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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Wieder nur enge, kümmerliche Verhältnisse,.wenn anch mit Flittergold überkleidet.
Was wollte die-Stellung eines Deutschen Reichsfürsten sagen, da sich schon die
Zeit port'ercitete, wo sie sammt und sonders bei dem siegreichen Sohn der Re¬
volution Antichambre machten? Ein Englischer Lord hat eine ganz andere Bedeu¬
tung. Nur der Sohn eines Volkes, das frei seinen Königen gegenüber stand,
das dem Meere gebot und in sämmtlichen Welttheilen.mit seinem eisernen Scep¬
ter waltete, konnte auf die Idee kommen, auf eigene, Hand gegen die Oestreichs
.in Verona, gegen die Türken in Missolunghi Krieg zu führen. Der Reichsfürst
Titan heirathet die wirtschaftliche Prinzessin Jdvinc, führt eine Musterschafzncht
in seinen Gütern ein, und hütet sich wohl, auf seine studentischen Träume von
Befreiung des Menschengeschlechts zurückzukommen. Der Englische Lord dagegen,
wenn auch aus seinem Vaterlande verbannt, gehaßt und verfolgt von der herr¬
schenden Partei, trägt doch das Bewußtsein seiner großen Nation so im Herzen,
daß er es wagen tan", allein und eigenmächtig in die Räder des Weltgeschicks
einzugreifen, und für die Freiheit nicht blos unthätig zu schwärmen. Auch schon
diese Kühnheit, wenn anch fruchtlos, sein reiches Leben mit einer Idee zu iden-
tificiren, ist etwas Großes.

Aber wir müssen nus hüte", es mit diesem Idealismus zu ernst zu nehmen-
Wirtliche Hingebung und Aufopferung war Etwas, wovon Byron keine Ahuuusi
hatte. Auch seine Freiheitsliebe war nichts Anderes, als eine noble Passton, frei'
lieh im edelsten Styl; er schürte das Feuer in Italien und Griechenland, ohn-
viel darnach zu fragen, ob es zum Heil des Volkes wäre, für dessen Befreier er
gern gelten wollte. Es war nur das Streben nach großen Regungen der Seele, das
ihn bestimmte; für die Meuschen hatte er keine Liebe, für das eigentliche Volk
kein Herz. Sein Instinct für alles Große und Edle war lebhaft und energisch,
aber er wurde nicht geläutert durch die Idee der Pflicht. So waren die Men¬
schen ihm nnr eine Schatteuwelt, mit der sein Gemüth ein souveraiues Spiel trieb.
Der Mittelpunkt der Welt waren seine Tagebücher, in deuen er die wildesten
Orgien der Leidenschaft, die zartesten geistigen Genüsse, die Kleinigkeiten persön¬
licher Gereiztheit und die glühendste Begeisterung bunt durch einander auf¬
zeichnete.

Ich kenne nnr einen Dichter, dessen Lebe" so vollständig mit seiner Poesie
verwachsen war, und dessen eiuzelue Empfindungen mau mit eben so viel Begier
verfolgt hat, als seine Leistungen im Gebiet der Literatur. Natürlich meine ich
Goethe. Zwischen Goethe und Byron fand auch ein Wechselverhältniß M,
welches nicht ohne Interesse ist,' obgleich Byron der Deutschen Sprache nicht
mächtig war. Eigentlich bestand aber zwischen ihnen, abgesehen davon, daß sie Beide
die Evangelisten der absoluten Subjectivität waren, ein entschiedener Gegensaj)-
Bei Goethe war das vorherrschende Streben nach Harmonie; sehr bald hatte er
die dämonischen Gelüste, deren er sich als Sohn seines Zeitalters nicht völlig


Wieder nur enge, kümmerliche Verhältnisse,.wenn anch mit Flittergold überkleidet.
Was wollte die-Stellung eines Deutschen Reichsfürsten sagen, da sich schon die
Zeit port'ercitete, wo sie sammt und sonders bei dem siegreichen Sohn der Re¬
volution Antichambre machten? Ein Englischer Lord hat eine ganz andere Bedeu¬
tung. Nur der Sohn eines Volkes, das frei seinen Königen gegenüber stand,
das dem Meere gebot und in sämmtlichen Welttheilen.mit seinem eisernen Scep¬
ter waltete, konnte auf die Idee kommen, auf eigene, Hand gegen die Oestreichs
.in Verona, gegen die Türken in Missolunghi Krieg zu führen. Der Reichsfürst
Titan heirathet die wirtschaftliche Prinzessin Jdvinc, führt eine Musterschafzncht
in seinen Gütern ein, und hütet sich wohl, auf seine studentischen Träume von
Befreiung des Menschengeschlechts zurückzukommen. Der Englische Lord dagegen,
wenn auch aus seinem Vaterlande verbannt, gehaßt und verfolgt von der herr¬
schenden Partei, trägt doch das Bewußtsein seiner großen Nation so im Herzen,
daß er es wagen tan», allein und eigenmächtig in die Räder des Weltgeschicks
einzugreifen, und für die Freiheit nicht blos unthätig zu schwärmen. Auch schon
diese Kühnheit, wenn anch fruchtlos, sein reiches Leben mit einer Idee zu iden-
tificiren, ist etwas Großes.

Aber wir müssen nus hüte», es mit diesem Idealismus zu ernst zu nehmen-
Wirtliche Hingebung und Aufopferung war Etwas, wovon Byron keine Ahuuusi
hatte. Auch seine Freiheitsliebe war nichts Anderes, als eine noble Passton, frei'
lieh im edelsten Styl; er schürte das Feuer in Italien und Griechenland, ohn-
viel darnach zu fragen, ob es zum Heil des Volkes wäre, für dessen Befreier er
gern gelten wollte. Es war nur das Streben nach großen Regungen der Seele, das
ihn bestimmte; für die Meuschen hatte er keine Liebe, für das eigentliche Volk
kein Herz. Sein Instinct für alles Große und Edle war lebhaft und energisch,
aber er wurde nicht geläutert durch die Idee der Pflicht. So waren die Men¬
schen ihm nnr eine Schatteuwelt, mit der sein Gemüth ein souveraiues Spiel trieb.
Der Mittelpunkt der Welt waren seine Tagebücher, in deuen er die wildesten
Orgien der Leidenschaft, die zartesten geistigen Genüsse, die Kleinigkeiten persön¬
licher Gereiztheit und die glühendste Begeisterung bunt durch einander auf¬
zeichnete.

Ich kenne nnr einen Dichter, dessen Lebe» so vollständig mit seiner Poesie
verwachsen war, und dessen eiuzelue Empfindungen mau mit eben so viel Begier
verfolgt hat, als seine Leistungen im Gebiet der Literatur. Natürlich meine ich
Goethe. Zwischen Goethe und Byron fand auch ein Wechselverhältniß M,
welches nicht ohne Interesse ist,' obgleich Byron der Deutschen Sprache nicht
mächtig war. Eigentlich bestand aber zwischen ihnen, abgesehen davon, daß sie Beide
die Evangelisten der absoluten Subjectivität waren, ein entschiedener Gegensaj)-
Bei Goethe war das vorherrschende Streben nach Harmonie; sehr bald hatte er
die dämonischen Gelüste, deren er sich als Sohn seines Zeitalters nicht völlig


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/46>, abgerufen am 23.07.2024.