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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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zu büßen. -- Das neueste seiner ernsten Dramen ist "Graf Hermann"
das in Deutschland, unter den deutschen Studenten spielt, und von dem Leben
derselben ein eben so abgeschmacktes Bild giebt, als es Dumas in seinen Reise-
bildern thut. Der Held (Fritz) ist ein Ebenbild des Franz Moor, ein raffinirter
Atheist, der lange Monologe über seinen Unglauben hält, zu seinen weltlichen
Absichten die teuflischsten Mittel anwendet, und da er endlich den Zweck doch
nicht erreicht, mit wissenschaftlicher Bedächtigkeit den Selbstmord ausübt. Er ist
Noch "in viele Grade unwahrer und verschrobener, als sei" Vorbild.

Bei den Romanen können wir uns kürzer fasse". Wir haben nur einige
leitende Gesichtspunkte anzugeben. Ein sehr großes Talent im Erzählen, eine
unerschöpfliche Lebhaftigkeit der Phantasie, und selbst ein gewisses Geschick im
Charakterisircn wird man unsrem Dichter nicht absprechen können. Freilich macht
^' es sich sehr bequem, da die Gesetze der psychologische" und selbst der physischen
Möglichkeit für ihn nicht vorhanden sind. Bei seinen Helden können wir uns immer
Ziemlich sicher suhlen, daß sie nicht umkommen, wenn auch ganze Regimenter aus
sie einrücken, wenn ihr Leib auch vou Wunden ganz überdeckt ist; erst ganz zum
Schluß sterben sie, da doch irgend einmal ein Ende gemacht werden muß. Eine
seiner Lieblingsfiguren, Bussy, in dem Roman 6am,<z 6" Nonsvi^an, wird
Segen das Ende der Erzählung von vierzehn mit Schwertern und Flinten be¬
waffneten Leuten angefallen; sie schieße" und stechen von allen Seiten aus ihn
^n, aber seine Stärke und Gewandtheit ist so groß, daß er sie alle vierzehn er¬
legt, wobei er freilich so schwer verwundet wird, daß er sich gegen einen neuhin-
zukommenden Verräther, der ihm eine Kugel durch den Kopf jagt, nicht mehr
Zehren kann. Aehnlichen Jagdgeschichten ^ la Münchhausen begegnen wir in
^kam seinen Romanen; die Lügen der alten Ritterbücher sind nichts dagegen.
Das wird aber Alles mit einer solchen Munterkeit erzählt und anscheinend so
treuherzig, daß wir uns darüber mehr belustigen, als ärgern, eben so wie Prinz
Heinrich über die ungeheuren Prahlereien seines Freundes Fallstaff. Noch gran¬
dioser ist aber Dumas in der Freiheit, mit der er die Geschichte zu seinen Zwecken
benutzt. Vielleicht die beste seiner Rittergeschichten ist diejenige, welche mit den
^el Musketieren anfängt, und mit dem Vicomte de Bragelonne schließt. Sie ist
einige dreißig Bände stark, und charakteristrt das planmäßige Arbeiten unsres
Dichters schon durch den Titel, da in dem Cyclus selbst nicht drei, sondern vier
Musketiere auftreten. In diesem Roman, der in den Zeiten Richelieu's, Mazarin's
"ut Louis XIV. spielt, erfahren wir historische Neuigkeiten, von denen sich bis¬
her kein Geschichtsforscher etwas hat träumen lassen. Schon die Art und Weise,
wie i" deu erfreu Theilen mit Richelieu und Mazarin umgegangen wird, müßte
uns befremden, wenn dieses Befremden irgend gegen die Wunder der letzten
Theile aushielte. Daß unter dem Schaffot Karls 1. ein französischer Edelmann
versteckt ist, der schon Alles in Bereitschaft gesetzt hat, ihn zu befreien, wenn


zu büßen. — Das neueste seiner ernsten Dramen ist „Graf Hermann"
das in Deutschland, unter den deutschen Studenten spielt, und von dem Leben
derselben ein eben so abgeschmacktes Bild giebt, als es Dumas in seinen Reise-
bildern thut. Der Held (Fritz) ist ein Ebenbild des Franz Moor, ein raffinirter
Atheist, der lange Monologe über seinen Unglauben hält, zu seinen weltlichen
Absichten die teuflischsten Mittel anwendet, und da er endlich den Zweck doch
nicht erreicht, mit wissenschaftlicher Bedächtigkeit den Selbstmord ausübt. Er ist
Noch »in viele Grade unwahrer und verschrobener, als sei« Vorbild.

