Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Grundsätze verläugnen. Noch stärker als bisher ist demzufolge die parlamentarisch
entscheidende Majorität dem Ministerium solidarisch verpflichtet, noch fragloser
muß sie jeden seiner Pläne und Maßnahmen gutheißen, noch unbedingter muß
sie ihm die materiellen und moralischen Mittel für Durchführung seiner, Zwecke
darbringen. Die einzige Genugthuung bleibt dem Lerchenfeld'schen Centrum, mit
übermüthiger Geringschätzung jeden Antrag, Vorschlag, ja selbst Gedanken der
Opposition über Bord zu werfen. Und die eben laufenden Verhandlungen geben
täglich Zeugniß für deu Eifer in dieser Richtung. -- Wohin dies führt, ist nicht
zu bestimmen. Brennt der französische Vulcan in sich selber ans, so wird vielleicht
nicht einmal ein Landtag mit den Befugnissen des jetzigen wieder berufen. Denn
die Minister sind absetzbar, die Reichsrathe sind erblich und Hr. v. d. Pfordten
selbst hat seit 1848 bewiesen, bis zu welchem Grad er seine früheren Principien
zurückzudrängen vermag. Stürmt eine neue Muth vom Westen unaufhaltsam über
Deutschland, so wird entweder jahrelang das Säbelregiment des Krieges die
Gesetze octroyiren, oder die gemäßigte Reform in der wilden Revolution ersticken.
Jedenfalls führt die Wahl zum Landtag 1834 nicht wieder die heutige Majorität
als überherrscheude Masse in die Kammer. -- Was hat sie nun in der Zeit
ihrer Macht gethan? Diese Frage wird den ehrlichen unter ihren Mitgliedern
schmerzhaft im Gewissen glühen.......

Die parlamentarische Taktik der Majorität ist ziemlich einfach. Da sie die
festen Ausschüsse mit beinahe vollkommener Ausschließung der Extreme znsammsetzte,
so trägt das Referat über jede laufende Angelegenheit ihre Farbe. Werden für
irgend eine Frage besondere Ausschüsse hergestellt, so findet in deren Zusammen¬
setzung dasselbe Verhältniß, wie in den festen Commissionen statt. Die Darstellung
der Sachlagen vor der Kammer entspricht sonach immer ihrer Beurtheilung im
engern Kreise der Majorität. Die Opposition, weil schlecht disciplinirt, veraus¬
gabt sich im Kammersaale fast laute beim Vorgefecht, bei der allgemeinen Be¬
handlung des Princips. Diesen Ansichten tritt nun die extreme ultramontane,
nltrabnreankratischc oder auch uur abändernngöfcindliche Rechte stoßweise entgegen;
sie vergißt über dem Kampfe gegen das friedliche Princip gewöhnlich eben so
wie die Linke das vorliegende Object. Nachdem nun diese beiden Parteien sich
gegenseitig ermattet haben, setzt Hr. v. Lerchenfeld mit Citaten unterschiedlicher
Analogien im Staatsrecht oder der Gesetzgebung Japans, China's und anderer
Nachbarländer die vollkommene Richtigkeit des Princips der Vorlage aus einan¬
der. Zugleich beweist er heute, daß die französischen, englischen, norddeutschen
Analogien auf Bayern ""anwendbar seien, morgen mit derselben Sicherheit, daß
die Vortrefflichkeit des Regierungöentwnrfes sich auch in der Beachtung dieser
Analogien kundgebe. Schließlich erklärt er sich im Allgemeinen einverstanden mit
dem Referenten, welcher ziemlich unveränderte Annahme der Vorlage empfiehlt
Der Referent verzichtet auf das Schlußwort, da ihm "nach der trefflichen Erörte-


Grenzbotcn. IV. ^ö-I. ^>

Grundsätze verläugnen. Noch stärker als bisher ist demzufolge die parlamentarisch
entscheidende Majorität dem Ministerium solidarisch verpflichtet, noch fragloser
