Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

bescheidenen Hütte begehrt, aber das geht entweder mit in der Reihe seiner
sonstigen Einfälle, oder es verliert sich in unfruchtbare Müdigkeit. Der patholo¬
gische Schluß, deu Lenau vorgezogen hat, ist, wenn man überhaupt diesen leidigen
Gegenstand tragisch behandeln will, entschieden der richtige. Wenn in der Oper
Don Juan vom Teufel geholt wird, so ist das im Grunde das Nämliche, wie
jenes Frösteln, oder wie der Schluß der gegenwärtigen Ausgabe, daß sich nämlich
Don Juan von einem Feind erstechen läßt, weil ihm das Leben langweilig ist. --
Wir können kaum hoffen, daß dieser Versuch, in dem sich übrigens 'einige sehr
seine Empfindungen vorfinden, der letzte sein wird, der sich auf dieses dem An¬
schein nach sehr tragische, eigentlich aber höchst langweilige Problem basirt.

In den lyrischen Gedichten sind nur wenige von poetischem Werth, namentlich
der "Blick in den Strom", das ich hier anführe, weil es das letzte ist, das
Lenau gedichtet hat, als er schon mit dein Wahnsinn kämpfte, und zugleich eins
seiner schönsten.'

Der Grundgedanke dieses Gedichts ist der Leitton durch alle Poesien Lenau's,
der finstere Schatten der allgemeinen Vergänglichkeit und Nichtigkeit, der sich über
alle Freuden dieses Lebens breitet und sie verkümmert. -- In einem andern
Sonett ans derselben Zeit wird dieser Gedanke noch schärfer in dem Bewußtsein
von dem allmäligen Schwinden der eigenen Kräfte ausgesprochen, und es macht
einen unbeschreiblich rührenden Eindruck, wenn man die unglückliche Wirklichkeit
dazu nimmt. -- In den übrigen Gedichten spricht sich wieder jener schrankenlose
Zorn gegen das Schlechte aus, der, dnrch das geheime Gefühl der eignen Ohn¬
macht gedrängt, zu den wildesten und formlosesten Bildern greift, die dadurch noch
verworrener werden, daß sie in der Regel als religiöse Inbrunst erscheinen und
sich doch gegen jede bekannte Gestalt der Religion richten. Diese Unbestimmtheit
in seinem Verhältniß zum Christenthum brachte bei seinem Savauarola das son-


bescheidenen Hütte begehrt, aber das geht entweder mit in der Reihe seiner
sonstigen Einfälle, oder es verliert sich in unfruchtbare Müdigkeit. Der patholo¬
gische Schluß, deu Lenau vorgezogen hat, ist, wenn man überhaupt diesen leidigen
Gegenstand tragisch behandeln will, entschieden der richtige. Wenn in der Oper
Don Juan vom Teufel geholt wird, so ist das im Grunde das Nämliche, wie
jenes Frösteln, oder wie der Schluß der gegenwärtigen Ausgabe, daß sich nämlich
Don Juan von einem Feind erstechen läßt, weil ihm das Leben langweilig ist. —
Wir können kaum hoffen, daß dieser Versuch, in dem sich übrigens 'einige sehr
seine Empfindungen vorfinden, der letzte sein wird, der sich auf dieses dem An¬
schein nach sehr tragische, eigentlich aber höchst langweilige Problem basirt.

In den lyrischen Gedichten sind nur wenige von poetischem Werth, namentlich
der „Blick in den Strom", das ich hier anführe, weil es das letzte ist, das
Lenau gedichtet hat, als er schon mit dein Wahnsinn kämpfte, und zugleich eins
seiner schönsten.'

