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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Die Worte Napoleons: "Jeder französische Soldat trägt seinen Marschallsstab in
der Patrontasche", haben ihre Bedeutung noch nicht ganz verloren. Noch immer er¬
gänzt sich das Officiercorps der Regimenter zur Hälfte ans gedienten Unteroffi¬
zieren, während die übrigen Ofstciere aus den Militairschulcn kommen. Was
der Unterofficier früher gewesen, ob sein Vater Kesselflicker oder General war, ist
gleichgiltig, wenn er selbst sich während seiner militairischen Dienstzeit untadelhaft
^'tragen hat. Hierauf aber wird sehr streng gesehen, und ich erlebte, daß ein
sehr tüchtiger Sergeant-Major nicht Officier ward, weil man ihn zweimal stark
""getrunken an einem öffentlichen Orte gesehen hatte. Um Officier werden zu
können, muß der Unterofficier sich vorher ein gewisses Maß der nöthigen Kennt¬
nisse erworben haben, zu deren Erlangung man fähige Leute auf alle Weise be¬
günstigt, indem ihnen Urlaub zum Besuch der Kriegsschulen n. s. w. bewilligt wird.
Die gründlich wissenschaftliche Ausbildung der hannöverschen, preußischen, säch¬
sischen und oldenburgischen Officiere wird von den französischen Jnfantericvfficieren
^icht gefordert; die Anforderungen an dieselben sind so ziemlich denen gleich, die
man in Bayern stellt, wo das Officicrexamcn bedeutend leichter, als im Allge¬
meinen in Norddeutschland ist. Das Avancement geht bis zum Hauptmann nach
der Anciennctät im Regiment, später ohne feste Anciennctät durch die verschiedenen
Waffengattungen in der Armee. In keinem Heere trifft man daher verhältuiß-
'uiißig so viel alte Hauptleute, die von unten auf gedient haben, und junge that¬
kräftige StabSvfficiere, besonders Generale, die auf eine oder die andere Weise
ihren Weg rascher gemacht. Möglichst viel junge Stabsofsiciere zu haben ist
Princip; wer das fünfzigste Lebensalter überschritten hat, kauu gesetzlich nicht
Mehr dazu befördert werden. Daß bei diesem rascheru Avancement nicht Ver¬
dienst allein entscheidet, sondern Protection mannichfacher Art viel thut, ist nicht
läugnen. Vorzug der Geburt bewirkt übrigens nicht zu viel, denn man trifft
unter den französischen Stabsvfficicren aller Grade sehr viele an, die, von ganz
niederer Herkunft, als gewöhnliche Recruten in das Heer getreten sind, und daß
der Geburtsadel gänzlich und unwiederbringlich seinen Boden in Frankreich verloren
hat, mer^ man im Heere am deutlichsten. In der Gesellschaft spielen die fran-
Mschen Officiercorps keine Hauptrolle. Der häufige Wechsel der Garnisonen
U"d die viele dienstliche Beschäftigung isolirt sie; ihre sreie Zeit verbringen sie
vielfach in bestimmten Kaffeehäusern und Restaurationen, deren in jeder größern Gar-
nisonsstadt mehrere fast ausschließlich von Militairs besucht werden.

So stellt sich das gegenwärtige französische Heer dem Fremden dar, als ein
Züchtiger vollkommen triegsfähigcr Körper, nicht als ein loser Haufe von rothen
Republikanern, wie manche unwissende Officiere in Deutschland meinen.

(Fortsetzung folgt.)




Die Worte Napoleons: „Jeder französische Soldat trägt seinen Marschallsstab in
der Patrontasche", haben ihre Bedeutung noch nicht ganz verloren. Noch immer er¬
gänzt sich das Officiercorps der Regimenter zur Hälfte ans gedienten Unteroffi¬
zieren, während die übrigen Ofstciere aus den Militairschulcn kommen. Was
der Unterofficier früher gewesen, ob sein Vater Kesselflicker oder General war, ist
gleichgiltig, wenn er selbst sich während seiner militairischen Dienstzeit untadelhaft
^'tragen hat. Hierauf aber wird sehr streng gesehen, und ich erlebte, daß ein
sehr tüchtiger Sergeant-Major nicht Officier ward, weil man ihn zweimal stark
""getrunken an einem öffentlichen Orte gesehen hatte. Um Officier werden zu
können, muß der Unterofficier sich vorher ein gewisses Maß der nöthigen Kennt¬
nisse erworben haben, zu deren Erlangung man fähige Leute auf alle Weise be¬
günstigt, indem ihnen Urlaub zum Besuch der Kriegsschulen n. s. w. bewilligt wird.
Die gründlich wissenschaftliche Ausbildung der hannöverschen, preußischen, säch¬
sischen und oldenburgischen Officiere wird von den französischen Jnfantericvfficieren
^icht gefordert; die Anforderungen an dieselben sind so ziemlich denen gleich, die
man in Bayern stellt, wo das Officicrexamcn bedeutend leichter, als im Allge¬
meinen in Norddeutschland ist. Das Avancement geht bis zum Hauptmann nach
der Anciennctät im Regiment, später ohne feste Anciennctät durch die verschiedenen
Waffengattungen in der Armee. In keinem Heere trifft man daher verhältuiß-
'uiißig so viel alte Hauptleute, die von unten auf gedient haben, und junge that¬
kräftige StabSvfficiere, besonders Generale, die auf eine oder die andere Weise
ihren Weg rascher gemacht. Möglichst viel junge Stabsofsiciere zu haben ist
Princip; wer das fünfzigste Lebensalter überschritten hat, kauu gesetzlich nicht
Mehr dazu befördert werden. Daß bei diesem rascheru Avancement nicht Ver¬
dienst allein entscheidet, sondern Protection mannichfacher Art viel thut, ist nicht
läugnen. Vorzug der Geburt bewirkt übrigens nicht zu viel, denn man trifft
unter den französischen Stabsvfficicren aller Grade sehr viele an, die, von ganz
niederer Herkunft, als gewöhnliche Recruten in das Heer getreten sind, und daß
der Geburtsadel gänzlich und unwiederbringlich seinen Boden in Frankreich verloren
hat, mer^ man im Heere am deutlichsten. In der Gesellschaft spielen die fran-
Mschen Officiercorps keine Hauptrolle. Der häufige Wechsel der Garnisonen
U»d die viele dienstliche Beschäftigung isolirt sie; ihre sreie Zeit verbringen sie
vielfach in bestimmten Kaffeehäusern und Restaurationen, deren in jeder größern Gar-
nisonsstadt mehrere fast ausschließlich von Militairs besucht werden.

