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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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damals in Amerika eine neue Heimath zu gründen, von dem Unmuth über die
enttäuschten Hoffnungen des Jahres 1830 aus Europa getrieben. Mit dem
Rest des kleinen Vermögens, das er von seinen Großältern geerbt hatte, kaufte
er sich einige hundert Morgen Urwalds und verpachtete sie an einen Zimmermann.
Es mißglückte ihm aber Alles, und müde kehrte er nach Europa zurück, wo er
mittlerweile ein berühmter Mann geworden war. Es folgten nnn sein Faust
1836 (gleichzeitig mit dem "Schutt" von Anastasius Grün), Savanarola 1837,
neue Gedichte 1838, die Albigenser 1841. Er hatte sich gerade verlobt und
fing an, auf Lebensglück zu hoffen, als ihn 1844 der Wahnsinn ereilte. Sechs
Jahre hat er gelitten.

Die Eigenthümlichkeit seiner Poesien ist zum Theil aus seiner Individualität,
zum Theil aus der allgemeinen Richtung der Zeit zu erklären.

Das Charakteristische seiner Individualität ist eine seltene Stärke und Innig¬
keit des Gefühls, verbunden mit einer unverkennbaren Armuth der geistigen An¬
schauung. Daraus ist jeuer ungestüme Drang zu erklären, der sich dem Anschein
nach gegen die wirkliche Welt, eigentlich aber gegen das Gefühl der mangelnden
Kraft empört und sich niemals befriedigt; daher jene gewaltsame Sprache, die
freilich auch einigermaßen Provinzialismus ist, jene wilden, zum Theil unheim¬
lichen Bilder, über die sich schon der Schatten einer dunkeln Zukunft breitet, und
die uns am Häßlichsten durchsrösteln, wenn sie sich an einen scheinbar heitern
Stoff knüpfen; daher jenes ungestüme Springen von einer Empfindung in die
andere, jene Haft des Gedankens, die Form und Maß verschmäht und die doch
immer in den Banden einer tiefen Schwermut!) bleibt; jene Idee der allgemeinen
Nichtigkeit, die seit Byron die Lieblingsstimmung fast aller neuern Dichter zu sein
pflegt, die aber bei keinem eine so dunkle Färbung der Verzweiflung annimmt,
als bei Lenau. Daher auch jene Neigung zu Stoffen und Problemen, die ihm
bereits durch frühere Dichtungen vermittelt waren. Berthold Auerbach hat ihn
davon abzubringen gesucht und ihn ans die gegenständliche Welt aufmerksam ge¬
macht, er scheint aber darin Lenau's Wesen mißverstanden zu haben, dem es
gar nicht auf die Lösung jener Probleme ankam, kaum aus den Inhalt derselben,
sondern nur auf die Empfindung, die sie in ihm erregten. Diese ist überall mit
großer Energie wiedergegeben, der Inhalt selbst verschwindet dagegen. Nur
wenn wir dies im Auge behalten, verstehen wir das Fragmentarische seines
Schaffens. Am bezeichnendsten tritt es in den Albigensern hervor/ bei einem
eigentlich sehr epischen Stoff, den er aber in eine Reihe lyrischer Empfindungen
zerbröckelt. Zuweilen ist die Empfindung edel und selbst groß, z. B. die Scene,
in welcher der Tod des Papstes geschildert wird mit einer tragischen Ironie und
Härte, die sich den Eingebungen der besten Dichter an die Seite stellen könnte.
Eben so der Schluß des ganzen Gedichts, der die einzelne Ketzerei zu dem Ge¬
danken des Freiheitskampfes überhaupt verallgemeinert. Dann kommen dazwischen


damals in Amerika eine neue Heimath zu gründen, von dem Unmuth über die
enttäuschten Hoffnungen des Jahres 1830 aus Europa getrieben. Mit dem
Rest des kleinen Vermögens, das er von seinen Großältern geerbt hatte, kaufte
er sich einige hundert Morgen Urwalds und verpachtete sie an einen Zimmermann.
Es mißglückte ihm aber Alles, und müde kehrte er nach Europa zurück, wo er
mittlerweile ein berühmter Mann geworden war. Es folgten nnn sein Faust
1836 (gleichzeitig mit dem „Schutt" von Anastasius Grün), Savanarola 1837,
neue Gedichte 1838, die Albigenser 1841. Er hatte sich gerade verlobt und
fing an, auf Lebensglück zu hoffen, als ihn 1844 der Wahnsinn ereilte. Sechs
Jahre hat er gelitten.

Die Eigenthümlichkeit seiner Poesien ist zum Theil aus seiner Individualität,
zum Theil aus der allgemeinen Richtung der Zeit zu erklären.

