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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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wurde, so siel sie etwas weit aus die Hüfte herab, und ließ zwischen ihr und der
Weste von grünem Tuche mit vielen kleinen blanken Silberknöpfen das Hemd
mehrere Finger breit heraus scheu. Ein langer, weiter, plump gemachter Rock
von blauem Tuch, der Länge nach mit zwei Reihen Silberknöpfen von der Größe
eines Thalers besetzt, vollendet den Anzug. Das lange, grau melirte Haar ist auf
den Hinterkopf durch einen kleinen Kamm festgesteckt, und eine runde Pelzmütze
von grünem Tuch mit einem Fuchsbräm bedeckt, die beim Ritt uach der Stadt
mit einem runden Filzhut vertauscht wird.

So ans einander gescheucht schlich Liesch sich in den Stall zu ihren Kühen,
um diese zu melken, Jochen aber zu den Pferden, während der "Schule" seiue
dicke "Fahlenstuut" bestieg, und, von dem lustig daneben springenden Säugefülleu
begleitet, der Stadt langsam zutrabte. Bald daraus fuhr auch Joche" mit seinen
vier Braunen fort, um Holz zu holen, und knallte zum Scheidcgruß an Liesch
noch beim Herausfahren, daß die beiden jungen Vorderpferde sich kerzengrade
auf den Hinterfüßen aufrichteten, und es in vollem Galopp zum Dorfe hinausging.
So verging der Morgen, bis zum Essen die ganze Familie sich wieder im Hanse
eingefunden hatte. Oben an der "Schule", der seineu Stadtrock ausgezogen
hatte, in "Hcmdsschmocken", neben ihm die "Schulteumudder", neben dieser
Jochen als Großknecht, dann der "Mittelknecht", der "Picrjung" und unten
Liesch und die andern "Diern", damit sie leichter in die Küche gehen konnten.
Der "Kvhhierd" hatte sein Essen aufs Feld hinaus bekommen. Liesch, welche
den Dienst der Köchin versah, hatte eine große irdene Schüssel mit "Klump
in Meil" (Klöße in Milch) aus den Tisch gesetzt, und in langsamem Takt senkten
Alle ihre aus "Spillbaumholz" selbst geschnitzten Löffel in den weißen Inhalt
derselben, schrabten sie dann gehörig am Räude ab, damit beim Wege zum Munde
Nichts verloren ginge, und verschlangen langsam und mit sichtbarem Wohlgeschmack
die Speise. Als uur uoch ein kleiner Rest übrig blieb, setzte Liesch diesen, tüchtig
vorher' mit Wasser vermischt, den schon gierig darauf wartenden Hunden vor,
""d holte dann aus der Küche eine eben solche Schüssel hoch Mit Kartoffeln ge¬
füllt, über die eine fette Brühe von zerlassenem Speck und klein geschnittenen
Zwiebeln gegossen war. Jetzt brachte die "Mutter" aus dem verschlossenen
"Schabb" (Schrank) einen kleinen Teller mit geräucherter Wurst, und gab uupar-
tensch Jedem ein handbreites Stück davon, 'dem Schulter aber das Doppelte.
Die Wurst wurde nun in der einen Hand gehalten, dazu mit der andern durch
das ausgeklappte Taschenmesser, denn Gabeln kennt das Mecklenburgische Landvolk
nicht, eine Kartoffel nach der andern aus der Schüssel in den Mund befördert,
"ut dann und wann ein "Happen" (Bissen) Wurst dazu abgebissen. Ein großes
grobes Brod lag zur feinen Benutzung auf dem Tisch, wie auch ein hoher Zinn-
Kug mit einem Klappcndeckel, angefüllt mit Dünnbier, fleißig von Mund zu
Mund ging. Gesprochen wurde bei Tisch fast gar nicht, nur hier und da eine


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wurde, so siel sie etwas weit aus die Hüfte herab, und ließ zwischen ihr und der
Weste von grünem Tuche mit vielen kleinen blanken Silberknöpfen das Hemd
mehrere Finger breit heraus scheu. Ein langer, weiter, plump gemachter Rock
von blauem Tuch, der Länge nach mit zwei Reihen Silberknöpfen von der Größe
eines Thalers besetzt, vollendet den Anzug. Das lange, grau melirte Haar ist auf
den Hinterkopf durch einen kleinen Kamm festgesteckt, und eine runde Pelzmütze
von grünem Tuch mit einem Fuchsbräm bedeckt, die beim Ritt uach der Stadt
mit einem runden Filzhut vertauscht wird.

So ans einander gescheucht schlich Liesch sich in den Stall zu ihren Kühen,
um diese zu melken, Jochen aber zu den Pferden, während der „Schule" seiue
dicke „Fahlenstuut" bestieg, und, von dem lustig daneben springenden Säugefülleu
begleitet, der Stadt langsam zutrabte. Bald daraus fuhr auch Joche» mit seinen
vier Braunen fort, um Holz zu holen, und knallte zum Scheidcgruß an Liesch
noch beim Herausfahren, daß die beiden jungen Vorderpferde sich kerzengrade
auf den Hinterfüßen aufrichteten, und es in vollem Galopp zum Dorfe hinausging.
So verging der Morgen, bis zum Essen die ganze Familie sich wieder im Hanse
eingefunden hatte. Oben an der „Schule", der seineu Stadtrock ausgezogen
hatte, in „Hcmdsschmocken", neben ihm die „Schulteumudder", neben dieser
Jochen als Großknecht, dann der „Mittelknecht", der „Picrjung" und unten
Liesch und die andern „Diern", damit sie leichter in die Küche gehen konnten.
Der „Kvhhierd" hatte sein Essen aufs Feld hinaus bekommen. Liesch, welche
den Dienst der Köchin versah, hatte eine große irdene Schüssel mit „Klump
in Meil" (Klöße in Milch) aus den Tisch gesetzt, und in langsamem Takt senkten
Alle ihre aus „Spillbaumholz" selbst geschnitzten Löffel in den weißen Inhalt
derselben, schrabten sie dann gehörig am Räude ab, damit beim Wege zum Munde
Nichts verloren ginge, und verschlangen langsam und mit sichtbarem Wohlgeschmack
die Speise. Als uur uoch ein kleiner Rest übrig blieb, setzte Liesch diesen, tüchtig
vorher' mit Wasser vermischt, den schon gierig darauf wartenden Hunden vor,
"»d holte dann aus der Küche eine eben solche Schüssel hoch Mit Kartoffeln ge¬
füllt, über die eine fette Brühe von zerlassenem Speck und klein geschnittenen
Zwiebeln gegossen war. Jetzt brachte die „Mutter" aus dem verschlossenen
„Schabb" (Schrank) einen kleinen Teller mit geräucherter Wurst, und gab uupar-
tensch Jedem ein handbreites Stück davon, 'dem Schulter aber das Doppelte.
Die Wurst wurde nun in der einen Hand gehalten, dazu mit der andern durch
das ausgeklappte Taschenmesser, denn Gabeln kennt das Mecklenburgische Landvolk
nicht, eine Kartoffel nach der andern aus der Schüssel in den Mund befördert,
"ut dann und wann ein „Happen" (Bissen) Wurst dazu abgebissen. Ein großes
grobes Brod lag zur feinen Benutzung auf dem Tisch, wie auch ein hoher Zinn-
Kug mit einem Klappcndeckel, angefüllt mit Dünnbier, fleißig von Mund zu
Mund ging. Gesprochen wurde bei Tisch fast gar nicht, nur hier und da eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/459>, abgerufen am 04.07.2024.