Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.Reaction aber frohlockte, daß sie ein Mittel gefunden, dieses Institut zu discreditiren. Zwar haben die Geschwornen bisher blos über Gauner und Diebe oder Pre߬ Reaction aber frohlockte, daß sie ein Mittel gefunden, dieses Institut zu discreditiren. Zwar haben die Geschwornen bisher blos über Gauner und Diebe oder Pre߬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0161" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/91354"/> <p xml:id="ID_453" prev="#ID_452"> Reaction aber frohlockte, daß sie ein Mittel gefunden, dieses Institut zu discreditiren.<lb/> Gegen die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit und namentlich gegen die Geschwornen¬<lb/> gerichte ist die ganze Animosität der Militair- und Geburtsaristokratie gerichtet. Das<lb/> Kriegsministerium erließ neulich den Befehl, daß Officiere, wenn sie als Zuhörer<lb/> bei öffentlichen Gerichten erscheinen, die Säbel ablegen müssen. Die Verfügung<lb/> schiene sehr gerecht, wäre sie nicht in der perfiden Absicht gegeben, das Militair<lb/> von den Gerichtssälen sern zu halten, damit sie nicht daran etwa mehr Geschmack<lb/> fänden, als an den Kriegsgerichten. Mephisto zeigte auch bald den Pferdefuß;<lb/> denn dort, wo Officiere als Zeugen und als Begleiter militairischer Zeugen er¬<lb/> scheinen, wurde befohlen, sie mögen in vollem Waffenschmucke erscheinen. Die<lb/> Präsidenten der Gerichtshöfe gaben auch den Befehl, die Officiere mit den Waffen an<lb/> der Seite zu den Zuhörerräumen zuzulassen. Die Bevölkerung, welche die wahre<lb/> Ursache nicht kannte, schmähte deshalb die Gerichte, und was wünscht die Reac¬<lb/> tion mehr?</p><lb/> <p xml:id="ID_454" next="#ID_455"> Zwar haben die Geschwornen bisher blos über Gauner und Diebe oder Pre߬<lb/> processe, insoweit sie Privatehrenbelcidigungen betreffen, abzuurtheilen. Politische<lb/> und eigentliche Preßvergehen kommen, Dank dem über mehr als ^/g des Staats<lb/> verbreiteten Belagerungszustände, vor die Kriegsgerichte. Doch auch mit diesem<lb/> Minimum ist die Reaction nicht zufrieden, da die Verhältnisse der Hochgeborner<lb/> dadurch den Augen des Publicums eröffnet werden. So wird vor die nächsten<lb/> Assisen eine Hofräthin gestellt werden, deren Betrügereien und Gaunereien Alles<lb/> übersteigen, was bisher in dieser Beziehung seit lange geleistet wurde; und ein<lb/> Theil der sogenannten «ursus wird als Zeugen erscheinen. Die Herren, welche<lb/> sich geboren zu hohen Aemtern wähnen, sollen vor Bürgern, worunter vielleicht<lb/> Landleute, die ihre einstigen Unterthanen waren, hintreten müssen, um Rede zu<lb/> steheu: liegt nicht darin genug des Motivs gegen die Jury? Unser Adel hat<lb/> übrigens alleu Grund, seine Verhältnisse vor den Augen des Volkes zu verbergen.<lb/> Im Besitze des größten Theiles vom Grund und Boden, mit einem Einkommen<lb/> von der Größe manches kleinen Königs und souverainen Fürsten, der in der en¬<lb/> gern und weitern Bundesversammlung Stimmrecht hat, haben die Adeligen es<lb/> doch nicht dahin gebracht, an Kenntnissen und Intelligenz den Bürgerstand zu<lb/> überragen, der doch keine andern Hilfsmittel seiner Bildung hatte als un¬<lb/> sre schlechten Schulen. Aberl selbst diese wenig rühmenswerthen Anstalten<lb/> haben doch den Sinn unsrer Jugend zum Privatstudinm angeregt, sie haben<lb/> ihn zum Fleiße gewöhnt. Der Sohn des Adeligen, von kostspieligen Lehrern<lb/> zu Hause erzogen, lernte viel, wenn er französisch parliren, zierlich tanzen,<lb/> reiten und gut repräsentiren konnte. Hohe Stellen fielen ihm von selbst zu,<lb/> und verstand er nicht seineu Posten auszufüllen, so verstand es sein Secretair.<lb/> Die Kollowrate und Pillersdorfe gehören zu den seltenen. Es herrscht auch bei<lb/> keinem Adel eines Staates mehr Verachtung gegen das „Professorenthum", wo-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0161]
Reaction aber frohlockte, daß sie ein Mittel gefunden, dieses Institut zu discreditiren.