muß sie jeden seiner Pläne und Maßnahmen gutheißen, noch unbedingter muß
sie ihm die materiellen und moralischen Mittel für Durchführung seiner, Zwecke
darbringen. Die einzige Genugthuung bleibt dem Lerchenfeld'schen Centrum, mit
übermüthiger Geringschätzung jeden Antrag, Vorschlag, ja selbst Gedanken der
Opposition über Bord zu werfen. Und die eben laufenden Verhandlungen geben
täglich Zeugniß für deu Eifer in dieser Richtung. — Wohin dies führt, ist nicht
zu bestimmen. Brennt der französische Vulcan in sich selber ans, so wird vielleicht
nicht einmal ein Landtag mit den Befugnissen des jetzigen wieder berufen. Denn
die Minister sind absetzbar, die Reichsrathe sind erblich und Hr. v. d. Pfordten
selbst hat seit 1848 bewiesen, bis zu welchem Grad er seine früheren Principien
zurückzudrängen vermag. Stürmt eine neue Muth vom Westen unaufhaltsam über
Deutschland, so wird entweder jahrelang das Säbelregiment des Krieges die
Gesetze octroyiren, oder die gemäßigte Reform in der wilden Revolution ersticken.
Jedenfalls führt die Wahl zum Landtag 1834 nicht wieder die heutige Majorität
als überherrscheude Masse in die Kammer. — Was hat sie nun in der Zeit
ihrer Macht gethan? Diese Frage wird den ehrlichen unter ihren Mitgliedern
schmerzhaft im Gewissen glühen.......

Die parlamentarische Taktik der Majorität ist ziemlich einfach. Da sie die
festen Ausschüsse mit beinahe vollkommener Ausschließung der Extreme znsammsetzte,
so trägt das Referat über jede laufende Angelegenheit ihre Farbe. Werden für
irgend eine Frage besondere Ausschüsse hergestellt, so findet in deren Zusammen¬
setzung dasselbe Verhältniß, wie in den festen Commissionen statt. Die Darstellung
der Sachlagen vor der Kammer entspricht sonach immer ihrer Beurtheilung im
engern Kreise der Majorität. Die Opposition, weil schlecht disciplinirt, veraus¬
gabt sich im Kammersaale fast laute beim Vorgefecht, bei der allgemeinen Be¬
handlung des Princips. Diesen Ansichten tritt nun die extreme ultramontane,
nltrabnreankratischc oder auch uur abändernngöfcindliche Rechte stoßweise entgegen;
sie vergißt über dem Kampfe gegen das friedliche Princip gewöhnlich eben so
wie die Linke das vorliegende Object. Nachdem nun diese beiden Parteien sich
gegenseitig ermattet haben, setzt Hr. v. Lerchenfeld mit Citaten unterschiedlicher
Analogien im Staatsrecht oder der Gesetzgebung Japans, China's und anderer
Nachbarländer die vollkommene Richtigkeit des Princips der Vorlage aus einan¬
der. Zugleich beweist er heute, daß die französischen, englischen, norddeutschen
Analogien auf Bayern „»anwendbar seien, morgen mit derselben Sicherheit, daß
die Vortrefflichkeit des Regierungöentwnrfes sich auch in der Beachtung dieser
Analogien kundgebe. Schließlich erklärt er sich im Allgemeinen einverstanden mit
dem Referenten, welcher ziemlich unveränderte Annahme der Vorlage empfiehlt
Der Referent verzichtet auf das Schlußwort, da ihm „nach der trefflichen Erörte-


Grenzbotcn. IV. ^ö-I. ^>
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0517" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/281134"/>
          <p xml:id="ID_1491" prev="#ID_1490"> Grundsätze verläugnen.  Noch stärker als bisher ist demzufolge die parlamentarisch<lb/>
entscheidende Majorität dem Ministerium solidarisch verpflichtet, noch fragloser<lb/>
