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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band.

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schmächtigem Körperbau und nichts weniger als fester Gesundheit; in diesem
zarten Körper wohnte jedoch ein kräftiger, starker Geist, tiefes Gefühl für Men¬
schenwürde, und ein Herz, welches über die seinem Vaterlande angethane Unbill
blutete.

In seiner neuen Stellung wurde es ihm möglich, die Zahl der in Sibirien
zerstreut lebenden Verbannten wenigstens annäherungsweise kennen zu lerne"; er
erwog Kraft und Mittel', und glaubte, ein zweiter Benjowski, sich und alle"
seinen Leidensgefährten die Freiheit erringe" zu könne". Voll von diesem Plane,
näherte er sich mehr und mehr den in Omsk in ziemlich bedeutender Anzahl le¬
benden Polen, so wie auch denjenigen Nüssen, die er gebildet genng glaubte,
um in seine Ansichten einzugehen und vereint mit ihm zu wirken. Die Sache
fand Anklang und war überall von Erfolg begleitet; das kleine Häuflein Jünger,
welches Sierocinski um sich versammelt hatte, wurde zu einer Gesellschaft begei¬
sterter Apostel, welche durch ganz Sibirien das Evangelium der Freiheit predig¬
ten und nnter Fremden nud Einheimischen, Russen und Tartaren, kurz überall,
wo ein Mensch in seinen Rechten getränkt worden war, offene Herzen und willige
Hände zur That fanden.

Sierocinski hatte nichts Geringeres im Sinn, als Sibirien von Nußland
loszureiße", nud allen Verbannten die Freiheit zu schenken. Wie er dabei z"
Werte gehen wollte, wußten nur seine vertrautesten Freunde, die aufs strengste
das Geheimniß bewahrten; was Jedem gesagt wurde, war: im Falle des Nicht-
gelingens wolle man sich mit bewaffneter Hand durch die Kirgiseustcppe nach
Taschkend, wo viele Katholiken leben, oder anch nach der Bucharei durchschlage",
und dann die englischen Besitzungen in Ostindien zu gewinnen suche".

Die Verschwörung machte reißende Fortschritte, und fand in den Herzen aller
Verbannten der ungeheuren Steppe NordastenS Wiederhall und Unterstützung'
Alles war reiflich überlegt und aufs schlauste eingeleitet; noch ein paar Tage, und
der Sturm sollte losbreche". Omsk, als derjenige Ort, der die stärkste Besatzung
hatte, und Waffen und Munition i" hinreichender Menge in sich schloß, war
bestimmt, das Zeichen zum Aufstande zu geben, und die Verschwornen arbeiteten
ämsig und verschwiegen, gleich Biene", damit es zur bestimmten Zeit an nichts
fehle. Noch ein Tag - und statt der Erlösung kam -- der Verrath. -- Und
wer war es, der sich desselben schuldig machte? Oh, ich schäme mich, es zu
sagen, mein Gefühl sträubt sich dagegen, das, was wahr und wirklich ist, zu
glauben und niederzuschreiben, und ich möchte das schwerste Opfer bringen, wen"
ich damit die Schande wegwischen könnte, die durch einige Nichtswürdige dein
Namen eines ehrenhafte" Volkes angetha" worden ist. Doch was halsen Zorn
und Wehklagen bei Dingen, die nicht ""geschehen zu machen, noch zu verheim¬
lichen sind? Die Verräther wäre" weder Russen noch Einheimische, nein, es
waren Polen, die einst für die Erhebung und Freiheit ihres Vaterlandes ge-


schmächtigem Körperbau und nichts weniger als fester Gesundheit; in diesem
zarten Körper wohnte jedoch ein kräftiger, starker Geist, tiefes Gefühl für Men¬
schenwürde, und ein Herz, welches über die seinem Vaterlande angethane Unbill
blutete.

In seiner neuen Stellung wurde es ihm möglich, die Zahl der in Sibirien
zerstreut lebenden Verbannten wenigstens annäherungsweise kennen zu lerne«; er
erwog Kraft und Mittel', und glaubte, ein zweiter Benjowski, sich und alle»
seinen Leidensgefährten die Freiheit erringe» zu könne». Voll von diesem Plane,
näherte er sich mehr und mehr den in Omsk in ziemlich bedeutender Anzahl le¬
benden Polen, so wie auch denjenigen Nüssen, die er gebildet genng glaubte,
um in seine Ansichten einzugehen und vereint mit ihm zu wirken. Die Sache
fand Anklang und war überall von Erfolg begleitet; das kleine Häuflein Jünger,
welches Sierocinski um sich versammelt hatte, wurde zu einer Gesellschaft begei¬
sterter Apostel, welche durch ganz Sibirien das Evangelium der Freiheit predig¬
ten und nnter Fremden nud Einheimischen, Russen und Tartaren, kurz überall,
wo ein Mensch in seinen Rechten getränkt worden war, offene Herzen und willige
Hände zur That fanden.

