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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Damit ist der Umfang "ut die Grenze von Byron's Talent und Bedeutung
bezeichnet.

Zwischen die poetischen Erzählungen und den Don Inca fallen die Dra¬
men. Das erste derselben, Manfred, ist ungefähr in dem Ton der frühern
Periode gehalten. Goethe hat dann einen Einfluß seines Faust wahrzunehmen
geglaubt, was ich aber uicht finden tan", denn das ziemlich undeutliche Verhält¬
niß zum Teufel möchte der einzige Vergleichungspunkt beider Dramen sein. Faust's
Verdienst liegt in seinen glänzenden, mit vollendeter Plastik ausgedrückten Gedan¬
ken, während im Manfred von Gedanken eigentlich' keine Rede ist. Das Gedicht
besteht aus einer Reihe ziemlich lose an einander gefädelter Stimmungen, die zwar
im Einzelnen sehr poetisch ausgedrückt siud, die es aber zu keinem dramatische"
Interesse bringen. Wenn ein früheres Werk auf deu Manfred Einfluß ausgeübt
hat, so ist es Chateaubriand's Nerv, dem es an Eintönigkeit der Melancholie
gleichkommt, den es aber an Energie des Ausdrucks bedeutend übertrifft. -- In
den übrigen regelrechten Dramen befolgte Byron das Princip deö Klassicismus
in der Form, und trat damit der verwilderte" Englischen Bühne mit großem Ernst
gegenüber, obgleich er sich in einem derselben, Werner (182-1), einer ziemlich
schlechten Bearbeitung eines Dentschen Räuberromanö, von dem herrschenden Zeit¬
geist inficiren ließ. Das Stück ist dadurch eigenthümlich, daß Byron zuerst
gewagt hat, in den tragischen Ton eine unschöne That einzuführen, einen Dieb¬
stahl, der dadurch noch häßlicher wird, daß er von einem Gentleman ausgeübt
wird: eine Verirrung, die später von Bulwer und andern Dichtern ins Große
getrieben ist. -- In den drei übrigen Dramen, Marino Falieri (1820), die
beiden Foscari (-1821) und Sardanapal (-I82-I), herrscht wenigstens el"
sehr geläuterter Geschmack, ein edler Styl nud ein großer Verstand in der Oeko-
nomie deö Ganzen, aber von eigentlich dramatischem Leben ist wenig darin
zu finden, wie denn überhaupt die Engländer Alles, was sie an dramatischer Anlage
besaßen, in Shakespeare ausgegeben zu haben scheinen. Die Probleme jener drei
Stücke sind ans der Reflexion entnommen, und die Charaktere nach den Probleme"
geformt, während es eigentlich umgekehrt der Fall sein sollte. Der stolze Edelmann,
der sich wegen einer persönlichen Beleidigung, die ihm von seinen Staudesgenosse"
widerfahren ist, mit dem Pöbel verschwört, um seinen ganzen Stand auszurotten;
der junge Venetianer, der von seinem Vaterlande Nichts weiter erfährt, als das
grausamste Unrecht und die schrecklichsten Mißhandlungen, und der trotzdem von
einer so fanatischen Liebe zu demselben besessen ist, daß er, um nur auf dem
Boden seiner Heimath zu sterben, sich den unnöthigsten Martern aussetzt; eudlul)
der schwelgerische Wollüstling, der sein ganzes Leben in weibischen Mnßigg""^
hingebracht, und doch dabei uicht nur alle möglichen edlen Empfindungen, sonder"
auch die Fähigkeit zu einem kühnen und heldenmüthigen Entschluß bewahrt hat: --
Das alles find Paradoxien, die, um mir einigermaßen glaublich zu werden, eine


Damit ist der Umfang »ut die Grenze von Byron's Talent und Bedeutung
bezeichnet.

Zwischen die poetischen Erzählungen und den Don Inca fallen die Dra¬
men. Das erste derselben, Manfred, ist ungefähr in dem Ton der frühern
Periode gehalten. Goethe hat dann einen Einfluß seines Faust wahrzunehmen
geglaubt, was ich aber uicht finden tan», denn das ziemlich undeutliche Verhält¬
niß zum Teufel möchte der einzige Vergleichungspunkt beider Dramen sein. Faust's
Verdienst liegt in seinen glänzenden, mit vollendeter Plastik ausgedrückten Gedan¬
ken, während im Manfred von Gedanken eigentlich' keine Rede ist. Das Gedicht
besteht aus einer Reihe ziemlich lose an einander gefädelter Stimmungen, die zwar
im Einzelnen sehr poetisch ausgedrückt siud, die es aber zu keinem dramatische»
Interesse bringen. Wenn ein früheres Werk auf deu Manfred Einfluß ausgeübt
hat, so ist es Chateaubriand's Nerv, dem es an Eintönigkeit der Melancholie
gleichkommt, den es aber an Energie des Ausdrucks bedeutend übertrifft. — In
den übrigen regelrechten Dramen befolgte Byron das Princip deö Klassicismus
in der Form, und trat damit der verwilderte« Englischen Bühne mit großem Ernst
gegenüber, obgleich er sich in einem derselben, Werner (182-1), einer ziemlich
schlechten Bearbeitung eines Dentschen Räuberromanö, von dem herrschenden Zeit¬
geist inficiren ließ. Das Stück ist dadurch eigenthümlich, daß Byron zuerst
gewagt hat, in den tragischen Ton eine unschöne That einzuführen, einen Dieb¬
stahl, der dadurch noch häßlicher wird, daß er von einem Gentleman ausgeübt
wird: eine Verirrung, die später von Bulwer und andern Dichtern ins Große
getrieben ist. — In den drei übrigen Dramen, Marino Falieri (1820), die
beiden Foscari (-1821) und Sardanapal (-I82-I), herrscht wenigstens el»
sehr geläuterter Geschmack, ein edler Styl nud ein großer Verstand in der Oeko-
nomie deö Ganzen, aber von eigentlich dramatischem Leben ist wenig darin
zu finden, wie denn überhaupt die Engländer Alles, was sie an dramatischer Anlage
besaßen, in Shakespeare ausgegeben zu haben scheinen. Die Probleme jener drei
Stücke sind ans der Reflexion entnommen, und die Charaktere nach den Probleme»
geformt, während es eigentlich umgekehrt der Fall sein sollte. Der stolze Edelmann,
der sich wegen einer persönlichen Beleidigung, die ihm von seinen Staudesgenosse"
widerfahren ist, mit dem Pöbel verschwört, um seinen ganzen Stand auszurotten;
der junge Venetianer, der von seinem Vaterlande Nichts weiter erfährt, als das
grausamste Unrecht und die schrecklichsten Mißhandlungen, und der trotzdem von
einer so fanatischen Liebe zu demselben besessen ist, daß er, um nur auf dem
Boden seiner Heimath zu sterben, sich den unnöthigsten Martern aussetzt; eudlul)
der schwelgerische Wollüstling, der sein ganzes Leben in weibischen Mnßigg""^
hingebracht, und doch dabei uicht nur alle möglichen edlen Empfindungen, sonder»
auch die Fähigkeit zu einem kühnen und heldenmüthigen Entschluß bewahrt hat: —
Das alles find Paradoxien, die, um mir einigermaßen glaublich zu werden, eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/56>, abgerufen am 24.07.2024.