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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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nicht ganz abzusprechen ist, verzichtet, seine Steuern und Abgaben bezahlt, und
sich über seine Unberühmtheit mit dem Spruche getröstet, den ihm ein tvroler
Student in sein Deutbuch auf dem Sandwirthshause einschrieb, nämlich:


Lieber leben nngenonnt,
Ms wie sterben weltbekannt.

Als zur napoleonischen Zeit die kleinen deutschen Reichsläudchen, die Fürsten-
thümer, Grafschaften, die freien Städte und Abteien in den unaufhörlichen Frie¬
densschlüssen wie die Weberschiffchen hin nud her schwirrten, waren die am besten
daran, am glücklichsten, die sich da zufrieden fühlten, wo sie der letzte Tausch¬
handel hingeschleudert. Es ist scheinbar nichts Kleines, in einem Decennium
fünf oder sechs mal einen verschiedenen Patriotismus aus- und einzuhängen, aber
die deutsche Natur hat's doch ehrlich überstanden -- es ist jetzt schon Styl, daß
der Sohn "angestammte Fürstenhäuser" nennt, die sein Vater nur als land¬
fremde, weit entlegene Potentaten kannte. --

Indessen, das war nicht zu ändern, soll auch kein Vorwurf sein. Wer zu¬
frieden ist mit dem, was er hat, kommt nie weiter, und "Mehr zu wollen, ist
der Ausgangspunkt, um mehr zu werden". Die Waare wurde ohnedem nicht
befragt, hätte auch keine Antwort gegeben, denn sie hatte keine Stimme. Die
Tyroler hatten zwar eine Stimme, aber man hörte sie nicht. Während sich die
Andern geduldig hin und herschieben ließen, und jede Besitzveränderung mit Freu-
dcnbölleru beschossen, betrachteten diese weltunkundigen Aelpler das Geschäftchen,
das der Kaiser Napoleon mit dem König von Bayern gemacht hatte, wie eine
"'s luden- Auos !U'.l-u. Der gute Max versprach auch im Anfang, daß an der
Verfassung kein Jota geändert werden sollte, später kam es ihm anders an, und
^ hob sie auf. Als diese alte und etwas brüchige Einrichtung auf dem Spiele
stand, fanden sie die Tyroler erst recht liebenSwcrth. Die Priester, vielfach mi߬
handelt, predigten vom Untergänge des Christenthums, welches die Bayern aus¬
rotten wollten. Auch vieles andere Neue schien unerträglich. Die Augurn, die
den Tyroleru den Vvgelflug deutete", sagten selbst, der liebe Gott sei mit ihnen
einverstanden. Die bayrischen Beamten wirkten ebenfalls energisch mit durch ihre
"lberne Aufklärung und ihre officielle Liederlichkeit.' So ging's also los.

Revolutionen müssen gelingen, sonst haben sie von der unparteiischen Geschichte
keine Anerkennung zu erwarten. Die des Sandwirths mißlang, und wird jetzt
verspätet. Dem tyroler Historiker, der sie feiern will, giebt Niemand Recht.
Kaiser Franz hat den "strategischen Versuch" desavouirt, der König von Bayern
bat ihn nie anerkannt, die Tyroler halten ihn für eine Dummheit. Die Be¬
geisterung fühlt sich da oft so verlassen, wie ein armer Gemsenjäger, der sich im
Hochgebirge vergangen hat, und von einem Felsengrat nicht mehr herunterkommen
kann, wo ihm das Brod ausgeht! Kommt ja selbst das leichte Schifflein der
Poesie uicht unbeschädigt über alle diese Sandbänke hinweg, wovon Immermann


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nicht ganz abzusprechen ist, verzichtet, seine Steuern und Abgaben bezahlt, und
sich über seine Unberühmtheit mit dem Spruche getröstet, den ihm ein tvroler
Student in sein Deutbuch auf dem Sandwirthshause einschrieb, nämlich:


Lieber leben nngenonnt,
Ms wie sterben weltbekannt.

Als zur napoleonischen Zeit die kleinen deutschen Reichsläudchen, die Fürsten-
thümer, Grafschaften, die freien Städte und Abteien in den unaufhörlichen Frie¬
densschlüssen wie die Weberschiffchen hin nud her schwirrten, waren die am besten
daran, am glücklichsten, die sich da zufrieden fühlten, wo sie der letzte Tausch¬
handel hingeschleudert. Es ist scheinbar nichts Kleines, in einem Decennium
fünf oder sechs mal einen verschiedenen Patriotismus aus- und einzuhängen, aber
die deutsche Natur hat's doch ehrlich überstanden — es ist jetzt schon Styl, daß
der Sohn „angestammte Fürstenhäuser" nennt, die sein Vater nur als land¬
fremde, weit entlegene Potentaten kannte. —

Indessen, das war nicht zu ändern, soll auch kein Vorwurf sein. Wer zu¬
frieden ist mit dem, was er hat, kommt nie weiter, und „Mehr zu wollen, ist
der Ausgangspunkt, um mehr zu werden". Die Waare wurde ohnedem nicht
befragt, hätte auch keine Antwort gegeben, denn sie hatte keine Stimme. Die
Tyroler hatten zwar eine Stimme, aber man hörte sie nicht. Während sich die
Andern geduldig hin und herschieben ließen, und jede Besitzveränderung mit Freu-
dcnbölleru beschossen, betrachteten diese weltunkundigen Aelpler das Geschäftchen,
das der Kaiser Napoleon mit dem König von Bayern gemacht hatte, wie eine
"'s luden- Auos !U'.l-u. Der gute Max versprach auch im Anfang, daß an der
Verfassung kein Jota geändert werden sollte, später kam es ihm anders an, und
^ hob sie auf. Als diese alte und etwas brüchige Einrichtung auf dem Spiele
stand, fanden sie die Tyroler erst recht liebenSwcrth. Die Priester, vielfach mi߬
handelt, predigten vom Untergänge des Christenthums, welches die Bayern aus¬
rotten wollten. Auch vieles andere Neue schien unerträglich. Die Augurn, die
den Tyroleru den Vvgelflug deutete», sagten selbst, der liebe Gott sei mit ihnen
einverstanden. Die bayrischen Beamten wirkten ebenfalls energisch mit durch ihre
"lberne Aufklärung und ihre officielle Liederlichkeit.' So ging's also los.

Revolutionen müssen gelingen, sonst haben sie von der unparteiischen Geschichte
keine Anerkennung zu erwarten. Die des Sandwirths mißlang, und wird jetzt
verspätet. Dem tyroler Historiker, der sie feiern will, giebt Niemand Recht.
Kaiser Franz hat den „strategischen Versuch" desavouirt, der König von Bayern
bat ihn nie anerkannt, die Tyroler halten ihn für eine Dummheit. Die Be¬
geisterung fühlt sich da oft so verlassen, wie ein armer Gemsenjäger, der sich im
Hochgebirge vergangen hat, und von einem Felsengrat nicht mehr herunterkommen
kann, wo ihm das Brod ausgeht! Kommt ja selbst das leichte Schifflein der
Poesie uicht unbeschädigt über alle diese Sandbänke hinweg, wovon Immermann


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/487>, abgerufen am 23.07.2024.