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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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Der "Romancero" ist bedeutender. Er zerfällt i" drei Theile: die Histo¬
rien, Lamentationen und hebräische Melodien. Die Historien enthalten Romanzen
in der Art, die man schon ans seinen früheren Dichtungen kennt, der Anlage nach
in dem alten Styl der schwäbischen Schule gedacht, aber mit der unvermeidlichen.
Ironie zersetzt, die Heine in seinen sämmtlichen Gedichten anzuwenden für Pflicht
hält, auch wo sie am wenigsten hingehört. Doch sind einzelne recht poetische
Einfälle darin, wenn ich auch die fortwährende Beschäftigung mit Gespenstern
und enthaupteten Personen einerseits, mit Läufer, Flöhen, Wanzen andrerseits
für keinen besondern Fortschritt der Poesie halte. Unsre alten Dichter haben
>nit Recht daran festgehalten, daß die Poesie uns Ideale geben soll, und wenn
'nan auch Heine dafür dankbar sein muß, daß er einen großen Theil der bisher
aus dein Salon der Dichtung verbannten Wirklichkeit emancipirt hat, so kann
doch mir nnter der Bedingung geschehen, daß eine umgekehrte Idealität, die
Idealität des Komischen, dadurch erreicht werden soll. Das ist aber keineswegs
Winer der Fall. Sehr häusig bringt Heine seine häßlichen Vorstellungen ans
bloßer Gewohnheit an, so wie es in einer Landsmanuschaftcrkneipe zum
Alten Ton gehörte, mit Zoten um sich zu werfen. Aber die priapische Poesie,
die keinen andern Zweck hat, als sich selbst, ist eine arge Verirrung, bei den
^audömannschastern eben so wie bei den Jungdeutschen, und wenn Heine be¬
hauptet, der von den Göttern begnadigte Dichter könne nicht sündigen, weder in
Versen, noch in Prosa, so ist das eine MneiM, Es ist außerdem kein
großes Kunststück, durch Zoten einen gewissen Effect zu erreichen, weil dazu
'Andes weiter gehört, als eine völlige Ungenirtheit. Ein großer Theil dieser
Historien, z. B. der Apollvgvtt, Schadelai, Karl !,, Kleines Volk u. s. w.,
lehnet sich durch nichts ans, als durch diese grenzenlose Ungenirtheit, die Alles
^ge, was ihr gerade in den Sinn kommt, ohne im geringsten danach zu frage",
°d es paßt oder nicht. Zuletzt wird daraus ein reiner Klingklang, und ich
Mite M,^ daß der Klingklang der Nonnenfürzlein, der grünen Säue, der,
^"'ihm u. f. w. viel wohlthuender ist, als der frühere conventionelle Klingklang
Herzen und Schmerzen, Sehnen und Thränen. In einzelnen Romanzen,
^ B> in der Schlacht bei Hastings, die Königin Pomare, Peter der Gran-
^'Ac u. s. w. ist das nicht der Fall, und es sind ganz vortreffliche Gedichte;
andern, z. B. die Himmelsbräute, Vitzliputzli, wird man wenigstens durch einige
^te Einfälle für die Geschmacklosigkeit des Ganzen entschädigt. Einige Male
^'d oje Einfälle so vortrefflich, daß sie trotz ihrer Einseitigkeit in den Mund des
^ils übergehen werden, wie es schon mit vielen der früheren Heine'schen Gedichte
^taschen ist. Ein solcher Erfolg ist z. B. der Romanze von den beiden Polen
^'herzusagen.

Die Lamentationen enthalte" die persönlichen Beziehungen des Dichters,
ist im Ganze" weniger Satyre darin, als man bei den gegenwärtigen Zeit-


Der „Romancero" ist bedeutender. Er zerfällt i» drei Theile: die Histo¬
rien, Lamentationen und hebräische Melodien. Die Historien enthalten Romanzen
in der Art, die man schon ans seinen früheren Dichtungen kennt, der Anlage nach
in dem alten Styl der schwäbischen Schule gedacht, aber mit der unvermeidlichen.
Ironie zersetzt, die Heine in seinen sämmtlichen Gedichten anzuwenden für Pflicht
hält, auch wo sie am wenigsten hingehört. Doch sind einzelne recht poetische
Einfälle darin, wenn ich auch die fortwährende Beschäftigung mit Gespenstern
und enthaupteten Personen einerseits, mit Läufer, Flöhen, Wanzen andrerseits
für keinen besondern Fortschritt der Poesie halte. Unsre alten Dichter haben
>nit Recht daran festgehalten, daß die Poesie uns Ideale geben soll, und wenn
'nan auch Heine dafür dankbar sein muß, daß er einen großen Theil der bisher
aus dein Salon der Dichtung verbannten Wirklichkeit emancipirt hat, so kann
doch mir nnter der Bedingung geschehen, daß eine umgekehrte Idealität, die
Idealität des Komischen, dadurch erreicht werden soll. Das ist aber keineswegs
Winer der Fall. Sehr häusig bringt Heine seine häßlichen Vorstellungen ans
bloßer Gewohnheit an, so wie es in einer Landsmanuschaftcrkneipe zum
Alten Ton gehörte, mit Zoten um sich zu werfen. Aber die priapische Poesie,
die keinen andern Zweck hat, als sich selbst, ist eine arge Verirrung, bei den
^audömannschastern eben so wie bei den Jungdeutschen, und wenn Heine be¬
hauptet, der von den Göttern begnadigte Dichter könne nicht sündigen, weder in
Versen, noch in Prosa, so ist das eine MneiM, Es ist außerdem kein
großes Kunststück, durch Zoten einen gewissen Effect zu erreichen, weil dazu
'Andes weiter gehört, als eine völlige Ungenirtheit. Ein großer Theil dieser
Historien, z. B. der Apollvgvtt, Schadelai, Karl !,, Kleines Volk u. s. w.,
lehnet sich durch nichts ans, als durch diese grenzenlose Ungenirtheit, die Alles
^ge, was ihr gerade in den Sinn kommt, ohne im geringsten danach zu frage»,
°d es paßt oder nicht. Zuletzt wird daraus ein reiner Klingklang, und ich
Mite M,^ daß der Klingklang der Nonnenfürzlein, der grünen Säue, der,
^"'ihm u. f. w. viel wohlthuender ist, als der frühere conventionelle Klingklang
Herzen und Schmerzen, Sehnen und Thränen. In einzelnen Romanzen,
^ B> in der Schlacht bei Hastings, die Königin Pomare, Peter der Gran-
^'Ac u. s. w. ist das nicht der Fall, und es sind ganz vortreffliche Gedichte;
andern, z. B. die Himmelsbräute, Vitzliputzli, wird man wenigstens durch einige
^te Einfälle für die Geschmacklosigkeit des Ganzen entschädigt. Einige Male
^'d oje Einfälle so vortrefflich, daß sie trotz ihrer Einseitigkeit in den Mund des
^ils übergehen werden, wie es schon mit vielen der früheren Heine'schen Gedichte
^taschen ist. Ein solcher Erfolg ist z. B. der Romanze von den beiden Polen
^'herzusagen.

