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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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vaganzeu eines offenbar schwachen,, im höchsten Grade gefährdeten und daher
reizbaren Gegners übersehen, und der Umville, den der schmähliche Fortgang
des Krieges in uns erregen mußte, hat sich nicht gegen die Dänen, sondern gegen
die Regierungen gewendet, die schuld daran waren. Aber in diesem Augenblick
mögen sich die Dänen sehr wohl hüten, daß der bisher nur in der Fiction vor¬
handene Nationalhaß nicht zur Wahrheit werde. Das Verfahren der Dänischen
Regierung in Schleswig ist ein so empörendes, und sie wird darin von dem
Dänischen Volk nicht nur gestützt, sondern so lebhast angetrieben, daß von Tag zu
Tag in nnserm Gefühl, welches sich für den Augenblick nicht in Thaten Luft
machen kann, die Bitterkeit sich steigert. Während es sonst in der Regel für jedes
uach Freiheit strebende Volk als ein Gewinn betrachtet werden muß, wenn die
benachbarten Völker für ihr Staatsleben freie, leicht bewegliche Formen erlangen,
wird es mit den Dänen dahin kommen, daß sie vor dem Augenblick zittern
müssen, wo Deutschland sich wiederfindet. Da nicht blos die Rechtsfrage, sondern
vorzugsweise die collidirenden wesentlichen Interessen in der Schleswig-Holstein-
schen Angelegenheit in kürzerer oder längerer Zeit einen neuen Conflict unver¬
meidlich machen, so wird die Frage nur die sein, ob ein CabinctSkrieg oder ein
Volkskrieg daraus entsteht; der letztere würde, wenn die Provocationen von
Dänischer Seite ihren weitern Fortgang nähmen, ein Vertilgungskrieg werden,
und es würde alsdann im Interesse des Dänischen Volks liegen, die Entwicke¬
lung der Freiheit in Deutschland nach Kräften so lange als möglich zu hinter¬
treiben, d. h. sich zum fortwährenden Schergen des Russischen Despotismus her¬
zugeben. Ob wir einem Volk, welches so wenig historischen Verstand und so
wenig natürliches Gefühl besitzt, um sich aus die Dauer in dieser Rolle zu ge¬
fallen, noch länger unsre Achtung schenken könnten, das mögen die Dänen selbst
ermessen.

Wir gehen nach dieser Abschweifung, die aber in vieler Beziehung noth¬
wendig war, zu unsrem eigentlichen Gegenstand über.

Wir haben zum Gegenstand unsrer ersten Skandinavischen Charakteristik einen
Mann gewählt, der uicht nur bei seinen Landsleuten, sondern bei der gauzen
gebildeten Welt die höchste Achtung in Anspruch nehmen muß. Wir wollen hier
nicht in eine Biographie dieses nnögezeichueteu Mannes eingehen, theils weil das
Leben eines ganz in seinen Gegenstand aufgehenden Gelehrten, der von der frü¬
hesten Jugend an mit rastloser Thätigkeit das gleiche Ziel verfolgt, wenig Bemer¬
kenswerthes bietet, theils weil bei Gelegenheit seines Todes vou anderer Seite
her die nöthigen Notizen in hinlänglichem Maß dem Publicum mitgetheilt sind.

Oersted war bereits 73 Jahre alt, als sein erstes, für das Volk bestimmtes
Werk erschien. Der "Geist in der Natur" hat mit Recht auch in Deutschland
großes Aufsehen erregt; nicht als ob die Gedanken, die in demselben ausgesprochen
sind, in jeder Beziehung den Reiz der Neuheit hätten, im Gegentheil hat die


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vaganzeu eines offenbar schwachen,, im höchsten Grade gefährdeten und daher
reizbaren Gegners übersehen, und der Umville, den der schmähliche Fortgang
des Krieges in uns erregen mußte, hat sich nicht gegen die Dänen, sondern gegen
die Regierungen gewendet, die schuld daran waren. Aber in diesem Augenblick
mögen sich die Dänen sehr wohl hüten, daß der bisher nur in der Fiction vor¬
handene Nationalhaß nicht zur Wahrheit werde. Das Verfahren der Dänischen
Regierung in Schleswig ist ein so empörendes, und sie wird darin von dem
Dänischen Volk nicht nur gestützt, sondern so lebhast angetrieben, daß von Tag zu
Tag in nnserm Gefühl, welches sich für den Augenblick nicht in Thaten Luft
machen kann, die Bitterkeit sich steigert. Während es sonst in der Regel für jedes
uach Freiheit strebende Volk als ein Gewinn betrachtet werden muß, wenn die
benachbarten Völker für ihr Staatsleben freie, leicht bewegliche Formen erlangen,
wird es mit den Dänen dahin kommen, daß sie vor dem Augenblick zittern
müssen, wo Deutschland sich wiederfindet. Da nicht blos die Rechtsfrage, sondern
vorzugsweise die collidirenden wesentlichen Interessen in der Schleswig-Holstein-
schen Angelegenheit in kürzerer oder längerer Zeit einen neuen Conflict unver¬
meidlich machen, so wird die Frage nur die sein, ob ein CabinctSkrieg oder ein
Volkskrieg daraus entsteht; der letztere würde, wenn die Provocationen von
Dänischer Seite ihren weitern Fortgang nähmen, ein Vertilgungskrieg werden,
und es würde alsdann im Interesse des Dänischen Volks liegen, die Entwicke¬
lung der Freiheit in Deutschland nach Kräften so lange als möglich zu hinter¬
treiben, d. h. sich zum fortwährenden Schergen des Russischen Despotismus her¬
zugeben. Ob wir einem Volk, welches so wenig historischen Verstand und so
wenig natürliches Gefühl besitzt, um sich aus die Dauer in dieser Rolle zu ge¬
fallen, noch länger unsre Achtung schenken könnten, das mögen die Dänen selbst
ermessen.

