (Ungläubige) geworden sind, so ziemt es uns, den
Islam gegen ihre Angriffe in Schutz zu nehmen, denn selig stirbt, wer für seinen
Din (Glauben) stirbt," sagte mir vorigen Jahres ein böhmischer Türke mit so
großem Ernste, daß ich es beinahe hätte glauben mögen, würde ich nicht gewußt
haben, daß es nur sehr Wenigen um ihren. Din zu thun ist, den Meisten aber nur
um ihren Vortheil. Man fanatisirte indessen die Massen, und diese fochten Koua,
Ms für den Islam und ihren Propheten mit einem Muthe und einer Ausdauer,
die einer weit bessern Sache werth gewesen wären. Die dem ganzen serbischen
Stamme eigene Tapferkeit und Klugheit machte sich auch hier in hohem Maße
geltend. Die Bewegung hatte kein offen erklärtes Haupt; sie war aber durch
ganz Bosnien und die Krajina verbreitet und es zeigte sich bald, daß sie aus
einem genan bestimmten Plane beruht. Ali-Neditsch, ein krajinaer Türke, leitete
zwar die Jnsurrection in der Krajiua, und machte am Meisten von sich reden,
allein es muthete ihm Niemand Talent und Geschick zu, den Plan der ganzen
Bewegung entworfen zu haben. Dies führte natürlich auf den Gedanken, daß
die Angelegenheit von einer unsichtbaren Hand geleitet werde, welche Muth¬
maßung zu Ende des vorigen Jahres zur völligen Gewißheit wurde, da verschie¬
dene gründliche Combinationen das unsichtbare Haupt der Jnsurrection in dem
Wezir der Erzegowina, Ali-Pascha Stoltschewitsch, erkennen ließen.

Ali-Pascha von Stolaz, ein kluger, welterfahreuer Greis vou hohem Talente
und unerschütterlicher Willenskraft, war leicht zu der Ueberzeugung gelangt, daß
weder der Koran, noch die Kriegsfahne des Propheten das Osmanenreich zu
retten vermögen. Er sah es an seinen Landsleuten in Serbien, daß man nur
zu wollen brauche, um von der Pforte Alles zu erlangen. Als daher die alt¬
türkische Partei im ganzen Reiche der böhmischen Spahije sich annahm, wußte
er die Umstände auszubeuten und sicherte' sich alsbald einen wesentlichen Einfluß
auf die böhmischen Türken, ohne handelnd aufzutreten oder sich zu verrathen. Er
erhielt in seinem Paschalük die Ruhe aufrecht und bot sogar dem Divan militai¬
rische und financielle Hilft an, wodurch er sich in Stambul so großes Vertrauen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/195>, abgerufen am 01.09.2024.