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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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That der Liebe. Osiris war inzwischen ausgezogen, sich Volker und Länder durch
Milde, Güte und Gerechtigkeit zu unterwerfen. In seiner Abwesenheit bemäch¬
tigte sich Typhon der Herrschaft, und ließ den Bruder, als dieser zurückkehrte, in
einen hohlen Baum stecken und in den Nil werfen. Erst Horus rächte den Vater,
stieß den Typhon vom Throne, und führte alö ein ägyptischer Apoll die goldene
Zeit über sein Vaterland herauf. Der dargestellte Moment zeigt die bekümmerte
Isis, welche ausgeht, ihren getödteten Gemahl zu suchen. Der treue Anubis,
der das Schicksal des Osiris und den Aufenthalt seines Leichnams kennt, geleitet
sie. Unter dieser Gruppe halten zwei Krokodile über einem kleinen Halbrund
Wache, und drohen der herannahenden Isis mit wild geöffnetem Nachen. Ihre
Schweife runden sich arabeskenartig zu je einer Blüthe, ans der Feuer, das
Element des Typhon, hervorschlägt. Im Halbrunde liegt Osiris als Mumie im
hohlen Baume begraben.

Schauen wir nun hinüber zu der entsprechenden Abtheilung des zweiten
Pfeilers, welcher zwischen dem singenden Homer und der Zerstörung von Jeru¬
salem die griechische Cultur bezeichnet, so haben wir mit einem einzigen Blick den
wesentlichen Unterschied der letztem von ägyptischer Bildung. (Jetzt freilich müssen
wir noch den Carton zu Hilfe nehmen, da anf der Wand erst der Riß des Con-
tvurs befestigt wurde.) Ueber zwei auf Muscheln blasenden Tritonen, deren kelch-
artige Schweife perlende Wasserstrahlen cmporsenden, schwebt Venus Urania,
die himmlische, reine Schönheit. Zu ihren Seiten die Kinder der Aphrodite
und des Ares, Eros mit Pfeil und Bogen, Anteros mit Rosenkränzen um Haupt
und Brust. Venus enthüllt sich selbst aus dem sckleierarligcn Gewände, das sie
mit unbeschreiblicher Anmuth über sich hinaushebt, ein herrlicher Fanenleib vom
edelsten Bau, wie er den Wogen des Meeres entstiegen. Reiches Haar strömt
vom Haupte nieder, und in den Zügen des Antlitzes lebt eine lieblich milde,
plastische Ruhe. In den schonen Formen verbindet sich ein strenges Maß mit
runder Fülle. Ueber ihr leuchtet der Abendstern. Der heitere Ernst deö grie¬
chischen Lebens, die sinnigrnhende Befriedigung der Schönheit in sich selbst spricht
aus dieser Venus; aus der trauernden Gattin Isis dagegen die nie erfüllte Sehn¬
sucht jeuer in Form und Masse ausschweifenden Phantasie des Aegypters. I"
dem Halbrunde, über welchem die'Titanen schwimmen, ruht Dionysos Zagreus,
der Sohn des Zeus und der Persephone, dessew Körper die Titanen zerstückelten,
und dessen Glieder, über die Erde verstreut, das Land fruchtbar machten. Auch
er ist also der Befruchtende gleich dem Osiris, dem Gemahl der mütterlichen
Natur. Lässig ausgestreckt, stützt er den rechten Arm auf einen Korb, und in die
Hand das von Weinlaub umrankte Haupt; in der Linken hält er den Thyrsusstab.
Eine Schlange ringelt sich unter dem Deckel des Korbes hervor.

Das Mittelstück des ersten Pfeilers zeigt uns den ruhmreichen AegYPter-
könig Rhamses, wie er aus dem indischen Feldzuge zurückkehrt. Das Scepter


That der Liebe. Osiris war inzwischen ausgezogen, sich Volker und Länder durch
Milde, Güte und Gerechtigkeit zu unterwerfen. In seiner Abwesenheit bemäch¬
tigte sich Typhon der Herrschaft, und ließ den Bruder, als dieser zurückkehrte, in
einen hohlen Baum stecken und in den Nil werfen. Erst Horus rächte den Vater,
stieß den Typhon vom Throne, und führte alö ein ägyptischer Apoll die goldene
Zeit über sein Vaterland herauf. Der dargestellte Moment zeigt die bekümmerte
Isis, welche ausgeht, ihren getödteten Gemahl zu suchen. Der treue Anubis,
der das Schicksal des Osiris und den Aufenthalt seines Leichnams kennt, geleitet
sie. Unter dieser Gruppe halten zwei Krokodile über einem kleinen Halbrund
Wache, und drohen der herannahenden Isis mit wild geöffnetem Nachen. Ihre
Schweife runden sich arabeskenartig zu je einer Blüthe, ans der Feuer, das
Element des Typhon, hervorschlägt. Im Halbrunde liegt Osiris als Mumie im
hohlen Baume begraben.