Bei den Romanen können wir uns kürzer fasse». Wir haben nur einige
leitende Gesichtspunkte anzugeben. Ein sehr großes Talent im Erzählen, eine
unerschöpfliche Lebhaftigkeit der Phantasie, und selbst ein gewisses Geschick im
Charakterisircn wird man unsrem Dichter nicht absprechen können. Freilich macht
^' es sich sehr bequem, da die Gesetze der psychologische» und selbst der physischen
Möglichkeit für ihn nicht vorhanden sind. Bei seinen Helden können wir uns immer
Ziemlich sicher suhlen, daß sie nicht umkommen, wenn auch ganze Regimenter aus
sie einrücken, wenn ihr Leib auch vou Wunden ganz überdeckt ist; erst ganz zum
Schluß sterben sie, da doch irgend einmal ein Ende gemacht werden muß. Eine
seiner Lieblingsfiguren, Bussy, in dem Roman 6am,<z 6« Nonsvi^an, wird
Segen das Ende der Erzählung von vierzehn mit Schwertern und Flinten be¬
waffneten Leuten angefallen; sie schieße» und stechen von allen Seiten aus ihn
^n, aber seine Stärke und Gewandtheit ist so groß, daß er sie alle vierzehn er¬
legt, wobei er freilich so schwer verwundet wird, daß er sich gegen einen neuhin-
zukommenden Verräther, der ihm eine Kugel durch den Kopf jagt, nicht mehr
Zehren kann. Aehnlichen Jagdgeschichten ^ la Münchhausen begegnen wir in
^kam seinen Romanen; die Lügen der alten Ritterbücher sind nichts dagegen.
Das wird aber Alles mit einer solchen Munterkeit erzählt und anscheinend so
treuherzig, daß wir uns darüber mehr belustigen, als ärgern, eben so wie Prinz
Heinrich über die ungeheuren Prahlereien seines Freundes Fallstaff. Noch gran¬
dioser ist aber Dumas in der Freiheit, mit der er die Geschichte zu seinen Zwecken
benutzt. Vielleicht die beste seiner Rittergeschichten ist diejenige, welche mit den
^el Musketieren anfängt, und mit dem Vicomte de Bragelonne schließt. Sie ist
einige dreißig Bände stark, und charakteristrt das planmäßige Arbeiten unsres
Dichters schon durch den Titel, da in dem Cyclus selbst nicht drei, sondern vier
Musketiere auftreten. In diesem Roman, der in den Zeiten Richelieu's, Mazarin's
"ut Louis XIV. spielt, erfahren wir historische Neuigkeiten, von denen sich bis¬
her kein Geschichtsforscher etwas hat träumen lassen. Schon die Art und Weise,
wie i» deu erfreu Theilen mit Richelieu und Mazarin umgegangen wird, müßte
uns befremden, wenn dieses Befremden irgend gegen die Wunder der letzten
Theile aushielte. Daß unter dem Schaffot Karls 1. ein französischer Edelmann
versteckt ist, der schon Alles in Bereitschaft gesetzt hat, ihn zu befreien, wenn


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[0179] zu büßen. — Das neueste seiner ernsten Dramen ist „Graf Hermann" das in Deutschland, unter den deutschen Studenten spielt, und von dem Leben derselben ein eben so abgeschmacktes Bild giebt, als es Dumas in seinen Reise- bildern thut. Der Held (Fritz) ist ein Ebenbild des Franz Moor, ein raffinirter Atheist, der lange Monologe über seinen Unglauben hält, zu seinen weltlichen Absichten die teuflischsten Mittel anwendet, und da er endlich den Zweck doch nicht erreicht, mit wissenschaftlicher Bedächtigkeit den Selbstmord ausübt. Er ist Noch »in viele Grade unwahrer und verschrobener, als sei« Vorbild. Bei den Romanen können wir uns kürzer fasse». Wir haben nur einige leitende Gesichtspunkte anzugeben. Ein sehr großes Talent im Erzählen, eine unerschöpfliche Lebhaftigkeit der Phantasie, und selbst ein gewisses Geschick im Charakterisircn wird man unsrem Dichter nicht absprechen können. Freilich macht ^' es sich sehr bequem, da die Gesetze der psychologische» und selbst der physischen Möglichkeit für ihn nicht vorhanden sind. Bei seinen Helden können wir uns immer Ziemlich sicher suhlen, daß sie nicht umkommen, wenn auch ganze Regimenter aus sie einrücken, wenn ihr Leib auch vou Wunden ganz überdeckt ist; erst ganz zum Schluß sterben sie, da doch irgend einmal ein Ende gemacht werden muß. Eine seiner Lieblingsfiguren, Bussy, in dem Roman 6am,<z 6« Nonsvi^an, wird Segen das Ende der Erzählung von vierzehn mit Schwertern und Flinten be¬ waffneten Leuten angefallen; sie schieße» und stechen von allen Seiten aus ihn ^n, aber seine Stärke und Gewandtheit ist so groß, daß er sie alle vierzehn er¬ legt, wobei er freilich so schwer verwundet wird, daß er sich gegen einen neuhin- zukommenden Verräther, der ihm eine Kugel durch den Kopf jagt, nicht mehr Zehren kann. Aehnlichen Jagdgeschichten ^ la Münchhausen begegnen wir in ^kam seinen Romanen; die Lügen der alten Ritterbücher sind nichts dagegen. Das wird aber Alles mit einer solchen Munterkeit erzählt und anscheinend so treuherzig, daß wir uns darüber mehr belustigen, als ärgern, eben so wie Prinz Heinrich über die ungeheuren Prahlereien seines Freundes Fallstaff. Noch gran¬ dioser ist aber Dumas in der Freiheit, mit der er die Geschichte zu seinen Zwecken benutzt. Vielleicht die beste seiner Rittergeschichten ist diejenige, welche mit den ^el Musketieren anfängt, und mit dem Vicomte de Bragelonne schließt. Sie ist einige dreißig Bände stark, und charakteristrt das planmäßige Arbeiten unsres Dichters schon durch den Titel, da in dem Cyclus selbst nicht drei, sondern vier Musketiere auftreten. In diesem Roman, der in den Zeiten Richelieu's, Mazarin's "ut Louis XIV. spielt, erfahren wir historische Neuigkeiten, von denen sich bis¬ her kein Geschichtsforscher etwas hat träumen lassen. Schon die Art und Weise, wie i» deu erfreu Theilen mit Richelieu und Mazarin umgegangen wird, müßte uns befremden, wenn dieses Befremden irgend gegen die Wunder der letzten Theile aushielte. Daß unter dem Schaffot Karls 1. ein französischer Edelmann versteckt ist, der schon Alles in Bereitschaft gesetzt hat, ihn zu befreien, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/179>, abgerufen am 24.07.2024.