muß sie jeden seiner Pläne und Maßnahmen gutheißen, noch unbedingter muß<lb/>
sie ihm die materiellen und moralischen Mittel für Durchführung seiner, Zwecke<lb/>
darbringen. Die einzige Genugthuung bleibt dem Lerchenfeld'schen Centrum, mit<lb/>
übermüthiger Geringschätzung jeden Antrag, Vorschlag, ja selbst Gedanken der<lb/>
Opposition über Bord zu werfen. Und die eben laufenden Verhandlungen geben<lb/>
täglich Zeugniß für deu Eifer in dieser Richtung. &#x2014; Wohin dies führt, ist nicht<lb/>
zu bestimmen.  Brennt der französische Vulcan in sich selber ans, so wird vielleicht<lb/>
nicht einmal ein Landtag mit den Befugnissen des jetzigen wieder berufen. Denn<lb/>
die Minister sind absetzbar, die Reichsrathe sind erblich und Hr. v. d. Pfordten<lb/>
selbst hat seit 1848 bewiesen, bis zu welchem Grad er seine früheren Principien<lb/>
zurückzudrängen vermag.  Stürmt eine neue Muth vom Westen unaufhaltsam über<lb/>
Deutschland, so wird entweder jahrelang das Säbelregiment des Krieges die<lb/>
Gesetze octroyiren, oder die gemäßigte Reform in der wilden Revolution ersticken.<lb/>
Jedenfalls führt die Wahl zum Landtag 1834 nicht wieder die heutige Majorität<lb/>
als überherrscheude Masse in die Kammer. &#x2014; Was hat sie nun in der Zeit<lb/>
ihrer Macht gethan? Diese Frage wird den ehrlichen unter ihren Mitgliedern<lb/>
schmerzhaft im Gewissen glühen.......</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1492" next="#ID_1493"> Die parlamentarische Taktik der Majorität ist ziemlich einfach. Da sie die<lb/>
festen Ausschüsse mit beinahe vollkommener Ausschließung der Extreme znsammsetzte,<lb/>
so trägt das Referat über jede laufende Angelegenheit ihre Farbe. Werden für<lb/>
irgend eine Frage besondere Ausschüsse hergestellt, so findet in deren Zusammen¬<lb/>
setzung dasselbe Verhältniß, wie in den festen Commissionen statt. Die Darstellung<lb/>
der Sachlagen vor der Kammer entspricht sonach immer ihrer Beurtheilung im<lb/>
engern Kreise der Majorität. Die Opposition, weil schlecht disciplinirt, veraus¬<lb/>
gabt sich im Kammersaale fast laute beim Vorgefecht, bei der allgemeinen Be¬<lb/>
handlung des Princips. Diesen Ansichten tritt nun die extreme ultramontane,<lb/>
nltrabnreankratischc oder auch uur abändernngöfcindliche Rechte stoßweise entgegen;<lb/>
sie vergißt über dem Kampfe gegen das friedliche Princip gewöhnlich eben so<lb/>
wie die Linke das vorliegende Object. Nachdem nun diese beiden Parteien sich<lb/>
gegenseitig ermattet haben, setzt Hr. v. Lerchenfeld mit Citaten unterschiedlicher<lb/>
Analogien im Staatsrecht oder der Gesetzgebung Japans, China's und anderer<lb/>
Nachbarländer die vollkommene Richtigkeit des Princips der Vorlage aus einan¬<lb/>
der. Zugleich beweist er heute, daß die französischen, englischen, norddeutschen<lb/>
Analogien auf Bayern &#x201E;»anwendbar seien, morgen mit derselben Sicherheit, daß<lb/>
die Vortrefflichkeit des Regierungöentwnrfes sich auch in der Beachtung dieser<lb/>
Analogien kundgebe. Schließlich erklärt er sich im Allgemeinen einverstanden mit<lb/>
dem Referenten, welcher ziemlich unveränderte Annahme der Vorlage empfiehlt<lb/>
