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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Redner, die gezwungen sind, die Tribune zu besteigen, ihre Aufgabe nur mit
Widerwillen löse". So geschah in der gestrige" Sitzung und so wird anch noch
lange geschehen. Das Terrain, ans dem sich die gegenwärtige DiScusston bewegt,
ist auch ganz unterminirt und giebt keinen festen Standpunkt. Die Majorität
fühlt es fast schon, daß sie, salls es ihr mit der Rcactivnspolitik Ernst ist, anch
bei Zeiten daran denken müßte, sich Napoleon's Wiedererwählung als ein pis-
Älör aufzubewahren. Ihr Widerstand gegen die Regierung ist demnach nur eine
Folge verletzter persönlicher kleinlicher Rücksichten, wie die sogenannte Ordnungs-
Pvlitik überhaupt nie mehr gewesen, als eine Summe von getäuschten Erwar¬
tungen, persönlichen Eitelkeiten, versagten Hoffnungen, den närrischsten Befürch¬
tungen, welche sich in Declamationen und politischen Acten auszudrücken suchten.
Die Ordnungspartei als solche hat eigentlich gar nie existirt, sie ist wie die eng¬
lische Guinee, uur eine fingirte Große -- die Wirklichkeit sind die einzelnen Schil¬
linge der verschiedenen royalistischen und reactionaireu Fractionen. Auf dem
Markte kann man nur mit letzter" etwas ausrichte". Nur wer die individuel¬
le", die Partcirückstchten gehörig zu behandeln und in seinen Combinationen gut
ZU gruppiren verstand, durste darauf rechnen, die Noualisten als Gesammtheit der
Einzelnen zu benützen. Die Rechte folgte also bei Verwerfung des Regierungs-
"vrschlages über das allgemeine Stimmrecht nur der gereizten Stimme der tief-
beleidigten Siebzehn-Commission, der solidarischen Vaterschaft vom 31. Mai,
"ber nicht ihrem Interesse, noch prüfte sie, was der Würde der Nationalversamm¬
lung angemessen wäre. Die Linke war gleichfalls in einer solchen Stellung, auch
'l)r ist es nicht angenehm, daß Louis Bonaparte die Initiative dieser Maßregel
^griffen, weil sie beweist, daß er die Benefiz dieser populairen Institution in An¬
spruch zu nehmen gedenke, ohne weiter ans die Ansichten der Republikaner ein¬
gehen z" wollen. Die Sprache der Message ist in dieser Beziehung ganz klar,
"ud läßt keinen Zweifel bestehen. Louis Bonaparte's Hoffnung, daß ihm sein
Mer Wille für die That angerechnet werden dürfte, geht schon aus dem Um¬
stände hervor, daß er seine Freunde nicht an den Verhandlungen in den Bureaus
Theil nehmen ließ. Die Linke sah sich also in der Lage, Louis Bonaparte zu
Unterstützen, während sie wußte, daß dieser sie blos ausbeuten wollte. Nicht cin-
Uurl der Präsident hat eine anreden- und eingestehbare Stellung. Er geht mit
^schränkten Armen, wie sein Onkel, der große Napoleon, zwischen den Parteien
herum, nähert sich in seiner verzeihlichen Zerstreuung in der Vertiefung seiner
bedanken bald dieser, bald jener, ohne anch mir bei einer einzigen zu verweilen.
Denn Louis Bonaparte kennt mir eine Partei, der er mit Liebe anhängt, das ist
die Partei seiner Wiedererwählung, die Partei des Staatsstreiches. Wurde er
Schwächen der verschiedenen Parteien im Lande zu benutzen verstanden haben,
seine Wiedererwählung wäre gewiß; jetzt schwebt Frankreich zwischen einer Revo-


5in

Redner, die gezwungen sind, die Tribune zu besteigen, ihre Aufgabe nur mit
Widerwillen löse». So geschah in der gestrige» Sitzung und so wird anch noch
lange geschehen. Das Terrain, ans dem sich die gegenwärtige DiScusston bewegt,
ist auch ganz unterminirt und giebt keinen festen Standpunkt. Die Majorität
fühlt es fast schon, daß sie, salls es ihr mit der Rcactivnspolitik Ernst ist, anch
bei Zeiten daran denken müßte, sich Napoleon's Wiedererwählung als ein pis-
Älör aufzubewahren. Ihr Widerstand gegen die Regierung ist demnach nur eine
Folge verletzter persönlicher kleinlicher Rücksichten, wie die sogenannte Ordnungs-
Pvlitik überhaupt nie mehr gewesen, als eine Summe von getäuschten Erwar¬
tungen, persönlichen Eitelkeiten, versagten Hoffnungen, den närrischsten Befürch¬
tungen, welche sich in Declamationen und politischen Acten auszudrücken suchten.
Die Ordnungspartei als solche hat eigentlich gar nie existirt, sie ist wie die eng¬
lische Guinee, uur eine fingirte Große — die Wirklichkeit sind die einzelnen Schil¬
linge der verschiedenen royalistischen und reactionaireu Fractionen. Auf dem
Markte kann man nur mit letzter» etwas ausrichte». Nur wer die individuel¬
le», die Partcirückstchten gehörig zu behandeln und in seinen Combinationen gut
ZU gruppiren verstand, durste darauf rechnen, die Noualisten als Gesammtheit der
Einzelnen zu benützen. Die Rechte folgte also bei Verwerfung des Regierungs-
"vrschlages über das allgemeine Stimmrecht nur der gereizten Stimme der tief-
beleidigten Siebzehn-Commission, der solidarischen Vaterschaft vom 31. Mai,
"ber nicht ihrem Interesse, noch prüfte sie, was der Würde der Nationalversamm¬
lung angemessen wäre. Die Linke war gleichfalls in einer solchen Stellung, auch
'l)r ist es nicht angenehm, daß Louis Bonaparte die Initiative dieser Maßregel
^griffen, weil sie beweist, daß er die Benefiz dieser populairen Institution in An¬
spruch zu nehmen gedenke, ohne weiter ans die Ansichten der Republikaner ein¬
gehen z„ wollen. Die Sprache der Message ist in dieser Beziehung ganz klar,
"ud läßt keinen Zweifel bestehen. Louis Bonaparte's Hoffnung, daß ihm sein
Mer Wille für die That angerechnet werden dürfte, geht schon aus dem Um¬
stände hervor, daß er seine Freunde nicht an den Verhandlungen in den Bureaus
Theil nehmen ließ. Die Linke sah sich also in der Lage, Louis Bonaparte zu
Unterstützen, während sie wußte, daß dieser sie blos ausbeuten wollte. Nicht cin-
Uurl der Präsident hat eine anreden- und eingestehbare Stellung. Er geht mit
^schränkten Armen, wie sein Onkel, der große Napoleon, zwischen den Parteien
herum, nähert sich in seiner verzeihlichen Zerstreuung in der Vertiefung seiner
bedanken bald dieser, bald jener, ohne anch mir bei einer einzigen zu verweilen.
Denn Louis Bonaparte kennt mir eine Partei, der er mit Liebe anhängt, das ist
die Partei seiner Wiedererwählung, die Partei des Staatsstreiches. Wurde er
Schwächen der verschiedenen Parteien im Lande zu benutzen verstanden haben,
seine Wiedererwählung wäre gewiß; jetzt schwebt Frankreich zwischen einer Revo-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/319>, abgerufen am 23.07.2024.