So stellt sich das gegenwärtige französische Heer dem Fremden dar, als ein
Züchtiger vollkommen triegsfähigcr Körper, nicht als ein loser Haufe von rothen
Republikanern, wie manche unwissende Officiere in Deutschland meinen.

(Fortsetzung folgt.)




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[0419] Die Worte Napoleons: „Jeder französische Soldat trägt seinen Marschallsstab in der Patrontasche", haben ihre Bedeutung noch nicht ganz verloren. Noch immer er¬ gänzt sich das Officiercorps der Regimenter zur Hälfte ans gedienten Unteroffi¬ zieren, während die übrigen Ofstciere aus den Militairschulcn kommen. Was der Unterofficier früher gewesen, ob sein Vater Kesselflicker oder General war, ist gleichgiltig, wenn er selbst sich während seiner militairischen Dienstzeit untadelhaft ^'tragen hat. Hierauf aber wird sehr streng gesehen, und ich erlebte, daß ein sehr tüchtiger Sergeant-Major nicht Officier ward, weil man ihn zweimal stark ""getrunken an einem öffentlichen Orte gesehen hatte. Um Officier werden zu können, muß der Unterofficier sich vorher ein gewisses Maß der nöthigen Kennt¬ nisse erworben haben, zu deren Erlangung man fähige Leute auf alle Weise be¬ günstigt, indem ihnen Urlaub zum Besuch der Kriegsschulen n. s. w. bewilligt wird. Die gründlich wissenschaftliche Ausbildung der hannöverschen, preußischen, säch¬ sischen und oldenburgischen Officiere wird von den französischen Jnfantericvfficieren ^icht gefordert; die Anforderungen an dieselben sind so ziemlich denen gleich, die man in Bayern stellt, wo das Officicrexamcn bedeutend leichter, als im Allge¬ meinen in Norddeutschland ist. Das Avancement geht bis zum Hauptmann nach der Anciennctät im Regiment, später ohne feste Anciennctät durch die verschiedenen Waffengattungen in der Armee. In keinem Heere trifft man daher verhältuiß- 'uiißig so viel alte Hauptleute, die von unten auf gedient haben, und junge that¬ kräftige StabSvfficiere, besonders Generale, die auf eine oder die andere Weise ihren Weg rascher gemacht. Möglichst viel junge Stabsofsiciere zu haben ist Princip; wer das fünfzigste Lebensalter überschritten hat, kauu gesetzlich nicht Mehr dazu befördert werden. Daß bei diesem rascheru Avancement nicht Ver¬ dienst allein entscheidet, sondern Protection mannichfacher Art viel thut, ist nicht läugnen. Vorzug der Geburt bewirkt übrigens nicht zu viel, denn man trifft unter den französischen Stabsvfficicren aller Grade sehr viele an, die, von ganz niederer Herkunft, als gewöhnliche Recruten in das Heer getreten sind, und daß der Geburtsadel gänzlich und unwiederbringlich seinen Boden in Frankreich verloren hat, mer^ man im Heere am deutlichsten. In der Gesellschaft spielen die fran- Mschen Officiercorps keine Hauptrolle. Der häufige Wechsel der Garnisonen U»d die viele dienstliche Beschäftigung isolirt sie; ihre sreie Zeit verbringen sie vielfach in bestimmten Kaffeehäusern und Restaurationen, deren in jeder größern Gar- nisonsstadt mehrere fast ausschließlich von Militairs besucht werden. So stellt sich das gegenwärtige französische Heer dem Fremden dar, als ein Züchtiger vollkommen triegsfähigcr Körper, nicht als ein loser Haufe von rothen Republikanern, wie manche unwissende Officiere in Deutschland meinen. (Fortsetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/419>, abgerufen am 23.07.2024.