Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.von Alexander Dumas, dessen Talent im Uebrigen dem seinigen sehr verwandt ist. Wenn ich ihn aber einen Dichter der Bourgeoisie nenne, so darf man sich Die Vaudevilles sind als die Elemente zu betrachten, aus deuen Seribe's Zu der ersten Classe gehören: Lertr-iriä et Kawn, 1833, welches die Geschichte von Alexander Dumas, dessen Talent im Uebrigen dem seinigen sehr verwandt ist. Wenn ich ihn aber einen Dichter der Bourgeoisie nenne, so darf man sich Die Vaudevilles sind als die Elemente zu betrachten, aus deuen Seribe's Zu der ersten Classe gehören: Lertr-iriä et Kawn, 1833, welches die Geschichte <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0017" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91210"/> <p xml:id="ID_13" prev="#ID_12"> von Alexander Dumas, dessen Talent im Uebrigen dem seinigen sehr verwandt ist.<lb/> Beide haben eine glückliche Erfindung, gute Laune und leichte, aber doch sichere<lb/> Zeichnung; aber Dumas hat sich von der phantastischen Ritterlichkeit der modernen<lb/> Schule hinreißen lassen. Wenn eine Person ihm etwas gelten soll, so muß sie<lb/> wenigstens 20 Kavaliere im Duell umgebracht und 37 Weiber verführt haben. Er<lb/> hat sich stets in den journalistischen Kreisen bewegt, wo die Geschichten von der Lota<lb/> Montez und Beauvallon den Mittelpunkt des Denkens und Empfindens ausmachen.<lb/> Er hat außerdem Schiller's Räuber und Hoffmann'ö Nachtstücke gelesen, auch<lb/> von Göthe's Faust und von Byron etwas gehört und sich dadurch zu Conceptionen<lb/> verführen lassen, bei denen jede Spur des gesunden Menschenverstandes aufhört.<lb/> — Scribe dagegen hat sich stets in dem wirklichen bürgerlichen Leben bewegt,<lb/> und wenn auch seine Schilderungen unserer Prüderie und Sentimentalität zuweilen<lb/> sehr frivol erscheinen, so weiß er es doch sehr wohl zu unterscheiden, wo der Tpaß<lb/> aufhört und der Ernst anfängt; er hinterläßt zuweilen (z. B. in dem Stück l^tre<lb/> kirnte) einen sehr ernsten moralischen Eindruck, und wenn er nicht immer die Laster<lb/> und Fehler in vollkommen gleicher Wage mißt, so liegt das eben darin, daß er<lb/> keine Tragödien schreibt, sondern Komödien.</p><lb/> <p xml:id="ID_14"> Wenn ich ihn aber einen Dichter der Bourgeoisie nenne, so darf man sich<lb/> bei diesem Ausdruck uicht jenes Zerrbild denken, das unsre Royalisten und Demo-<lb/> kraten daraus gemacht haben. Die französische Bourgeoisie, welche im politischen<lb/> Leben und in der Kunst mitspricht, hat sich von der Spießbürgerlichkeit vollständig<lb/> emancipirt; die Spießbürger, die Epiciers u. s. w. sind keineswegs die Träger<lb/> der gegenwärtigen sittlichen Verhältnisse in Frankreich. Die französische Revolution<lb/> hat trotz ihrer nivellirenden Grundsätze keineswegs den Adel unter die Rotüriers<lb/> herabgesetzt, sondern sie hat den gesammten Bürgerstand in Masse geadelt. Jeder<lb/> Franzose bis in die untersten Stände herab ist ein Gentleman, wenn er es sein<lb/> will; auch der Handwerker fühlt sich als einen Mitträger des Nationalruhms, und<lb/> sein persönliches Ehrgefühl, sowie das Bewußtsein seiner Freiheit fordert von dem<lb/> stolzesten Edelmann Genugthuung. Dieses Gefühl tritt uns bei der gesammten<lb/> neuern französischen Literatur sehr wohlthuend entgegen, und man darf es nicht<lb/> übersehen, wenn man über die sittlichen Zustände Frankreichs ein gerechtes Urtheil<lb/> fällen will.</p><lb/> <p xml:id="ID_15"> Die Vaudevilles sind als die Elemente zu betrachten, aus deuen Seribe's<lb/> reifere Leistungen',, die fünfactigen Lustspiele auf dem Ilrentrs kraneais, hervor¬<lb/> gegangen sind. Dieselben zerfallen in zwei Classen, in die historischen Komödien<lb/> und in die Sittenschilderungen aus der Gegenwart.</p><lb/> <p xml:id="ID_16" next="#ID_17"> Zu der ersten Classe gehören: Lertr-iriä et Kawn, 1833, welches die Geschichte<lb/> von Struensee behandelt; 1'g.inbMeri.x, 1834, die Schilderung Walpole's; 1s verre<lb/> et'can, 1840; 1e As ä«z Lrvwvell, und daS neueste Stück: les contes as 1a<lb/> reine ne Mo-rrre, Ich stehe nicht an, diese sämmtlichen Stücke, welche im Dent-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0017]
von Alexander Dumas, dessen Talent im Uebrigen dem seinigen sehr verwandt ist.
