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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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gedrehte Schlinge zu errathen, die man der gehaßten, doch zu mächtig gewor¬
denen Raja lockend bietet, um sie in günstigen Augenblicken desto sicherer zu er¬
würgen. Erst im schlimmsten Falle, und wenn alle Dentnngsmvglichkeiten schwin¬
den, verzichtet er auf weiteres Grübeln, spricht ruhig: "Allah ist groß; seine
Wege sind unerforschlich," und überläßt den Rest dem Schicksal.

So zeigt die asiatische Barbarei und Knechtschaft uns oft dieselben Wirkn"-
gen, wie Bildung, Freiheit und Vaterlandsliebe; auch sie weist stolz auf ihre
glorreichen Zeiten deö Ruhmes und der Herrlichkeit hin, stählt sich an ihnen zum
zähen Ausdauer" und begeistert sich vielleicht noch einmal zur kühnsten Todes¬
verachtung. Bor dem Bilde, daß sich unsren Augen entrollt, konnte man sogar
öfters in Verlegenheit kommen, sich zweifelnd zu frage", ob der größte Theil moderner
Begeisterung uicht einem geistige" Rausche, gleich dem sinnenverwirrenden Opium-
üwmel, angehöre, dessen Ursache und Wirkungen von der Idee wahrer Freiheit
sich himmelweit entfernen, und ob der sterbende Soldat aus dem Schlachtfelde
der Parteileidenschafteu, mit fa"atischem Feldgeschrei a"f erkalteter Lippe, sich
"icht genau in demselben physischen und moralischen Verhältnisse befinde, wie ein
Streiter des Halbmondes auf der Bresche Stambuls, der sein letztes "Allah"
"As röchelnder Brust heransstößt.

Nur einen gewaltigen Unterschied müssen wir erke""en. Der Europäer
Erlangt von seinem Götzen, für den er sich willenlos hinschlachten läßt, das Ueber-
"wß beweglicher Regsamkeit, nie rastende Unruhe, überraschende Veränderungen,
^hre Unternehmungen und blendenden Umsturz, da er selbstschöpferisch im Geiste
""r in der Verwirklichung seiner Wünsche und Ideale die geträumte Vollkommen¬
st erkennt und für sie allein sich zu begeistern sähig ist. Der Türke dagegen
M von alle dem nichts wissen. Unruhe und Veränderung sind ihm eine Qual,
beschauliche Ruhe sein höchstes Lebensglück; ideale Wunsche siud ihm fremd,
Neuerung verhaßt als unnütz, denn das Bestehende ist das Beste, durch deu
Gebrauch geheiligt. Deu Ausfluß und das Ziel aller politischen und religiösen
^"schannng in der Person seines Großherrn versinnlichend, will er daher vor
Allem einen Herrn, einen Padischa, der die Beständigkeit und Würde repräsen-
^'t, der feierlich und majestätisch in deu Mauern seines Serails eingeschlossen
thronet, und sich nur in wenigen Zwischenfällen, umgeben vou blinkenden Garden
""d schimmerndem Gefolge, dem erstaunten Volte zeigt, um Blitze zu schleudern,
"der die Augen Aller durch den Glanz seiner Erscheinung zu blende".

Wir Europäer siud geneigt, mitleidig zu lächeln über diese kindisch erscheinenden
^egierungökunststücke der Pforte, berechnet aus theatralischen Effect. Doch siud
^ leicht auszuführen und verfehle" ihre ungeheure Einwirkung auf tiefe und
^verhafte Unterwürfigkeit halb barbarisch sinnlicher Unterthanen viel weniger, als
"Ile Volksbeglückungstheorien und Schankelexperimente moderner Machthaber;
^>in trotz dem Liberalismus des Großherr" und seinen allseitig mit scheelem


gedrehte Schlinge zu errathen, die man der gehaßten, doch zu mächtig gewor¬
denen Raja lockend bietet, um sie in günstigen Augenblicken desto sicherer zu er¬
würgen. Erst im schlimmsten Falle, und wenn alle Dentnngsmvglichkeiten schwin¬
den, verzichtet er auf weiteres Grübeln, spricht ruhig: „Allah ist groß; seine
Wege sind unerforschlich," und überläßt den Rest dem Schicksal.

So zeigt die asiatische Barbarei und Knechtschaft uns oft dieselben Wirkn»-
gen, wie Bildung, Freiheit und Vaterlandsliebe; auch sie weist stolz auf ihre
glorreichen Zeiten deö Ruhmes und der Herrlichkeit hin, stählt sich an ihnen zum
zähen Ausdauer» und begeistert sich vielleicht noch einmal zur kühnsten Todes¬
verachtung. Bor dem Bilde, daß sich unsren Augen entrollt, konnte man sogar
öfters in Verlegenheit kommen, sich zweifelnd zu frage», ob der größte Theil moderner
Begeisterung uicht einem geistige» Rausche, gleich dem sinnenverwirrenden Opium-
üwmel, angehöre, dessen Ursache und Wirkungen von der Idee wahrer Freiheit
sich himmelweit entfernen, und ob der sterbende Soldat aus dem Schlachtfelde
der Parteileidenschafteu, mit fa»atischem Feldgeschrei a»f erkalteter Lippe, sich
"icht genau in demselben physischen und moralischen Verhältnisse befinde, wie ein
Streiter des Halbmondes auf der Bresche Stambuls, der sein letztes „Allah"
"As röchelnder Brust heransstößt.

Nur einen gewaltigen Unterschied müssen wir erke»»en. Der Europäer
Erlangt von seinem Götzen, für den er sich willenlos hinschlachten läßt, das Ueber-
"wß beweglicher Regsamkeit, nie rastende Unruhe, überraschende Veränderungen,
^hre Unternehmungen und blendenden Umsturz, da er selbstschöpferisch im Geiste
""r in der Verwirklichung seiner Wünsche und Ideale die geträumte Vollkommen¬
st erkennt und für sie allein sich zu begeistern sähig ist. Der Türke dagegen
M von alle dem nichts wissen. Unruhe und Veränderung sind ihm eine Qual,
beschauliche Ruhe sein höchstes Lebensglück; ideale Wunsche siud ihm fremd,
Neuerung verhaßt als unnütz, denn das Bestehende ist das Beste, durch deu
Gebrauch geheiligt. Deu Ausfluß und das Ziel aller politischen und religiösen
^»schannng in der Person seines Großherrn versinnlichend, will er daher vor
Allem einen Herrn, einen Padischa, der die Beständigkeit und Würde repräsen-
^'t, der feierlich und majestätisch in deu Mauern seines Serails eingeschlossen
thronet, und sich nur in wenigen Zwischenfällen, umgeben vou blinkenden Garden
""d schimmerndem Gefolge, dem erstaunten Volte zeigt, um Blitze zu schleudern,
»der die Augen Aller durch den Glanz seiner Erscheinung zu blende».

Wir Europäer siud geneigt, mitleidig zu lächeln über diese kindisch erscheinenden
^egierungökunststücke der Pforte, berechnet aus theatralischen Effect. Doch siud
^ leicht auszuführen und verfehle» ihre ungeheure Einwirkung auf tiefe und
^verhafte Unterwürfigkeit halb barbarisch sinnlicher Unterthanen viel weniger, als
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/195>, abgerufen am 23.07.2024.