Das Charakteristische seiner Individualität ist eine seltene Stärke und Innig¬
keit des Gefühls, verbunden mit einer unverkennbaren Armuth der geistigen An¬
schauung. Daraus ist jeuer ungestüme Drang zu erklären, der sich dem Anschein
nach gegen die wirkliche Welt, eigentlich aber gegen das Gefühl der mangelnden
Kraft empört und sich niemals befriedigt; daher jene gewaltsame Sprache, die
freilich auch einigermaßen Provinzialismus ist, jene wilden, zum Theil unheim¬
lichen Bilder, über die sich schon der Schatten einer dunkeln Zukunft breitet, und
die uns am Häßlichsten durchsrösteln, wenn sie sich an einen scheinbar heitern
Stoff knüpfen; daher jenes ungestüme Springen von einer Empfindung in die
andere, jene Haft des Gedankens, die Form und Maß verschmäht und die doch
immer in den Banden einer tiefen Schwermut!) bleibt; jene Idee der allgemeinen
Nichtigkeit, die seit Byron die Lieblingsstimmung fast aller neuern Dichter zu sein
pflegt, die aber bei keinem eine so dunkle Färbung der Verzweiflung annimmt,
als bei Lenau. Daher auch jene Neigung zu Stoffen und Problemen, die ihm
bereits durch frühere Dichtungen vermittelt waren. Berthold Auerbach hat ihn
davon abzubringen gesucht und ihn ans die gegenständliche Welt aufmerksam ge¬
macht, er scheint aber darin Lenau's Wesen mißverstanden zu haben, dem es
gar nicht auf die Lösung jener Probleme ankam, kaum aus den Inhalt derselben,
sondern nur auf die Empfindung, die sie in ihm erregten. Diese ist überall mit
großer Energie wiedergegeben, der Inhalt selbst verschwindet dagegen. Nur
wenn wir dies im Auge behalten, verstehen wir das Fragmentarische seines
Schaffens. Am bezeichnendsten tritt es in den Albigensern hervor/ bei einem
eigentlich sehr epischen Stoff, den er aber in eine Reihe lyrischer Empfindungen
zerbröckelt. Zuweilen ist die Empfindung edel und selbst groß, z. B. die Scene,
in welcher der Tod des Papstes geschildert wird mit einer tragischen Ironie und
Härte, die sich den Eingebungen der besten Dichter an die Seite stellen könnte.
Eben so der Schluß des ganzen Gedichts, der die einzelne Ketzerei zu dem Ge¬
danken des Freiheitskampfes überhaupt verallgemeinert. Dann kommen dazwischen


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[0176] damals in Amerika eine neue Heimath zu gründen, von dem Unmuth über die enttäuschten Hoffnungen des Jahres 1830 aus Europa getrieben. Mit dem Rest des kleinen Vermögens, das er von seinen Großältern geerbt hatte, kaufte er sich einige hundert Morgen Urwalds und verpachtete sie an einen Zimmermann. Es mißglückte ihm aber Alles, und müde kehrte er nach Europa zurück, wo er mittlerweile ein berühmter Mann geworden war. Es folgten nnn sein Faust 1836 (gleichzeitig mit dem „Schutt" von Anastasius Grün), Savanarola 1837, neue Gedichte 1838, die Albigenser 1841. Er hatte sich gerade verlobt und fing an, auf Lebensglück zu hoffen, als ihn 1844 der Wahnsinn ereilte. Sechs Jahre hat er gelitten. Die Eigenthümlichkeit seiner Poesien ist zum Theil aus seiner Individualität, zum Theil aus der allgemeinen Richtung der Zeit zu erklären. Das Charakteristische seiner Individualität ist eine seltene Stärke und Innig¬ keit des Gefühls, verbunden mit einer unverkennbaren Armuth der geistigen An¬ schauung. Daraus ist jeuer ungestüme Drang zu erklären, der sich dem Anschein nach gegen die wirkliche Welt, eigentlich aber gegen das Gefühl der mangelnden Kraft empört und sich niemals befriedigt; daher jene gewaltsame Sprache, die freilich auch einigermaßen Provinzialismus ist, jene wilden, zum Theil unheim¬ lichen Bilder, über die sich schon der Schatten einer dunkeln Zukunft breitet, und die uns am Häßlichsten durchsrösteln, wenn sie sich an einen scheinbar heitern Stoff knüpfen; daher jenes ungestüme Springen von einer Empfindung in die andere, jene Haft des Gedankens, die Form und Maß verschmäht und die doch immer in den Banden einer tiefen Schwermut!) bleibt; jene Idee der allgemeinen Nichtigkeit, die seit Byron die Lieblingsstimmung fast aller neuern Dichter zu sein pflegt, die aber bei keinem eine so dunkle Färbung der Verzweiflung annimmt, als bei Lenau. Daher auch jene Neigung zu Stoffen und Problemen, die ihm bereits durch frühere Dichtungen vermittelt waren. Berthold Auerbach hat ihn davon abzubringen gesucht und ihn ans die gegenständliche Welt aufmerksam ge¬ macht, er scheint aber darin Lenau's Wesen mißverstanden zu haben, dem es gar nicht auf die Lösung jener Probleme ankam, kaum aus den Inhalt derselben, sondern nur auf die Empfindung, die sie in ihm erregten. Diese ist überall mit großer Energie wiedergegeben, der Inhalt selbst verschwindet dagegen. Nur wenn wir dies im Auge behalten, verstehen wir das Fragmentarische seines Schaffens. Am bezeichnendsten tritt es in den Albigensern hervor/ bei einem eigentlich sehr epischen Stoff, den er aber in eine Reihe lyrischer Empfindungen zerbröckelt. Zuweilen ist die Empfindung edel und selbst groß, z. B. die Scene, in welcher der Tod des Papstes geschildert wird mit einer tragischen Ironie und Härte, die sich den Eingebungen der besten Dichter an die Seite stellen könnte. Eben so der Schluß des ganzen Gedichts, der die einzelne Ketzerei zu dem Ge¬ danken des Freiheitskampfes überhaupt verallgemeinert. Dann kommen dazwischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/176>, abgerufen am 01.09.2024.