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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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dem Irrthum überlassen, er könne Principien beim Schöpfe greifen und verkör¬
pern. Da haben hohe und tiefe Aesthetiker die dämonische Lust am Bösen als
das Princip dieses Charakters entdeckt, und Döring geräth mit seinen dämoni¬
schen Monologen, welche den Plan der Intrigue stets vor der Ausführung leicht¬
sinnig dem Publicum vorplaudern, in grimassenhafte Unnatur. Das Schwanken
im Mephistopheles, das Irren im Jago kommt daher, daß der natürliche Jnstinct
im Döring'sehen Talente nicht mit einer selbstbewußten Intelligenz harmonisch ver¬
schmolzen ist. Der verstorbene Baison entwickelte mir einmal gesprächsweise seine
Auffassung des Jago. Er wollte in ihm den Gecken und Wüstling zeichnen, der
in seiner Eitelkeit verletzt ist, weil ihm Casfio vorgezogen wurde, der in seiner
Unsittlichkeit an 'jeder reinen Tugend ein Aergerniß nimmt, nicht aus dämonischer
Lust am Bösen, sondern aus innerer Zerfahrenheit, die immer nur den nächsten
Moment selbstischer Befriedigung bedenkt. Das ist einfach und natürlich; Döring
sollte es einmal damit versuchen.

Döring's bedeutendste Darstellungen auf dem Gebiete des Tragischen sind
Shylok und Franz Moor. Dort kommt ihm bei dem Ausdruck der Tragik die
scharf ausgesprochene Nationalität als genrehastes Moment, hier die Excentricität
der Leidenschaft zu Statten, aber in beiden Rollen bewährt sich sein außerordent¬
liches Talent, lebendige Charaktere in voller Sinnlichkeit des Daseins hinzustellen.
Am Shylok zeigt es sich, wie eine wahre Beobachtung der wirklichen Menschen¬
natur, die Erziehung des Talents durch richtiges Verstehen des Lebens auch ihre
dichterische Tiefe in sich trägt, und mit je intelligenterer Ausbildung des klaren
Verstandes das Studium der Wirklichkeit unternommen wird, um so tiefere Wahr¬
heit wird zu Tage gefördert. Wir haben in Döring's Shylok nirgends das
blos äußerliche Pathos der Leidenschaft. Die Wirklichkeit des Charakters färbt
jeden Ton, jede Bewegung, jede Miene zur scharf begrenzten individuellen Be¬
stimmtheit. Wir erblicken den Unglücklichen, der den Fluch von Jahrhunderten
auf dem Nacken trägt und im irdischen Besitz allein seine Stütze, seine Macht
empfindet. Aber nicht in sentimentaler Elegie tritt dieses tragische Geschick vor
uns hin; Shylok's Zorn ist groß und hart, frei von allem pathetischen Enthusias¬
mus. In der Geberde klingt fortwährend die Gewohnheit des Sichbeugens und
Schmiegens nach, während der breite Gang von jenem Stolze, jener Behäbig¬
keit Zeugniß ablegt, welche der Reichthum verleiht. In Blick und Stimme
mischen sich Verstellung, Ironie und Schadenfreude, steigern sich zum sarkastischen
Hohn des bittern Ingrimms und brechen endlich in ohnmächtiger Wuth zusammen.
Keines dieser Elemente fehlt ans der Scala des Künstlers, aber unmöglich wäre
es ihm, dieselben Affecte in einer Sphäre wiederzugeben, wo sie mit Vornehm¬
heit oder Hoheit gepaart erscheinen müßten. Nicht einmal das höfische Wesen
des Marinelli will ihm passen, noch weniger die vornehm kühle Verständigkeit des
Carlos.


dem Irrthum überlassen, er könne Principien beim Schöpfe greifen und verkör¬
pern. Da haben hohe und tiefe Aesthetiker die dämonische Lust am Bösen als
das Princip dieses Charakters entdeckt, und Döring geräth mit seinen dämoni¬
schen Monologen, welche den Plan der Intrigue stets vor der Ausführung leicht¬
sinnig dem Publicum vorplaudern, in grimassenhafte Unnatur. Das Schwanken
im Mephistopheles, das Irren im Jago kommt daher, daß der natürliche Jnstinct
im Döring'sehen Talente nicht mit einer selbstbewußten Intelligenz harmonisch ver¬
schmolzen ist. Der verstorbene Baison entwickelte mir einmal gesprächsweise seine
Auffassung des Jago. Er wollte in ihm den Gecken und Wüstling zeichnen, der
in seiner Eitelkeit verletzt ist, weil ihm Casfio vorgezogen wurde, der in seiner
Unsittlichkeit an 'jeder reinen Tugend ein Aergerniß nimmt, nicht aus dämonischer
Lust am Bösen, sondern aus innerer Zerfahrenheit, die immer nur den nächsten
Moment selbstischer Befriedigung bedenkt. Das ist einfach und natürlich; Döring
sollte es einmal damit versuchen.

Döring's bedeutendste Darstellungen auf dem Gebiete des Tragischen sind
Shylok und Franz Moor. Dort kommt ihm bei dem Ausdruck der Tragik die
scharf ausgesprochene Nationalität als genrehastes Moment, hier die Excentricität
der Leidenschaft zu Statten, aber in beiden Rollen bewährt sich sein außerordent¬
liches Talent, lebendige Charaktere in voller Sinnlichkeit des Daseins hinzustellen.
Am Shylok zeigt es sich, wie eine wahre Beobachtung der wirklichen Menschen¬
natur, die Erziehung des Talents durch richtiges Verstehen des Lebens auch ihre
dichterische Tiefe in sich trägt, und mit je intelligenterer Ausbildung des klaren
Verstandes das Studium der Wirklichkeit unternommen wird, um so tiefere Wahr¬
heit wird zu Tage gefördert. Wir haben in Döring's Shylok nirgends das
blos äußerliche Pathos der Leidenschaft. Die Wirklichkeit des Charakters färbt
jeden Ton, jede Bewegung, jede Miene zur scharf begrenzten individuellen Be¬
stimmtheit. Wir erblicken den Unglücklichen, der den Fluch von Jahrhunderten
auf dem Nacken trägt und im irdischen Besitz allein seine Stütze, seine Macht
empfindet. Aber nicht in sentimentaler Elegie tritt dieses tragische Geschick vor
uns hin; Shylok's Zorn ist groß und hart, frei von allem pathetischen Enthusias¬
mus. In der Geberde klingt fortwährend die Gewohnheit des Sichbeugens und
Schmiegens nach, während der breite Gang von jenem Stolze, jener Behäbig¬
keit Zeugniß ablegt, welche der Reichthum verleiht. In Blick und Stimme
mischen sich Verstellung, Ironie und Schadenfreude, steigern sich zum sarkastischen
Hohn des bittern Ingrimms und brechen endlich in ohnmächtiger Wuth zusammen.
Keines dieser Elemente fehlt ans der Scala des Künstlers, aber unmöglich wäre
es ihm, dieselben Affecte in einer Sphäre wiederzugeben, wo sie mit Vornehm¬
heit oder Hoheit gepaart erscheinen müßten. Nicht einmal das höfische Wesen
des Marinelli will ihm passen, noch weniger die vornehm kühle Verständigkeit des
Carlos.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/146>, abgerufen am 01.09.2024.