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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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das der Fall, wenigstens im ersten Act, wo der zum Wahnsinn sich steigernde
Ehrgeiz uns gleichsam octroyirt wird, während in dem späteren der Entwickelung
seines Gemüths so viel Ausdruck verstattet wird, daß wir wenigstens den Faden
nicht verlieren.

Noch weit mehr findet das aber ans die Lady Anwendung, an deren ab¬
norme Geistesrichtungen wir nur glauben können, wenn sie uns in den harten,
geschlossenen und gewaltigen Zügen der Künstlerin entgegentritt, denn ihre fürchter¬
liche Leidenschaft braust uur einmal auf, ganz zu Anfang, während wir noch gar
nicht darauf vorbereitet sind. In den späteren, ansgeführtereu Scenen ist sie be¬
reits gebrochen. - Endlich ist noch die übersinnliche Welt zu bewältigen, die
Erscheinung Banquo's und die Hexenscenen. Das Auftauchen des blutigen Banguo
unter dem Tisch macht bei unsrem Publicum geradezu einen lächerlichen Eindruck.
Sonderbarer Weise wird diese Scene nach dem Muster der Shakspeare'schen
Aufführung uoch auf allen unsren Theatern so dargestellt, obgleich die Abhilfe doch so
nahe liegt. Die Erscheinung Banquo'S ist offenbar ein psychisches Phänomen,
das lediglich in der Seele Macbeth's vor sich geht, denn sie ist nur dem Schul¬
digen sichtbar, uicht seinen Gästen, nicht einmal der Lady; sie hat also keine sinn¬
liche Wahrheit, und soll auch gar nicht sinnlich dargestellt werden. Das Ver¬
ständniß würde keineswegs darunter leiden, denu das wirkliche Publicum soll
dasselbe EntselLen über die Vision Macbeth's empfinden, wie das Publicum auf
dem Theater, und da es besser nnterichtet ist, als dieses, da es den Mord Banquo's
">it angesehen und die Unterredung Macbeth's mit den Mördern den Augenblick
vorher belauscht hat, so kann es keinen Augenblick darüber in Zweifel sein, wel¬
ches Gesicht der aufgeregten Phantasie des Schuldigen entgegenkommt, um so
weniger, da sich Macbeth selbst darüber ausspricht. -- Was die Hexenscenen
betrifft, so muß man den Unterschied der Shakspeare'schen Zeit von der unsrigen
Wohl in Anschlag bringen. Unter König Jakob war die Hexerei noch ein sehr
ernsthafter Gegenstand, und wenn man der Verbrennung solcher schauderhaften Weiber
beigewohnt hatte, so war mau uicht geneigt, die Erscheinung derselben auf dem
Theater zu belachen. Für uns aber haben die Ingredienzien, aus denen der
Hexentrank gebraut wird, nur etwas spaßhaftes, und da diese Scenen als ein
wesentliches Motiv der Entwickelung nicht zu vermeiden sind, so giebt es nur ein
Mittel, unsre Phantasie dafür empfänglich zu macheu, nämlich die Musik. Mit
Ausnahme der charakteristische" Worte müssen die sämmtlichen Redensarten der
Hexen gestrichen werden, und statt dessen muß eine charakteristische, aber allerdings
bescheiden auftretende Musik unsre Stimmung in die nöthige Aufregung versetzen,



') Beiläufig, el" Schauspieler, der in seiner Persönlichkeit eine ungewöhnliche Anlage
Zur Darstellung'dieses Charakters hat , "renn er ihn nnr geistig zu durchdringen versteht, ist
Ävscvh Wagner in Wien.

das der Fall, wenigstens im ersten Act, wo der zum Wahnsinn sich steigernde
Ehrgeiz uns gleichsam octroyirt wird, während in dem späteren der Entwickelung
seines Gemüths so viel Ausdruck verstattet wird, daß wir wenigstens den Faden
nicht verlieren.