Wir gehen nach dieser Abschweifung, die aber in vieler Beziehung noth¬
wendig war, zu unsrem eigentlichen Gegenstand über.

Wir haben zum Gegenstand unsrer ersten Skandinavischen Charakteristik einen
Mann gewählt, der uicht nur bei seinen Landsleuten, sondern bei der gauzen
gebildeten Welt die höchste Achtung in Anspruch nehmen muß. Wir wollen hier
nicht in eine Biographie dieses nnögezeichueteu Mannes eingehen, theils weil das
Leben eines ganz in seinen Gegenstand aufgehenden Gelehrten, der von der frü¬
hesten Jugend an mit rastloser Thätigkeit das gleiche Ziel verfolgt, wenig Bemer¬
kenswerthes bietet, theils weil bei Gelegenheit seines Todes vou anderer Seite
her die nöthigen Notizen in hinlänglichem Maß dem Publicum mitgetheilt sind.

Oersted war bereits 73 Jahre alt, als sein erstes, für das Volk bestimmtes
Werk erschien. Der „Geist in der Natur" hat mit Recht auch in Deutschland
großes Aufsehen erregt; nicht als ob die Gedanken, die in demselben ausgesprochen
sind, in jeder Beziehung den Reiz der Neuheit hätten, im Gegentheil hat die


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[0313] vaganzeu eines offenbar schwachen,, im höchsten Grade gefährdeten und daher reizbaren Gegners übersehen, und der Umville, den der schmähliche Fortgang des Krieges in uns erregen mußte, hat sich nicht gegen die Dänen, sondern gegen die Regierungen gewendet, die schuld daran waren. Aber in diesem Augenblick mögen sich die Dänen sehr wohl hüten, daß der bisher nur in der Fiction vor¬ handene Nationalhaß nicht zur Wahrheit werde. Das Verfahren der Dänischen Regierung in Schleswig ist ein so empörendes, und sie wird darin von dem Dänischen Volk nicht nur gestützt, sondern so lebhast angetrieben, daß von Tag zu Tag in nnserm Gefühl, welches sich für den Augenblick nicht in Thaten Luft machen kann, die Bitterkeit sich steigert. Während es sonst in der Regel für jedes uach Freiheit strebende Volk als ein Gewinn betrachtet werden muß, wenn die benachbarten Völker für ihr Staatsleben freie, leicht bewegliche Formen erlangen, wird es mit den Dänen dahin kommen, daß sie vor dem Augenblick zittern müssen, wo Deutschland sich wiederfindet. Da nicht blos die Rechtsfrage, sondern vorzugsweise die collidirenden wesentlichen Interessen in der Schleswig-Holstein- schen Angelegenheit in kürzerer oder längerer Zeit einen neuen Conflict unver¬ meidlich machen, so wird die Frage nur die sein, ob ein CabinctSkrieg oder ein Volkskrieg daraus entsteht; der letztere würde, wenn die Provocationen von Dänischer Seite ihren weitern Fortgang nähmen, ein Vertilgungskrieg werden, und es würde alsdann im Interesse des Dänischen Volks liegen, die Entwicke¬ lung der Freiheit in Deutschland nach Kräften so lange als möglich zu hinter¬ treiben, d. h. sich zum fortwährenden Schergen des Russischen Despotismus her¬ zugeben. Ob wir einem Volk, welches so wenig historischen Verstand und so wenig natürliches Gefühl besitzt, um sich aus die Dauer in dieser Rolle zu ge¬ fallen, noch länger unsre Achtung schenken könnten, das mögen die Dänen selbst ermessen. Wir gehen nach dieser Abschweifung, die aber in vieler Beziehung noth¬ wendig war, zu unsrem eigentlichen Gegenstand über. Wir haben zum Gegenstand unsrer ersten Skandinavischen Charakteristik einen Mann gewählt, der uicht nur bei seinen Landsleuten, sondern bei der gauzen gebildeten Welt die höchste Achtung in Anspruch nehmen muß. Wir wollen hier nicht in eine Biographie dieses nnögezeichueteu Mannes eingehen, theils weil das Leben eines ganz in seinen Gegenstand aufgehenden Gelehrten, der von der frü¬ hesten Jugend an mit rastloser Thätigkeit das gleiche Ziel verfolgt, wenig Bemer¬ kenswerthes bietet, theils weil bei Gelegenheit seines Todes vou anderer Seite her die nöthigen Notizen in hinlänglichem Maß dem Publicum mitgetheilt sind. Oersted war bereits 73 Jahre alt, als sein erstes, für das Volk bestimmtes Werk erschien. Der „Geist in der Natur" hat mit Recht auch in Deutschland großes Aufsehen erregt; nicht als ob die Gedanken, die in demselben ausgesprochen sind, in jeder Beziehung den Reiz der Neuheit hätten, im Gegentheil hat die Grenzboten. III. -I8V-I. 39

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/313>, abgerufen am 04.07.2024.