Die Lamentationen enthalte» die persönlichen Beziehungen des Dichters,
ist im Ganze» weniger Satyre darin, als man bei den gegenwärtigen Zeit-


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[0249] Der „Romancero" ist bedeutender. Er zerfällt i» drei Theile: die Histo¬ rien, Lamentationen und hebräische Melodien. Die Historien enthalten Romanzen in der Art, die man schon ans seinen früheren Dichtungen kennt, der Anlage nach in dem alten Styl der schwäbischen Schule gedacht, aber mit der unvermeidlichen. Ironie zersetzt, die Heine in seinen sämmtlichen Gedichten anzuwenden für Pflicht hält, auch wo sie am wenigsten hingehört. Doch sind einzelne recht poetische Einfälle darin, wenn ich auch die fortwährende Beschäftigung mit Gespenstern und enthaupteten Personen einerseits, mit Läufer, Flöhen, Wanzen andrerseits für keinen besondern Fortschritt der Poesie halte. Unsre alten Dichter haben >nit Recht daran festgehalten, daß die Poesie uns Ideale geben soll, und wenn 'nan auch Heine dafür dankbar sein muß, daß er einen großen Theil der bisher aus dein Salon der Dichtung verbannten Wirklichkeit emancipirt hat, so kann doch mir nnter der Bedingung geschehen, daß eine umgekehrte Idealität, die Idealität des Komischen, dadurch erreicht werden soll. Das ist aber keineswegs Winer der Fall. Sehr häusig bringt Heine seine häßlichen Vorstellungen ans bloßer Gewohnheit an, so wie es in einer Landsmanuschaftcrkneipe zum Alten Ton gehörte, mit Zoten um sich zu werfen. Aber die priapische Poesie, die keinen andern Zweck hat, als sich selbst, ist eine arge Verirrung, bei den ^audömannschastern eben so wie bei den Jungdeutschen, und wenn Heine be¬ hauptet, der von den Göttern begnadigte Dichter könne nicht sündigen, weder in Versen, noch in Prosa, so ist das eine MneiM, Es ist außerdem kein großes Kunststück, durch Zoten einen gewissen Effect zu erreichen, weil dazu 'Andes weiter gehört, als eine völlige Ungenirtheit. Ein großer Theil dieser Historien, z. B. der Apollvgvtt, Schadelai, Karl !,, Kleines Volk u. s. w., lehnet sich durch nichts ans, als durch diese grenzenlose Ungenirtheit, die Alles ^ge, was ihr gerade in den Sinn kommt, ohne im geringsten danach zu frage», °d es paßt oder nicht. Zuletzt wird daraus ein reiner Klingklang, und ich Mite M,^ daß der Klingklang der Nonnenfürzlein, der grünen Säue, der, ^"'ihm u. f. w. viel wohlthuender ist, als der frühere conventionelle Klingklang Herzen und Schmerzen, Sehnen und Thränen. In einzelnen Romanzen, ^ B> in der Schlacht bei Hastings, die Königin Pomare, Peter der Gran- ^'Ac u. s. w. ist das nicht der Fall, und es sind ganz vortreffliche Gedichte; andern, z. B. die Himmelsbräute, Vitzliputzli, wird man wenigstens durch einige ^te Einfälle für die Geschmacklosigkeit des Ganzen entschädigt. Einige Male ^'d oje Einfälle so vortrefflich, daß sie trotz ihrer Einseitigkeit in den Mund des ^ils übergehen werden, wie es schon mit vielen der früheren Heine'schen Gedichte ^taschen ist. Ein solcher Erfolg ist z. B. der Romanze von den beiden Polen ^'herzusagen. Die Lamentationen enthalte» die persönlichen Beziehungen des Dichters, ist im Ganze» weniger Satyre darin, als man bei den gegenwärtigen Zeit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/249>, abgerufen am 23.07.2024.