Beide haben eine glückliche Erfindung, gute Laune und leichte, aber doch sichere
Zeichnung; aber Dumas hat sich von der phantastischen Ritterlichkeit der modernen
Schule hinreißen lassen. Wenn eine Person ihm etwas gelten soll, so muß sie
wenigstens 20 Kavaliere im Duell umgebracht und 37 Weiber verführt haben. Er
hat sich stets in den journalistischen Kreisen bewegt, wo die Geschichten von der Lota
Montez und Beauvallon den Mittelpunkt des Denkens und Empfindens ausmachen.
Er hat außerdem Schiller's Räuber und Hoffmann'ö Nachtstücke gelesen, auch
von Göthe's Faust und von Byron etwas gehört und sich dadurch zu Conceptionen
verführen lassen, bei denen jede Spur des gesunden Menschenverstandes aufhört.
— Scribe dagegen hat sich stets in dem wirklichen bürgerlichen Leben bewegt,
und wenn auch seine Schilderungen unserer Prüderie und Sentimentalität zuweilen
sehr frivol erscheinen, so weiß er es doch sehr wohl zu unterscheiden, wo der Tpaß
aufhört und der Ernst anfängt; er hinterläßt zuweilen (z. B. in dem Stück l^tre
kirnte) einen sehr ernsten moralischen Eindruck, und wenn er nicht immer die Laster
und Fehler in vollkommen gleicher Wage mißt, so liegt das eben darin, daß er
keine Tragödien schreibt, sondern Komödien.
Wenn ich ihn aber einen Dichter der Bourgeoisie nenne, so darf man sich
bei diesem Ausdruck uicht jenes Zerrbild denken, das unsre Royalisten und Demo-
kraten daraus gemacht haben. Die französische Bourgeoisie, welche im politischen
Leben und in der Kunst mitspricht, hat sich von der Spießbürgerlichkeit vollständig
emancipirt; die Spießbürger, die Epiciers u. s. w. sind keineswegs die Träger
der gegenwärtigen sittlichen Verhältnisse in Frankreich. Die französische Revolution
hat trotz ihrer nivellirenden Grundsätze keineswegs den Adel unter die Rotüriers
herabgesetzt, sondern sie hat den gesammten Bürgerstand in Masse geadelt. Jeder
Franzose bis in die untersten Stände herab ist ein Gentleman, wenn er es sein
will; auch der Handwerker fühlt sich als einen Mitträger des Nationalruhms, und
sein persönliches Ehrgefühl, sowie das Bewußtsein seiner Freiheit fordert von dem
stolzesten Edelmann Genugthuung. Dieses Gefühl tritt uns bei der gesammten
neuern französischen Literatur sehr wohlthuend entgegen, und man darf es nicht
übersehen, wenn man über die sittlichen Zustände Frankreichs ein gerechtes Urtheil
fällen will.
Die Vaudevilles sind als die Elemente zu betrachten, aus deuen Seribe's
reifere Leistungen',, die fünfactigen Lustspiele auf dem Ilrentrs kraneais, hervor¬
gegangen sind. Dieselben zerfallen in zwei Classen, in die historischen Komödien
und in die Sittenschilderungen aus der Gegenwart.
Zu der ersten Classe gehören: Lertr-iriä et Kawn, 1833, welches die Geschichte
von Struensee behandelt; 1'g.inbMeri.x, 1834, die Schilderung Walpole's; 1s verre
et'can, 1840; 1e As ä«z Lrvwvell, und daS neueste Stück: les contes as 1a
reine ne Mo-rrre, Ich stehe nicht an, diese sämmtlichen Stücke, welche im Dent-
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