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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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wie den Ausgang neben dem Hanse der Hofleichen-Wäscherinnen. Diesen sorg¬
samsten war es endlich vorbehalten, die verborgenen Ursachen des Ereignisses zu
entdecken. "Gestalten" mit Leitern, Farbentöpfen und Pinseln auslangen Stan¬
gen, gefolgt vou Knaben mit Schablonen, zogen allmorgens in die verschlossene"
Hallen, allabends wieder heraus. Schon gab es Leute, welche ängstlich flüster¬
ten, ein hochverräterischer Club habe sich des Ständchanscs bemächtigt. Doch
die Zuversicht ans den Grafen Reigersberg ertödtete das aufreizende Gerücht noch
im Entstehen. Und ruhigere Gemüther entdeckten endlich die Wahrheit. Die "freie
Kunst" der Wandmaler hatte über den pedantischen Zwang des constitutionellen
Gesetzes gesiegt; sie restaurirte die zweite Kammer, und war damit noch nicht zu
Ende, als deren Mitglieder hätten versammelt werden sollen.

München hat der Kunst so viel zu danken, daß es trotz aller eoustitntumcllen
Bedenken geduldig die Künstlerlaune ertrug. Und im zweiten Monate des Jah¬
res durften die Volksvertreter -- doch mein, die Abgeordneten zur zweiten
Kammer, einziehen in die ncugetüuchten Räume. Alles war äußerst schön. Ver¬
schwunden waren die pseudoantikcn Verzierungen aus der Mode napoleonischer Zeit,
damit weggewischt jede Erinnerung einer Gedaukencombiuatiou zwischen diesem
Schmucke und der Rheinbundsepoche. Heitere Phantasiespiele, Styl- und bedeutungs-
los, waren an ihrer Stelle in blendender Farbenpracht erblüht, und in regelrechter
Kanzleischrift glänzten die Namen jedes Abgeordneten an der Stelle, wo er eigent¬
lich sitzen sollte -- unschuldig weiße Blüttchcn auf leider rothen Polstern. Auch
die Präsidententribuue war aufpolirt, und blos das Bild des trefflichen Königs
Max Joseph blickte noch immer ans der Nische dahinter mit seineu klaren, guten
Angen ans die Versammlung nieder. Und abermals besorgte" Aengstliche, auch
von dem Lebendigen in der Kammer sei nichts Altes übrig geblieben, nichts von
den Errungenschaften der Wahl des Jahres 1849, nichts von jener Majorität,
die unter Herrn v. Lerchenfeld für Freiheit der Presse und Deutschlands Einheit,
für Judenemancipation und Assvciatimisrecht, für Ministerverantwortlichkeit und
Verbesserung des Staatshaushaltes so herrliche Schlachten geschlagen, so ruhm¬
reiche Siege erföchte". Aber diese Besorgniß war überflüssig; die Lebendigen
waren dieselbe" geblieben, nur um acht Monate älter und weiser geworden. So¬
gar auf dem Präsidentenplatze steht wieder der Herrscher der vorigen Kammer-
session, Herr Friedrich Graf von Hegnenbcrg-Dux auf Hegnenberg. Neben ihm
späht wieder der interessante Van-Dyk-Kopf des ehemaligen Bürgermeisters z"
Eichstädt und abermaligen "Herrn ersten Secretairs" der Kammer, nar unter
den Gruppen umher, ob etwa amüsante Nandzeichnuugcu um das langweilig^
Protokoll zu schlingen seien, wenn nicht just eine Zeituugöcorrcspondeuz die Feder
anderweitig in Anspruch nimmt. Ja, man sieht es seinem Aeußern nicht im Min¬
desten an, daß er mittlerweile königlicher Landrichter geworden. Und im schwarzen
Rock, wie ehemals, sitzt ans der andern Seite anch der abermalige "Herr zweite


wie den Ausgang neben dem Hanse der Hofleichen-Wäscherinnen. Diesen sorg¬
samsten war es endlich vorbehalten, die verborgenen Ursachen des Ereignisses zu
entdecken. „Gestalten" mit Leitern, Farbentöpfen und Pinseln auslangen Stan¬
gen, gefolgt vou Knaben mit Schablonen, zogen allmorgens in die verschlossene»
Hallen, allabends wieder heraus. Schon gab es Leute, welche ängstlich flüster¬
ten, ein hochverräterischer Club habe sich des Ständchanscs bemächtigt. Doch
die Zuversicht ans den Grafen Reigersberg ertödtete das aufreizende Gerücht noch
im Entstehen. Und ruhigere Gemüther entdeckten endlich die Wahrheit. Die „freie
Kunst" der Wandmaler hatte über den pedantischen Zwang des constitutionellen
Gesetzes gesiegt; sie restaurirte die zweite Kammer, und war damit noch nicht zu
Ende, als deren Mitglieder hätten versammelt werden sollen.

München hat der Kunst so viel zu danken, daß es trotz aller eoustitntumcllen
Bedenken geduldig die Künstlerlaune ertrug. Und im zweiten Monate des Jah¬
res durften die Volksvertreter — doch mein, die Abgeordneten zur zweiten
Kammer, einziehen in die ncugetüuchten Räume. Alles war äußerst schön. Ver¬
schwunden waren die pseudoantikcn Verzierungen aus der Mode napoleonischer Zeit,
damit weggewischt jede Erinnerung einer Gedaukencombiuatiou zwischen diesem
Schmucke und der Rheinbundsepoche. Heitere Phantasiespiele, Styl- und bedeutungs-
los, waren an ihrer Stelle in blendender Farbenpracht erblüht, und in regelrechter
Kanzleischrift glänzten die Namen jedes Abgeordneten an der Stelle, wo er eigent¬
lich sitzen sollte — unschuldig weiße Blüttchcn auf leider rothen Polstern. Auch
die Präsidententribuue war aufpolirt, und blos das Bild des trefflichen Königs
Max Joseph blickte noch immer ans der Nische dahinter mit seineu klaren, guten
Angen ans die Versammlung nieder. Und abermals besorgte» Aengstliche, auch
von dem Lebendigen in der Kammer sei nichts Altes übrig geblieben, nichts von
den Errungenschaften der Wahl des Jahres 1849, nichts von jener Majorität,
die unter Herrn v. Lerchenfeld für Freiheit der Presse und Deutschlands Einheit,
für Judenemancipation und Assvciatimisrecht, für Ministerverantwortlichkeit und
Verbesserung des Staatshaushaltes so herrliche Schlachten geschlagen, so ruhm¬
reiche Siege erföchte». Aber diese Besorgniß war überflüssig; die Lebendigen
waren dieselbe» geblieben, nur um acht Monate älter und weiser geworden. So¬
gar auf dem Präsidentenplatze steht wieder der Herrscher der vorigen Kammer-
session, Herr Friedrich Graf von Hegnenbcrg-Dux auf Hegnenberg. Neben ihm
späht wieder der interessante Van-Dyk-Kopf des ehemaligen Bürgermeisters z»
Eichstädt und abermaligen „Herrn ersten Secretairs" der Kammer, nar unter
den Gruppen umher, ob etwa amüsante Nandzeichnuugcu um das langweilig^
Protokoll zu schlingen seien, wenn nicht just eine Zeituugöcorrcspondeuz die Feder
anderweitig in Anspruch nimmt. Ja, man sieht es seinem Aeußern nicht im Min¬
desten an, daß er mittlerweile königlicher Landrichter geworden. Und im schwarzen
Rock, wie ehemals, sitzt ans der andern Seite anch der abermalige „Herr zweite


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/380>, abgerufen am 23.07.2024.