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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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hinderlich ist. Durch die eingesetzten kleinen Abhandlungen wird das Ganze schlotterig.
Es wäre zweckmäßiger gewesen, die Nciscschildcrungcu zusammenzufassen, und das Buch
zu einer Reihe kleiner Abhandlungen zu machen, die, passend geordnet, nach Ausscheidung
von einzelnem Unwichtigen einen viel stattlichem Eindruck gemacht hätten.

Der Verfasser des zweiten Buches macht sich die Sache noch viel leichter. Er
tritt als Tourist aus, der seinem Interesse an der Natur einen cavalicren Anstrich zu
geben sucht, und mit Leichtigkeit, aber nicht ohne Prätension, über alles Mögliche
spricht. Das Hauptleiter seines Buches ist das Bestreben, durch geistreiche und poin-
tirte Einfälle sich interessant zu machen. Dadurch wird die Darstellung manierirt und
unbequem, und der Leser verliert das Vertrauen zu seinem Ernst und seiner Gewissen¬
haftigkeit. Denn der Verfasser erscheint doch so gescheidt, daß ihm der schlechte geistreiche
Ton gar nicht leicht wird. Er ist jung, wenigstens als Schriftsteller, und es würde
uns deshalb freuen, wenn die vorhergehenden Bemerkungen ihn aus das aufmerksam
machten, was sein Buch verhindert, eine angenehme Unterhältungslecture zu werde".

Der Verfasser des dritten Werkes hat für sein Buch das Motto gewählt:


Anders lesen Knaben deu Terenz,
Anders Grotius.

Die Art und Weise aber, wie er selbst im Buche der Welt liest, ist eine sehr un¬
genügende. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, seine Glossen und Bemerkungen zu
machen, und hat zu wenig Interessen und zu wenig Bildung, um bei irgend einer
Schilderung oder Reflexion zuverlässig zu sein. Folgendermaßen spricht er vom Wiener^
Volksg arten:

"Der Wiener Volksgarten ist ein ganz gewöhnlicher Garten; und wenn er nicht
einen Schatz enthielte, so wäre er nicht der Beachtung werth.

In seinen Räumen befindet sich nämlich eine Statue von Canova, und zwar
Theseus den Centauren bändigend.

Es war das erste Mal, daß ich eine geniale Sculpturschöpfuug zu Gesicht bekam.
Der Eindruck war unbeschreiblich. Ich werde mich hier einer nähern Kritik, so wie
jener abgedroschenen Redensarten, als: Lebendigkeit, Schwung, Tiefe, Kolossalität,
Genie und dergleichen enthalten.

Ich bemerke nur so viel, daß ich den Tempel, worin die Statue sich befindet,
vier Mal besucht und jedes Mal mit einer Art künstlerischen Entzückungsschauers ver¬
lassen habe. Wie groß aber war meine Freude, als ich nach einigen Tagen noch ein
zweites Werk von Canova, nämlich in der Augustinerkirche in der Nähe des Burg-
thcatcrs, entdeckte. Dort befindet sich das Mausoleum einer Prinzessin; und Canova
hat hierzu eine Gruppe gebildet, welche unter Anderem einen Greis enthält, der viel¬
leicht die großartigste Schöpfung genannt werden darf, welche aus der Meisterhand
Canova's hervorgegangen.

Canova, dieser moderne Phidias u. s. w."

Diese Stelle wird als Probe der Bildung und des Styls genügen, obwol sie
noch bei weitem nicht die beste ist.

Eine kleine Bibliothek

neuer Gedichte zum Wcihnachtgeschenk. -- Die
lyrische Poesie hat in diesem Jahre wenig neue Blüthen getrieben, welche kräftig genug
erscheinen, die rauhe Luft des Winters zu überdauern. Daß man aber trotz allem


hinderlich ist. Durch die eingesetzten kleinen Abhandlungen wird das Ganze schlotterig.
Es wäre zweckmäßiger gewesen, die Nciscschildcrungcu zusammenzufassen, und das Buch
zu einer Reihe kleiner Abhandlungen zu machen, die, passend geordnet, nach Ausscheidung
von einzelnem Unwichtigen einen viel stattlichem Eindruck gemacht hätten.

Der Verfasser des zweiten Buches macht sich die Sache noch viel leichter. Er
tritt als Tourist aus, der seinem Interesse an der Natur einen cavalicren Anstrich zu
geben sucht, und mit Leichtigkeit, aber nicht ohne Prätension, über alles Mögliche
spricht. Das Hauptleiter seines Buches ist das Bestreben, durch geistreiche und poin-
tirte Einfälle sich interessant zu machen. Dadurch wird die Darstellung manierirt und
unbequem, und der Leser verliert das Vertrauen zu seinem Ernst und seiner Gewissen¬
haftigkeit. Denn der Verfasser erscheint doch so gescheidt, daß ihm der schlechte geistreiche
Ton gar nicht leicht wird. Er ist jung, wenigstens als Schriftsteller, und es würde
uns deshalb freuen, wenn die vorhergehenden Bemerkungen ihn aus das aufmerksam
machten, was sein Buch verhindert, eine angenehme Unterhältungslecture zu werde».

Der Verfasser des dritten Werkes hat für sein Buch das Motto gewählt:


Anders lesen Knaben deu Terenz,
Anders Grotius.

Die Art und Weise aber, wie er selbst im Buche der Welt liest, ist eine sehr un¬
genügende. Er ist viel zu sehr damit beschäftigt, seine Glossen und Bemerkungen zu
machen, und hat zu wenig Interessen und zu wenig Bildung, um bei irgend einer
Schilderung oder Reflexion zuverlässig zu sein. Folgendermaßen spricht er vom Wiener^
Volksg arten:

„Der Wiener Volksgarten ist ein ganz gewöhnlicher Garten; und wenn er nicht
einen Schatz enthielte, so wäre er nicht der Beachtung werth.

In seinen Räumen befindet sich nämlich eine Statue von Canova, und zwar
Theseus den Centauren bändigend.

Es war das erste Mal, daß ich eine geniale Sculpturschöpfuug zu Gesicht bekam.
Der Eindruck war unbeschreiblich. Ich werde mich hier einer nähern Kritik, so wie
jener abgedroschenen Redensarten, als: Lebendigkeit, Schwung, Tiefe, Kolossalität,
Genie und dergleichen enthalten.

Ich bemerke nur so viel, daß ich den Tempel, worin die Statue sich befindet,
vier Mal besucht und jedes Mal mit einer Art künstlerischen Entzückungsschauers ver¬
lassen habe. Wie groß aber war meine Freude, als ich nach einigen Tagen noch ein
zweites Werk von Canova, nämlich in der Augustinerkirche in der Nähe des Burg-
thcatcrs, entdeckte. Dort befindet sich das Mausoleum einer Prinzessin; und Canova
hat hierzu eine Gruppe gebildet, welche unter Anderem einen Greis enthält, der viel¬
leicht die großartigste Schöpfung genannt werden darf, welche aus der Meisterhand
Canova's hervorgegangen.

Canova, dieser moderne Phidias u. s. w."

Diese Stelle wird als Probe der Bildung und des Styls genügen, obwol sie
noch bei weitem nicht die beste ist.

Eine kleine Bibliothek

neuer Gedichte zum Wcihnachtgeschenk. — Die
lyrische Poesie hat in diesem Jahre wenig neue Blüthen getrieben, welche kräftig genug
erscheinen, die rauhe Luft des Winters zu überdauern. Daß man aber trotz allem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/522>, abgerufen am 23.07.2024.