Noch weit mehr findet das aber ans die Lady Anwendung, an deren ab¬
norme Geistesrichtungen wir nur glauben können, wenn sie uns in den harten,
geschlossenen und gewaltigen Zügen der Künstlerin entgegentritt, denn ihre fürchter¬
liche Leidenschaft braust uur einmal auf, ganz zu Anfang, während wir noch gar
nicht darauf vorbereitet sind. In den späteren, ansgeführtereu Scenen ist sie be¬
reits gebrochen. - Endlich ist noch die übersinnliche Welt zu bewältigen, die
Erscheinung Banquo's und die Hexenscenen. Das Auftauchen des blutigen Banguo
unter dem Tisch macht bei unsrem Publicum geradezu einen lächerlichen Eindruck.
Sonderbarer Weise wird diese Scene nach dem Muster der Shakspeare'schen
Aufführung uoch auf allen unsren Theatern so dargestellt, obgleich die Abhilfe doch so
nahe liegt. Die Erscheinung Banquo'S ist offenbar ein psychisches Phänomen,
das lediglich in der Seele Macbeth's vor sich geht, denn sie ist nur dem Schul¬
digen sichtbar, uicht seinen Gästen, nicht einmal der Lady; sie hat also keine sinn¬
liche Wahrheit, und soll auch gar nicht sinnlich dargestellt werden. Das Ver¬
ständniß würde keineswegs darunter leiden, denu das wirkliche Publicum soll
dasselbe EntselLen über die Vision Macbeth's empfinden, wie das Publicum auf
dem Theater, und da es besser nnterichtet ist, als dieses, da es den Mord Banquo's
">it angesehen und die Unterredung Macbeth's mit den Mördern den Augenblick
vorher belauscht hat, so kann es keinen Augenblick darüber in Zweifel sein, wel¬
ches Gesicht der aufgeregten Phantasie des Schuldigen entgegenkommt, um so
weniger, da sich Macbeth selbst darüber ausspricht. — Was die Hexenscenen
betrifft, so muß man den Unterschied der Shakspeare'schen Zeit von der unsrigen
Wohl in Anschlag bringen. Unter König Jakob war die Hexerei noch ein sehr
ernsthafter Gegenstand, und wenn man der Verbrennung solcher schauderhaften Weiber
beigewohnt hatte, so war mau uicht geneigt, die Erscheinung derselben auf dem
Theater zu belachen. Für uns aber haben die Ingredienzien, aus denen der
Hexentrank gebraut wird, nur etwas spaßhaftes, und da diese Scenen als ein
wesentliches Motiv der Entwickelung nicht zu vermeiden sind, so giebt es nur ein
Mittel, unsre Phantasie dafür empfänglich zu macheu, nämlich die Musik. Mit
Ausnahme der charakteristische» Worte müssen die sämmtlichen Redensarten der
Hexen gestrichen werden, und statt dessen muß eine charakteristische, aber allerdings
bescheiden auftretende Musik unsre Stimmung in die nöthige Aufregung versetzen,



') Beiläufig, el» Schauspieler, der in seiner Persönlichkeit eine ungewöhnliche Anlage
Zur Darstellung'dieses Charakters hat , »renn er ihn nnr geistig zu durchdringen versteht, ist
Ävscvh Wagner in Wien.
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[0347] das der Fall, wenigstens im ersten Act, wo der zum Wahnsinn sich steigernde Ehrgeiz uns gleichsam octroyirt wird, während in dem späteren der Entwickelung seines Gemüths so viel Ausdruck verstattet wird, daß wir wenigstens den Faden nicht verlieren. Noch weit mehr findet das aber ans die Lady Anwendung, an deren ab¬ norme Geistesrichtungen wir nur glauben können, wenn sie uns in den harten, geschlossenen und gewaltigen Zügen der Künstlerin entgegentritt, denn ihre fürchter¬ liche Leidenschaft braust uur einmal auf, ganz zu Anfang, während wir noch gar nicht darauf vorbereitet sind. In den späteren, ansgeführtereu Scenen ist sie be¬ reits gebrochen. - Endlich ist noch die übersinnliche Welt zu bewältigen, die Erscheinung Banquo's und die Hexenscenen. Das Auftauchen des blutigen Banguo unter dem Tisch macht bei unsrem Publicum geradezu einen lächerlichen Eindruck. Sonderbarer Weise wird diese Scene nach dem Muster der Shakspeare'schen Aufführung uoch auf allen unsren Theatern so dargestellt, obgleich die Abhilfe doch so nahe liegt. Die Erscheinung Banquo'S ist offenbar ein psychisches Phänomen, das lediglich in der Seele Macbeth's vor sich geht, denn sie ist nur dem Schul¬ digen sichtbar, uicht seinen Gästen, nicht einmal der Lady; sie hat also keine sinn¬ liche Wahrheit, und soll auch gar nicht sinnlich dargestellt werden. Das Ver¬ ständniß würde keineswegs darunter leiden, denu das wirkliche Publicum soll dasselbe EntselLen über die Vision Macbeth's empfinden, wie das Publicum auf dem Theater, und da es besser nnterichtet ist, als dieses, da es den Mord Banquo's ">it angesehen und die Unterredung Macbeth's mit den Mördern den Augenblick vorher belauscht hat, so kann es keinen Augenblick darüber in Zweifel sein, wel¬ ches Gesicht der aufgeregten Phantasie des Schuldigen entgegenkommt, um so weniger, da sich Macbeth selbst darüber ausspricht. — Was die Hexenscenen betrifft, so muß man den Unterschied der Shakspeare'schen Zeit von der unsrigen Wohl in Anschlag bringen. Unter König Jakob war die Hexerei noch ein sehr ernsthafter Gegenstand, und wenn man der Verbrennung solcher schauderhaften Weiber beigewohnt hatte, so war mau uicht geneigt, die Erscheinung derselben auf dem Theater zu belachen. Für uns aber haben die Ingredienzien, aus denen der Hexentrank gebraut wird, nur etwas spaßhaftes, und da diese Scenen als ein wesentliches Motiv der Entwickelung nicht zu vermeiden sind, so giebt es nur ein Mittel, unsre Phantasie dafür empfänglich zu macheu, nämlich die Musik. Mit Ausnahme der charakteristische» Worte müssen die sämmtlichen Redensarten der Hexen gestrichen werden, und statt dessen muß eine charakteristische, aber allerdings bescheiden auftretende Musik unsre Stimmung in die nöthige Aufregung versetzen, ') Beiläufig, el» Schauspieler, der in seiner Persönlichkeit eine ungewöhnliche Anlage Zur Darstellung'dieses Charakters hat , »renn er ihn nnr geistig zu durchdringen versteht, ist Ävscvh Wagner in Wien.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/347>, abgerufen am 23.07.2024.