Schauen wir nun hinüber zu der entsprechenden Abtheilung des zweiten
Pfeilers, welcher zwischen dem singenden Homer und der Zerstörung von Jeru¬
salem die griechische Cultur bezeichnet, so haben wir mit einem einzigen Blick den
wesentlichen Unterschied der letztem von ägyptischer Bildung. (Jetzt freilich müssen
wir noch den Carton zu Hilfe nehmen, da anf der Wand erst der Riß des Con-
tvurs befestigt wurde.) Ueber zwei auf Muscheln blasenden Tritonen, deren kelch-
artige Schweife perlende Wasserstrahlen cmporsenden, schwebt Venus Urania,
die himmlische, reine Schönheit. Zu ihren Seiten die Kinder der Aphrodite
und des Ares, Eros mit Pfeil und Bogen, Anteros mit Rosenkränzen um Haupt
und Brust. Venus enthüllt sich selbst aus dem sckleierarligcn Gewände, das sie
mit unbeschreiblicher Anmuth über sich hinaushebt, ein herrlicher Fanenleib vom
edelsten Bau, wie er den Wogen des Meeres entstiegen. Reiches Haar strömt
vom Haupte nieder, und in den Zügen des Antlitzes lebt eine lieblich milde,
plastische Ruhe. In den schonen Formen verbindet sich ein strenges Maß mit
runder Fülle. Ueber ihr leuchtet der Abendstern. Der heitere Ernst deö grie¬
chischen Lebens, die sinnigrnhende Befriedigung der Schönheit in sich selbst spricht
aus dieser Venus; aus der trauernden Gattin Isis dagegen die nie erfüllte Sehn¬
sucht jeuer in Form und Masse ausschweifenden Phantasie des Aegypters. I"
dem Halbrunde, über welchem die'Titanen schwimmen, ruht Dionysos Zagreus,
der Sohn des Zeus und der Persephone, dessew Körper die Titanen zerstückelten,
und dessen Glieder, über die Erde verstreut, das Land fruchtbar machten. Auch
er ist also der Befruchtende gleich dem Osiris, dem Gemahl der mütterlichen
Natur. Lässig ausgestreckt, stützt er den rechten Arm auf einen Korb, und in die
Hand das von Weinlaub umrankte Haupt; in der Linken hält er den Thyrsusstab.
Eine Schlange ringelt sich unter dem Deckel des Korbes hervor.

Das Mittelstück des ersten Pfeilers zeigt uns den ruhmreichen AegYPter-
könig Rhamses, wie er aus dem indischen Feldzuge zurückkehrt. Das Scepter


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[0214] That der Liebe. Osiris war inzwischen ausgezogen, sich Volker und Länder durch Milde, Güte und Gerechtigkeit zu unterwerfen. In seiner Abwesenheit bemäch¬ tigte sich Typhon der Herrschaft, und ließ den Bruder, als dieser zurückkehrte, in einen hohlen Baum stecken und in den Nil werfen. Erst Horus rächte den Vater, stieß den Typhon vom Throne, und führte alö ein ägyptischer Apoll die goldene Zeit über sein Vaterland herauf. Der dargestellte Moment zeigt die bekümmerte Isis, welche ausgeht, ihren getödteten Gemahl zu suchen. Der treue Anubis, der das Schicksal des Osiris und den Aufenthalt seines Leichnams kennt, geleitet sie. Unter dieser Gruppe halten zwei Krokodile über einem kleinen Halbrund Wache, und drohen der herannahenden Isis mit wild geöffnetem Nachen. Ihre Schweife runden sich arabeskenartig zu je einer Blüthe, ans der Feuer, das Element des Typhon, hervorschlägt. Im Halbrunde liegt Osiris als Mumie im hohlen Baume begraben. Schauen wir nun hinüber zu der entsprechenden Abtheilung des zweiten Pfeilers, welcher zwischen dem singenden Homer und der Zerstörung von Jeru¬ salem die griechische Cultur bezeichnet, so haben wir mit einem einzigen Blick den wesentlichen Unterschied der letztem von ägyptischer Bildung. (Jetzt freilich müssen wir noch den Carton zu Hilfe nehmen, da anf der Wand erst der Riß des Con- tvurs befestigt wurde.) Ueber zwei auf Muscheln blasenden Tritonen, deren kelch- artige Schweife perlende Wasserstrahlen cmporsenden, schwebt Venus Urania, die himmlische, reine Schönheit. Zu ihren Seiten die Kinder der Aphrodite und des Ares, Eros mit Pfeil und Bogen, Anteros mit Rosenkränzen um Haupt und Brust. Venus enthüllt sich selbst aus dem sckleierarligcn Gewände, das sie mit unbeschreiblicher Anmuth über sich hinaushebt, ein herrlicher Fanenleib vom edelsten Bau, wie er den Wogen des Meeres entstiegen. Reiches Haar strömt vom Haupte nieder, und in den Zügen des Antlitzes lebt eine lieblich milde, plastische Ruhe. In den schonen Formen verbindet sich ein strenges Maß mit runder Fülle. Ueber ihr leuchtet der Abendstern. Der heitere Ernst deö grie¬ chischen Lebens, die sinnigrnhende Befriedigung der Schönheit in sich selbst spricht aus dieser Venus; aus der trauernden Gattin Isis dagegen die nie erfüllte Sehn¬ sucht jeuer in Form und Masse ausschweifenden Phantasie des Aegypters. I" dem Halbrunde, über welchem die'Titanen schwimmen, ruht Dionysos Zagreus, der Sohn des Zeus und der Persephone, dessew Körper die Titanen zerstückelten, und dessen Glieder, über die Erde verstreut, das Land fruchtbar machten. Auch er ist also der Befruchtende gleich dem Osiris, dem Gemahl der mütterlichen Natur. Lässig ausgestreckt, stützt er den rechten Arm auf einen Korb, und in die Hand das von Weinlaub umrankte Haupt; in der Linken hält er den Thyrsusstab. Eine Schlange ringelt sich unter dem Deckel des Korbes hervor. Das Mittelstück des ersten Pfeilers zeigt uns den ruhmreichen AegYPter- könig Rhamses, wie er aus dem indischen Feldzuge zurückkehrt. Das Scepter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/214>, abgerufen am 23.07.2024.