Der Grundgedanke dieses Gedichts ist der Leitton durch alle Poesien Lenau's,
der finstere Schatten der allgemeinen Vergänglichkeit und Nichtigkeit, der sich über
alle Freuden dieses Lebens breitet und sie verkümmert. — In einem andern
Sonett ans derselben Zeit wird dieser Gedanke noch schärfer in dem Bewußtsein
von dem allmäligen Schwinden der eigenen Kräfte ausgesprochen, und es macht
einen unbeschreiblich rührenden Eindruck, wenn man die unglückliche Wirklichkeit
dazu nimmt. — In den übrigen Gedichten spricht sich wieder jener schrankenlose
Zorn gegen das Schlechte aus, der, dnrch das geheime Gefühl der eignen Ohn¬
macht gedrängt, zu den wildesten und formlosesten Bildern greift, die dadurch noch
verworrener werden, daß sie in der Regel als religiöse Inbrunst erscheinen und
sich doch gegen jede bekannte Gestalt der Religion richten. Diese Unbestimmtheit
in seinem Verhältniß zum Christenthum brachte bei seinem Savauarola das son-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0174" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91367"/>
          <p xml:id="ID_481" prev="#ID_480"> bescheidenen Hütte begehrt, aber das geht entweder mit in der Reihe seiner<lb/>
sonstigen Einfälle, oder es verliert sich in unfruchtbare Müdigkeit. Der patholo¬<lb/>
gische Schluß, deu Lenau vorgezogen hat, ist, wenn man überhaupt diesen leidigen<lb/>
Gegenstand tragisch behandeln will, entschieden der richtige. Wenn in der Oper<lb/>
Don Juan vom Teufel geholt wird, so ist das im Grunde das Nämliche, wie<lb/>
jenes Frösteln, oder wie der Schluß der gegenwärtigen Ausgabe, daß sich nämlich<lb/>
Don Juan von einem Feind erstechen läßt, weil ihm das Leben langweilig ist. &#x2014;<lb/>
Wir können kaum hoffen, daß dieser Versuch, in dem sich übrigens 'einige sehr<lb/>
seine Empfindungen vorfinden, der letzte sein wird, der sich auf dieses dem An¬<lb/>
schein nach sehr tragische, eigentlich aber höchst langweilige Problem basirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_482"> In den lyrischen Gedichten sind nur wenige von poetischem Werth, namentlich<lb/>
der &#x201E;Blick in den Strom", das ich hier anführe, weil es das letzte ist, das<lb/>
Lenau gedichtet hat, als er schon mit dein Wahnsinn kämpfte, und zugleich eins<lb/>
seiner schönsten.'</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_8" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_483" next="#ID_484"> Der Grundgedanke dieses Gedichts ist der Leitton durch alle Poesien Lenau's,<lb/>
der finstere Schatten der allgemeinen Vergänglichkeit und Nichtigkeit, der sich über<lb/>
alle Freuden dieses Lebens breitet und sie verkümmert. &#x2014; In einem andern<lb/>
Sonett ans derselben Zeit wird dieser Gedanke noch schärfer in dem Bewußtsein<lb/>
von dem allmäligen Schwinden der eigenen Kräfte ausgesprochen, und es macht<lb/>
einen unbeschreiblich rührenden Eindruck, wenn man die unglückliche Wirklichkeit<lb/>
dazu nimmt. &#x2014; In den übrigen Gedichten spricht sich wieder jener schrankenlose<lb/>
Zorn gegen das Schlechte aus, der, dnrch das geheime Gefühl der eignen Ohn¬<lb/>
macht gedrängt, zu den wildesten und formlosesten Bildern greift, die dadurch noch<lb/>
verworrener werden, daß sie in der Regel als religiöse Inbrunst erscheinen und<lb/>
sich doch gegen jede bekannte Gestalt der Religion richten. Diese Unbestimmtheit<lb/>
in seinem Verhältniß zum Christenthum brachte bei seinem Savauarola das son-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0174] bescheidenen Hütte begehrt, aber das geht entweder mit in der Reihe seiner sonstigen Einfälle, oder es verliert sich in unfruchtbare Müdigkeit. Der patholo¬ gische Schluß, deu Lenau vorgezogen hat, ist, wenn man überhaupt diesen leidigen Gegenstand tragisch behandeln will, entschieden der richtige. Wenn in der Oper Don Juan vom Teufel geholt wird, so ist das im Grunde das Nämliche, wie jenes Frösteln, oder wie der Schluß der gegenwärtigen Ausgabe, daß sich nämlich Don Juan von einem Feind erstechen läßt, weil ihm das Leben langweilig ist. — Wir können kaum hoffen, daß dieser Versuch, in dem sich übrigens 'einige sehr seine Empfindungen vorfinden, der letzte sein wird, der sich auf dieses dem An¬ schein nach sehr tragische, eigentlich aber höchst langweilige Problem basirt. In den lyrischen Gedichten sind nur wenige von poetischem Werth, namentlich der „Blick in den Strom", das ich hier anführe, weil es das letzte ist, das Lenau gedichtet hat, als er schon mit dein Wahnsinn kämpfte, und zugleich eins seiner schönsten.' Der Grundgedanke dieses Gedichts ist der Leitton durch alle Poesien Lenau's, der finstere Schatten der allgemeinen Vergänglichkeit und Nichtigkeit, der sich über alle Freuden dieses Lebens breitet und sie verkümmert. — In einem andern Sonett ans derselben Zeit wird dieser Gedanke noch schärfer in dem Bewußtsein von dem allmäligen Schwinden der eigenen Kräfte ausgesprochen, und es macht einen unbeschreiblich rührenden Eindruck, wenn man die unglückliche Wirklichkeit dazu nimmt. — In den übrigen Gedichten spricht sich wieder jener schrankenlose Zorn gegen das Schlechte aus, der, dnrch das geheime Gefühl der eignen Ohn¬ macht gedrängt, zu den wildesten und formlosesten Bildern greift, die dadurch noch verworrener werden, daß sie in der Regel als religiöse Inbrunst erscheinen und sich doch gegen jede bekannte Gestalt der Religion richten. Diese Unbestimmtheit in seinem Verhältniß zum Christenthum brachte bei seinem Savauarola das son-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/174
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/174>, abgerufen am 01.09.2024.