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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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plastisch zu gestalten, und seine Figuren in ein lebendiges Bild zu gruppiren;
aber er ist in hohem Grade Herr über die Stimmung. Bei kleinen, im Volks¬
ton gehaltenen Liedern reicht das vollkommen aus, bei größeren Ausführungen
dagegen werden wir durch das Verwaschene der Zeichnung verwirrt. Allein auch
jene Stimmung macht selten einen ganz reinen Eindruck; nicht blos darum,
weil sie unausgesetzt trübe ist, sondern auch, weil sie in ihren Motiven
etwas Räthselhaftes hat. Wir haben es nicht mit jener Melancholie Mathisson's
zu thun, die eigentlich sehr behaglich ist, und ihre Schatten nnr anwendet, die
Physiognomie interessanter zu macheu, aber auch nicht mit jenem finstern Zorn, wie
er sich in Lenau ausspricht, überall durch einen bestimmten Gegenstand deS
Hasses angeregt. Brentano's Stimmung ist zwar nicht frei von Coquetterie, aber
es verbirgt sich auch ein wahres Gefühl dahinter, und wir werden verstimmt,
weil wir über den Ursprung dieses Gefühls nichts erfahren. Jir einem Gedicht,
Scenen ans meinen Kinderjahren, saugt er an: "Oft war mir schou als Knabe
alles Leben ein trübes, träges Einerlei u. s. w.....Kein lieber Spielwerk
hatt' ich, als ein Glas, in dem mir Alles umgekehrt erschien. . . . Ich wollte
damals Alles umgestalten, und wußte nicht, daß Aenderung unmöglich, wenn wir
das Aeußere, nicht das Innere wenden, weil alles Leben in der Wage schwebet,
daß ewig das Verhältniß wiederkehret n. s. w.....Der Ekel und die Mühe
drückten mich, ich blickte rückwärts, sah ein schweres Leben, und dachte mir das
Nichtsein gar viel leichter." -- So wechseln die Stimmungen, ohne daß wir den
Leitfaden dafür finden. Es geht uns gerade wie seinem Vater, der auch bei
dem Anschauen dieser Phantasien nur den Kopf zu schütteln wußte, und der auch
keineswegs überführt wurde, als der Knabe seine Sehnsucht an ein Marmorbild
knüpfte, über dessen traurige Züge er sich Gedanken machte. "Ein co'gar Streit
von Wehmuth und von Kühnheit, der oft zu einer innern Wuth sich hob, ein
innerliches wunderbares Treiben u. s. w.," das Alles lost uns das Räthsel nicht.
So ist es auch mit einem zweiten Gedicht: Rückblick. Er klagt zuerst, daß er mit
sehr vielen Leuten umgegangen sei, die ihm aber alle todt und stille vorgekommen
wären, daß sie zwar viel von hohen Freuden gesprochen, aber sich eigentlich immer
nur im engen Kreis gedreht hätten; daß die Kränze, die er gepflückt, nur in
seinem Junern gewachsen seien; da hätte er sich endlich, um seine Tiefe zu er¬
gründen, in sein eigenes Herz versenkt, aber anch da hätte es ihn wieder in die
Außenwelt getrieben; daun sei ihm das Leben wie ein Traum erschienen, und er
hätte von eiskalten Stimmen die Worte gehört: "Das Herz will vor Wonne
verzagen." So kommt ihm noch jetzt das Leben schal vor.


plastisch zu gestalten, und seine Figuren in ein lebendiges Bild zu gruppiren;
aber er ist in hohem Grade Herr über die Stimmung. Bei kleinen, im Volks¬
ton gehaltenen Liedern reicht das vollkommen aus, bei größeren Ausführungen
dagegen werden wir durch das Verwaschene der Zeichnung verwirrt. Allein auch
jene Stimmung macht selten einen ganz reinen Eindruck; nicht blos darum,
weil sie unausgesetzt trübe ist, sondern auch, weil sie in ihren Motiven
etwas Räthselhaftes hat. Wir haben es nicht mit jener Melancholie Mathisson's
zu thun, die eigentlich sehr behaglich ist, und ihre Schatten nnr anwendet, die
Physiognomie interessanter zu macheu, aber auch nicht mit jenem finstern Zorn, wie
er sich in Lenau ausspricht, überall durch einen bestimmten Gegenstand deS
Hasses angeregt. Brentano's Stimmung ist zwar nicht frei von Coquetterie, aber
es verbirgt sich auch ein wahres Gefühl dahinter, und wir werden verstimmt,
weil wir über den Ursprung dieses Gefühls nichts erfahren. Jir einem Gedicht,
Scenen ans meinen Kinderjahren, saugt er an: „Oft war mir schou als Knabe
alles Leben ein trübes, träges Einerlei u. s. w.....Kein lieber Spielwerk
hatt' ich, als ein Glas, in dem mir Alles umgekehrt erschien. . . . Ich wollte
damals Alles umgestalten, und wußte nicht, daß Aenderung unmöglich, wenn wir
das Aeußere, nicht das Innere wenden, weil alles Leben in der Wage schwebet,
daß ewig das Verhältniß wiederkehret n. s. w.....Der Ekel und die Mühe
drückten mich, ich blickte rückwärts, sah ein schweres Leben, und dachte mir das
Nichtsein gar viel leichter." — So wechseln die Stimmungen, ohne daß wir den
Leitfaden dafür finden. Es geht uns gerade wie seinem Vater, der auch bei
dem Anschauen dieser Phantasien nur den Kopf zu schütteln wußte, und der auch
keineswegs überführt wurde, als der Knabe seine Sehnsucht an ein Marmorbild
knüpfte, über dessen traurige Züge er sich Gedanken machte. „Ein co'gar Streit
von Wehmuth und von Kühnheit, der oft zu einer innern Wuth sich hob, ein
innerliches wunderbares Treiben u. s. w.," das Alles lost uns das Räthsel nicht.
So ist es auch mit einem zweiten Gedicht: Rückblick. Er klagt zuerst, daß er mit
sehr vielen Leuten umgegangen sei, die ihm aber alle todt und stille vorgekommen
wären, daß sie zwar viel von hohen Freuden gesprochen, aber sich eigentlich immer
nur im engen Kreis gedreht hätten; daß die Kränze, die er gepflückt, nur in
seinem Junern gewachsen seien; da hätte er sich endlich, um seine Tiefe zu er¬
gründen, in sein eigenes Herz versenkt, aber anch da hätte es ihn wieder in die
Außenwelt getrieben; daun sei ihm das Leben wie ein Traum erschienen, und er
hätte von eiskalten Stimmen die Worte gehört: „Das Herz will vor Wonne
verzagen." So kommt ihm noch jetzt das Leben schal vor.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/502>, abgerufen am 23.07.2024.