Sierocinski hatte nichts Geringeres im Sinn, als Sibirien von Nußland
loszureiße», nud allen Verbannten die Freiheit zu schenken. Wie er dabei z»
Werte gehen wollte, wußten nur seine vertrautesten Freunde, die aufs strengste
das Geheimniß bewahrten; was Jedem gesagt wurde, war: im Falle des Nicht-
gelingens wolle man sich mit bewaffneter Hand durch die Kirgiseustcppe nach
Taschkend, wo viele Katholiken leben, oder anch nach der Bucharei durchschlage»,
und dann die englischen Besitzungen in Ostindien zu gewinnen suche».

Die Verschwörung machte reißende Fortschritte, und fand in den Herzen aller
Verbannten der ungeheuren Steppe NordastenS Wiederhall und Unterstützung'
Alles war reiflich überlegt und aufs schlauste eingeleitet; noch ein paar Tage, und
der Sturm sollte losbreche». Omsk, als derjenige Ort, der die stärkste Besatzung
hatte, und Waffen und Munition i» hinreichender Menge in sich schloß, war
bestimmt, das Zeichen zum Aufstande zu geben, und die Verschwornen arbeiteten
ämsig und verschwiegen, gleich Biene», damit es zur bestimmten Zeit an nichts
fehle. Noch ein Tag - und statt der Erlösung kam — der Verrath. — Und
wer war es, der sich desselben schuldig machte? Oh, ich schäme mich, es zu
sagen, mein Gefühl sträubt sich dagegen, das, was wahr und wirklich ist, zu
glauben und niederzuschreiben, und ich möchte das schwerste Opfer bringen, wen»
ich damit die Schande wegwischen könnte, die durch einige Nichtswürdige dein
Namen eines ehrenhafte» Volkes angetha» worden ist. Doch was halsen Zorn
und Wehklagen bei Dingen, die nicht »»geschehen zu machen, noch zu verheim¬
lichen sind? Die Verräther wäre» weder Russen noch Einheimische, nein, es
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[0130] schmächtigem Körperbau und nichts weniger als fester Gesundheit; in diesem zarten Körper wohnte jedoch ein kräftiger, starker Geist, tiefes Gefühl für Men¬ schenwürde, und ein Herz, welches über die seinem Vaterlande angethane Unbill blutete. In seiner neuen Stellung wurde es ihm möglich, die Zahl der in Sibirien zerstreut lebenden Verbannten wenigstens annäherungsweise kennen zu lerne«; er erwog Kraft und Mittel', und glaubte, ein zweiter Benjowski, sich und alle» seinen Leidensgefährten die Freiheit erringe» zu könne». Voll von diesem Plane, näherte er sich mehr und mehr den in Omsk in ziemlich bedeutender Anzahl le¬ benden Polen, so wie auch denjenigen Nüssen, die er gebildet genng glaubte, um in seine Ansichten einzugehen und vereint mit ihm zu wirken. Die Sache fand Anklang und war überall von Erfolg begleitet; das kleine Häuflein Jünger, welches Sierocinski um sich versammelt hatte, wurde zu einer Gesellschaft begei¬ sterter Apostel, welche durch ganz Sibirien das Evangelium der Freiheit predig¬ ten und nnter Fremden nud Einheimischen, Russen und Tartaren, kurz überall, wo ein Mensch in seinen Rechten getränkt worden war, offene Herzen und willige Hände zur That fanden. Sierocinski hatte nichts Geringeres im Sinn, als Sibirien von Nußland loszureiße», nud allen Verbannten die Freiheit zu schenken. Wie er dabei z» Werte gehen wollte, wußten nur seine vertrautesten Freunde, die aufs strengste das Geheimniß bewahrten; was Jedem gesagt wurde, war: im Falle des Nicht- gelingens wolle man sich mit bewaffneter Hand durch die Kirgiseustcppe nach Taschkend, wo viele Katholiken leben, oder anch nach der Bucharei durchschlage», und dann die englischen Besitzungen in Ostindien zu gewinnen suche». Die Verschwörung machte reißende Fortschritte, und fand in den Herzen aller Verbannten der ungeheuren Steppe NordastenS Wiederhall und Unterstützung' Alles war reiflich überlegt und aufs schlauste eingeleitet; noch ein paar Tage, und der Sturm sollte losbreche». Omsk, als derjenige Ort, der die stärkste Besatzung hatte, und Waffen und Munition i» hinreichender Menge in sich schloß, war bestimmt, das Zeichen zum Aufstande zu geben, und die Verschwornen arbeiteten ämsig und verschwiegen, gleich Biene», damit es zur bestimmten Zeit an nichts fehle. Noch ein Tag - und statt der Erlösung kam — der Verrath. — Und wer war es, der sich desselben schuldig machte? Oh, ich schäme mich, es zu sagen, mein Gefühl sträubt sich dagegen, das, was wahr und wirklich ist, zu glauben und niederzuschreiben, und ich möchte das schwerste Opfer bringen, wen» ich damit die Schande wegwischen könnte, die durch einige Nichtswürdige dein Namen eines ehrenhafte» Volkes angetha» worden ist. Doch was halsen Zorn und Wehklagen bei Dingen, die nicht »»geschehen zu machen, noch zu verheim¬ lichen sind? Die Verräther wäre» weder Russen noch Einheimische, nein, es waren Polen, die einst für die Erhebung und Freiheit ihres Vaterlandes ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280616/130>, abgerufen am 23.07.2024.