Der Referent verzichtet auf das Schlußwort, da ihm &#x201E;nach der trefflichen Erörte-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotcn. IV. ^ö-I. ^&gt;</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0517] Grundsätze verläugnen. Noch stärker als bisher ist demzufolge die parlamentarisch entscheidende Majorität dem Ministerium solidarisch verpflichtet, noch fragloser muß sie jeden seiner Pläne und Maßnahmen gutheißen, noch unbedingter muß sie ihm die materiellen und moralischen Mittel für Durchführung seiner, Zwecke darbringen. Die einzige Genugthuung bleibt dem Lerchenfeld'schen Centrum, mit übermüthiger Geringschätzung jeden Antrag, Vorschlag, ja selbst Gedanken der Opposition über Bord zu werfen. Und die eben laufenden Verhandlungen geben täglich Zeugniß für deu Eifer in dieser Richtung. — Wohin dies führt, ist nicht zu bestimmen. Brennt der französische Vulcan in sich selber ans, so wird vielleicht nicht einmal ein Landtag mit den Befugnissen des jetzigen wieder berufen. Denn die Minister sind absetzbar, die Reichsrathe sind erblich und Hr. v. d. Pfordten selbst hat seit 1848 bewiesen, bis zu welchem Grad er seine früheren Principien zurückzudrängen vermag. Stürmt eine neue Muth vom Westen unaufhaltsam über Deutschland, so wird entweder jahrelang das Säbelregiment des Krieges die Gesetze octroyiren, oder die gemäßigte Reform in der wilden Revolution ersticken. Jedenfalls führt die Wahl zum Landtag 1834 nicht wieder die heutige Majorität als überherrscheude Masse in die Kammer. — Was hat sie nun in der Zeit ihrer Macht gethan? Diese Frage wird den ehrlichen unter ihren Mitgliedern schmerzhaft im Gewissen glühen....... Die parlamentarische Taktik der Majorität ist ziemlich einfach. Da sie die festen Ausschüsse mit beinahe vollkommener Ausschließung der Extreme znsammsetzte, so trägt das Referat über jede laufende Angelegenheit ihre Farbe. Werden für irgend eine Frage besondere Ausschüsse hergestellt, so findet in deren Zusammen¬ setzung dasselbe Verhältniß, wie in den festen Commissionen statt. Die Darstellung der Sachlagen vor der Kammer entspricht sonach immer ihrer Beurtheilung im engern Kreise der Majorität. Die Opposition, weil schlecht disciplinirt, veraus¬ gabt sich im Kammersaale fast laute beim Vorgefecht, bei der allgemeinen Be¬ handlung des Princips. Diesen Ansichten tritt nun die extreme ultramontane, nltrabnreankratischc oder auch uur abändernngöfcindliche Rechte stoßweise entgegen; sie vergißt über dem Kampfe gegen das friedliche Princip gewöhnlich eben so wie die Linke das vorliegende Object. Nachdem nun diese beiden Parteien sich gegenseitig ermattet haben, setzt Hr. v. Lerchenfeld mit Citaten unterschiedlicher Analogien im Staatsrecht oder der Gesetzgebung Japans, China's und anderer Nachbarländer die vollkommene Richtigkeit des Princips der Vorlage aus einan¬ der. Zugleich beweist er heute, daß die französischen, englischen, norddeutschen Analogien auf Bayern „»anwendbar seien, morgen mit derselben Sicherheit, daß die Vortrefflichkeit des Regierungöentwnrfes sich auch in der Beachtung dieser Analogien kundgebe. Schließlich erklärt er sich im Allgemeinen einverstanden mit dem Referenten, welcher ziemlich unveränderte Annahme der Vorlage empfiehlt Der Referent verzichtet auf das Schlußwort, da ihm „nach der trefflichen Erörte- Grenzbotcn. IV. ^ö-I. ^>

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/517
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/517>, abgerufen am 23.07.2024.