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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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selbst hat Beethoven in der neuen Ausgabe zwischen dem Adagio und dem /Me-
Mo van W'l" eine wunderbar schone Stelle in O clur ausgelassen ("O du, für den
ich Alles trug" u. s. w., in einer andern Ausführung, als derjenigen, die spater
mit denselben Worten eintritt), die musikalisch wie dramatisch vortrefflich die beiden
Stimmungen vermittelt., Diese Stelle muß wieder eingeschoben werden. -- Der
Chor der Gefangenen wird in der ältern Ausgabe uicht durch eine besondere
Bitte der Leonore eingeleitet, sondern er drückt nnr den gewöhnliche" Spazier-
Mug aus, den die leichteren Gefangenen jeden Tag machen; daher ist auch das
eigentliche Finale anders und die Wuth des herbeieilenden Pizarro wird uicht
durch die Eigenmächtigkeit des Kerkermeisters motivirt, die allerdings ein höchst
unglaublicher Act ist, sondern dadurch, daß dem Gouverneur die Gefangenen
draußen zu lange verweilen. Zum Schluß singt dann Pizarro eine Arie, die bei
den Wiener Sängern die größte Empörung erregte, und wendet sich an die
Soldaten, um sie zur Treue aufzufordern, was diese ihm auch in einem Chor
^'sprechen. -- Diese Wendung hat zwar den Vorzug der größer" Wahrschein-
"'edlen, nud es fällt dadurch auch Rocco's wunderliche Entschuldigung mit dem
Namenstag des Königs weg, die beinahe so aussieht, wie eine Anspielung aus
das Datum der Aufführung. Allein in musikalischer Beziehung scheint uns die
Niere Form des Finale ganz entschieden den Vorzug zu verdienen, und wir
würden daher zu einer Aenderung dieses Theils nicht rathen.

Auf die einzelnen Veränderungen im ersten Theile des zweiten Acts gehen
wir nicht näher ein, obgleich wir wol wünschen möchten, daß man einmal die
"leere, in mancher Beziehung großartige Bearbeitung des großen Terzetts versn.
^n möchte. Aber mit dem Trompetensignal und der Entfernung Pizarro's und
Rocco's aus dem Kerker tritt eine wesentliche Veränderung ein. Leonore fällt
Ohnmacht, und der jubelnde Ausruf: "O namenlose Frende" u. s. w. wird
d"res eine sehr schöne reeitativische Introduction eingeführt, die uns nach der
gewaltigen Anstrengung der vorhergehenden Seene einige Augenblicke Ruhe ver¬
gönnt und die zum Schluß der Handlung noch nöthige Spannung auf eine viel
zweckmäßigere Weise vermittelt, als der Scenenwechsel der neuen Ausgabe. Die
Scene bleibt nämlich ungeändert; man hört zuerst von ferne, dann immer näher
kommend, einen Chor: "Zur Rache" u. s. w., die beiden Liebenden glauben
^'se, man wolle sie todten, aber der Minister erscheint mit Rocco und dem Ge-
^>ge, und verkündigt ihnen ihre Befreiung. Das ist in Samischer Beziehung eine
viel bessere Einrichtung, und sollte daher auf dem Theater wieder angenommen
werden, da anch die Musik des Gegenstandes würdig ist. Von dem Chor dage¬
gen an: "Bestraset sei der Bösewicht," würden wir wieder der neue" Ausgabe
Vorzug gebe", die im Wesentlichen dieselben Motive enthält, aber stark ge-
^rzt ist, wie das zum Schluß nöthig sein dürfte. -- Diese Andeutungen sollen
nichts weiter, als zu einer nähern Prüfung der Sache auffordern.




Gre"zb"te", IV. -I8!i>>.

selbst hat Beethoven in der neuen Ausgabe zwischen dem Adagio und dem /Me-
Mo van W'l» eine wunderbar schone Stelle in O clur ausgelassen („O du, für den
ich Alles trug" u. s. w., in einer andern Ausführung, als derjenigen, die spater
mit denselben Worten eintritt), die musikalisch wie dramatisch vortrefflich die beiden
Stimmungen vermittelt., Diese Stelle muß wieder eingeschoben werden. — Der
Chor der Gefangenen wird in der ältern Ausgabe uicht durch eine besondere
Bitte der Leonore eingeleitet, sondern er drückt nnr den gewöhnliche« Spazier-
Mug aus, den die leichteren Gefangenen jeden Tag machen; daher ist auch das
eigentliche Finale anders und die Wuth des herbeieilenden Pizarro wird uicht
durch die Eigenmächtigkeit des Kerkermeisters motivirt, die allerdings ein höchst
unglaublicher Act ist, sondern dadurch, daß dem Gouverneur die Gefangenen
draußen zu lange verweilen. Zum Schluß singt dann Pizarro eine Arie, die bei
den Wiener Sängern die größte Empörung erregte, und wendet sich an die
Soldaten, um sie zur Treue aufzufordern, was diese ihm auch in einem Chor
^'sprechen. — Diese Wendung hat zwar den Vorzug der größer» Wahrschein-
"'edlen, nud es fällt dadurch auch Rocco's wunderliche Entschuldigung mit dem
Namenstag des Königs weg, die beinahe so aussieht, wie eine Anspielung aus
das Datum der Aufführung. Allein in musikalischer Beziehung scheint uns die
Niere Form des Finale ganz entschieden den Vorzug zu verdienen, und wir
würden daher zu einer Aenderung dieses Theils nicht rathen.

Auf die einzelnen Veränderungen im ersten Theile des zweiten Acts gehen
wir nicht näher ein, obgleich wir wol wünschen möchten, daß man einmal die
"leere, in mancher Beziehung großartige Bearbeitung des großen Terzetts versn.
^n möchte. Aber mit dem Trompetensignal und der Entfernung Pizarro's und
Rocco's aus dem Kerker tritt eine wesentliche Veränderung ein. Leonore fällt
Ohnmacht, und der jubelnde Ausruf: „O namenlose Frende" u. s. w. wird
d"res eine sehr schöne reeitativische Introduction eingeführt, die uns nach der
gewaltigen Anstrengung der vorhergehenden Seene einige Augenblicke Ruhe ver¬
gönnt und die zum Schluß der Handlung noch nöthige Spannung auf eine viel
zweckmäßigere Weise vermittelt, als der Scenenwechsel der neuen Ausgabe. Die
Scene bleibt nämlich ungeändert; man hört zuerst von ferne, dann immer näher
kommend, einen Chor: „Zur Rache" u. s. w., die beiden Liebenden glauben
^'se, man wolle sie todten, aber der Minister erscheint mit Rocco und dem Ge-
^>ge, und verkündigt ihnen ihre Befreiung. Das ist in Samischer Beziehung eine
viel bessere Einrichtung, und sollte daher auf dem Theater wieder angenommen
werden, da anch die Musik des Gegenstandes würdig ist. Von dem Chor dage¬
gen an: „Bestraset sei der Bösewicht," würden wir wieder der neue» Ausgabe
Vorzug gebe«, die im Wesentlichen dieselben Motive enthält, aber stark ge-
^rzt ist, wie das zum Schluß nöthig sein dürfte. — Diese Andeutungen sollen
nichts weiter, als zu einer nähern Prüfung der Sache auffordern.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/397>, abgerufen am 23.07.2024.