Gegen die Oeffentlichkeit und Mündlichkeit und namentlich gegen die Geschwornen¬
gerichte ist die ganze Animosität der Militair- und Geburtsaristokratie gerichtet. Das
Kriegsministerium erließ neulich den Befehl, daß Officiere, wenn sie als Zuhörer
bei öffentlichen Gerichten erscheinen, die Säbel ablegen müssen. Die Verfügung
schiene sehr gerecht, wäre sie nicht in der perfiden Absicht gegeben, das Militair
von den Gerichtssälen sern zu halten, damit sie nicht daran etwa mehr Geschmack
fänden, als an den Kriegsgerichten. Mephisto zeigte auch bald den Pferdefuß;
denn dort, wo Officiere als Zeugen und als Begleiter militairischer Zeugen er¬
scheinen, wurde befohlen, sie mögen in vollem Waffenschmucke erscheinen. Die
Präsidenten der Gerichtshöfe gaben auch den Befehl, die Officiere mit den Waffen an
der Seite zu den Zuhörerräumen zuzulassen. Die Bevölkerung, welche die wahre
Ursache nicht kannte, schmähte deshalb die Gerichte, und was wünscht die Reac¬
tion mehr?
Zwar haben die Geschwornen bisher blos über Gauner und Diebe oder Pre߬
processe, insoweit sie Privatehrenbelcidigungen betreffen, abzuurtheilen. Politische
und eigentliche Preßvergehen kommen, Dank dem über mehr als ^/g des Staats
verbreiteten Belagerungszustände, vor die Kriegsgerichte. Doch auch mit diesem
Minimum ist die Reaction nicht zufrieden, da die Verhältnisse der Hochgeborner
dadurch den Augen des Publicums eröffnet werden. So wird vor die nächsten
Assisen eine Hofräthin gestellt werden, deren Betrügereien und Gaunereien Alles
übersteigen, was bisher in dieser Beziehung seit lange geleistet wurde; und ein
Theil der sogenannten «ursus wird als Zeugen erscheinen. Die Herren, welche
sich geboren zu hohen Aemtern wähnen, sollen vor Bürgern, worunter vielleicht
Landleute, die ihre einstigen Unterthanen waren, hintreten müssen, um Rede zu
steheu: liegt nicht darin genug des Motivs gegen die Jury? Unser Adel hat
übrigens alleu Grund, seine Verhältnisse vor den Augen des Volkes zu verbergen.
Im Besitze des größten Theiles vom Grund und Boden, mit einem Einkommen
von der Größe manches kleinen Königs und souverainen Fürsten, der in der en¬
gern und weitern Bundesversammlung Stimmrecht hat, haben die Adeligen es
doch nicht dahin gebracht, an Kenntnissen und Intelligenz den Bürgerstand zu
überragen, der doch keine andern Hilfsmittel seiner Bildung hatte als un¬
sre schlechten Schulen. Aberl selbst diese wenig rühmenswerthen Anstalten
haben doch den Sinn unsrer Jugend zum Privatstudinm angeregt, sie haben
ihn zum Fleiße gewöhnt. Der Sohn des Adeligen, von kostspieligen Lehrern
zu Hause erzogen, lernte viel, wenn er französisch parliren, zierlich tanzen,
reiten und gut repräsentiren konnte. Hohe Stellen fielen ihm von selbst zu,
und verstand er nicht seineu Posten auszufüllen, so verstand es sein Secretair.
Die Kollowrate und Pillersdorfe gehören zu den seltenen. Es herrscht auch bei
keinem Adel eines Staates mehr Verachtung gegen das „Professorenthum", wo-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |