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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Schriftsteller ins Deutsche, diese beiden Nationen, die nicht nur durch ihre Sprach¬
verwandtschaft, sondern auch durch vielfache Aehnlichkeit in der Anlage eigentlich
zu einander hingeführt werden sollten, und die uur dnrch eigenthümliche historische
Verwickelungen verfeindet wurden, wieder mit einander zu vermitteln. Wir wollen
dies Bestreben nach Kräften unterstützen. ES ist Zeit, daß überhaupt die iustinct-
mäßige Abneigung, welche die Verbindung der Volker und ihre gemeinsame Ver¬
folgung humaner Ausgaben aufhält, durch eine genauere Kenntniß der verschiedenen
Volksindividualitäten aufgehoben werde. Jedes ernsthafte Studium führt zur Er¬
kenntniß guter Seiten, die man bei oberflächlicher Anschauung übersieht, und wirkt
daher versöhnend. Außerdem haben wir bei der scandinavischen, namentlich bei der
Dänischen Literatur noch einen andern Grund, ihr unsre Aufmerksamkeit zuzu-
wenden, auf deu wir später kommen. Vorher aber müssen wir einige Bemer¬
kungen macheu, die uicht dem Deutschen Publieum, sondern dem Dänischen
gelte".

Bei alleu Völkern, bereu Cultur jünger und daher weniger entwickelt ist,
als die Deutsche, herrscht das Vorurtheil, mau deute in Deutschland geringschätzig
über sie. Dieses Vorurtheil ist unbegründet.. Daß wir uns in Deutschland mit
der Französischen und Englischen Literatur, die in vieler Beziehung weiter vor¬
geschritten ist, als die unsrige, eifriger beschäftigen, als mit der Dänischen, der
Schwedischen, der Russischen, der Polnischen, der Ungarischen u. s. w., liegt wol in
der Natur der Sache. Zunächst studiren wir doch solche Sprachen, in denen wir für
unsre eigene Bildung ein neues Moment zu finden hoffen. Bei den "großen" Dich
tern jener in der Cultur zurückstehender Völker, die in der Negel nicht aus dem Boden
ihrer eigenen Cultur hervorgegangen sind, sondern aus dem Studium des Deut¬
schen, Französischen und Englischen, sehen wir ans den ersten Anblick Nichts weiter,
als jene Reminiscenzen, und deute" daher vorläufig uicht daran, die Spuren des
nationale" Geistes, die sich freilich auch in ihnen, wie in jedem Organismus,
vorfinden müssen, weiter aufzusuchen, Was serner die specifischen Volksschriftsteller
betrifft, so gehört zu bereit Verständniß eine Bekanntschaft mit den seiner" Eigen¬
thümlichkeiten des Volks, die dem Fremden natürlich abgeht. Unser Versälle"
zu deu Französischen und Englische" Schriftstellern desselben Genre ist das näm¬
liche. Wir werden erst dann ans sie aufmerksam, wenn sie zu einer gewissen
Celebrität gelangt und in das Niveau der übrigen die Bildungsstufe des Zeit¬
alters repräsentireiiden Schriftsteller aufgeuvmme" sind. Im Uebrigen sind wir
aber geneigter, den Däne" ". s. w. u"fre Aufmerksamkeit zu Theil werde" zu
lasse", als die Franzose" und Engländer es nus gegenüber sind, obgleich diese
""e weit größere Veranlassung dazu hätten, als wir, denn die Deutsche Poesie
hat eine Reihe von Erzeugnissen auszuweisen, welche zur Weltliteratur gehöre",
das heißt, die eine neue Richtung angebahnt haben, und deren Einfluß ans die
Entwickelung der Französischen und Eiglischen Literatur nicht geringer gewesen ist,


Schriftsteller ins Deutsche, diese beiden Nationen, die nicht nur durch ihre Sprach¬
verwandtschaft, sondern auch durch vielfache Aehnlichkeit in der Anlage eigentlich
zu einander hingeführt werden sollten, und die uur dnrch eigenthümliche historische
Verwickelungen verfeindet wurden, wieder mit einander zu vermitteln. Wir wollen
dies Bestreben nach Kräften unterstützen. ES ist Zeit, daß überhaupt die iustinct-
mäßige Abneigung, welche die Verbindung der Volker und ihre gemeinsame Ver¬
folgung humaner Ausgaben aufhält, durch eine genauere Kenntniß der verschiedenen
Volksindividualitäten aufgehoben werde. Jedes ernsthafte Studium führt zur Er¬
kenntniß guter Seiten, die man bei oberflächlicher Anschauung übersieht, und wirkt
daher versöhnend. Außerdem haben wir bei der scandinavischen, namentlich bei der
Dänischen Literatur noch einen andern Grund, ihr unsre Aufmerksamkeit zuzu-
wenden, auf deu wir später kommen. Vorher aber müssen wir einige Bemer¬
kungen macheu, die uicht dem Deutschen Publieum, sondern dem Dänischen
gelte».

Bei alleu Völkern, bereu Cultur jünger und daher weniger entwickelt ist,
als die Deutsche, herrscht das Vorurtheil, mau deute in Deutschland geringschätzig
über sie. Dieses Vorurtheil ist unbegründet.. Daß wir uns in Deutschland mit
der Französischen und Englischen Literatur, die in vieler Beziehung weiter vor¬
geschritten ist, als die unsrige, eifriger beschäftigen, als mit der Dänischen, der
Schwedischen, der Russischen, der Polnischen, der Ungarischen u. s. w., liegt wol in
der Natur der Sache. Zunächst studiren wir doch solche Sprachen, in denen wir für
unsre eigene Bildung ein neues Moment zu finden hoffen. Bei den „großen" Dich
tern jener in der Cultur zurückstehender Völker, die in der Negel nicht aus dem Boden
ihrer eigenen Cultur hervorgegangen sind, sondern aus dem Studium des Deut¬
schen, Französischen und Englischen, sehen wir ans den ersten Anblick Nichts weiter,
als jene Reminiscenzen, und deute» daher vorläufig uicht daran, die Spuren des
nationale» Geistes, die sich freilich auch in ihnen, wie in jedem Organismus,
vorfinden müssen, weiter aufzusuchen, Was serner die specifischen Volksschriftsteller
betrifft, so gehört zu bereit Verständniß eine Bekanntschaft mit den seiner» Eigen¬
thümlichkeiten des Volks, die dem Fremden natürlich abgeht. Unser Versälle»
zu deu Französischen und Englische» Schriftstellern desselben Genre ist das näm¬
liche. Wir werden erst dann ans sie aufmerksam, wenn sie zu einer gewissen
Celebrität gelangt und in das Niveau der übrigen die Bildungsstufe des Zeit¬
alters repräsentireiiden Schriftsteller aufgeuvmme» sind. Im Uebrigen sind wir
aber geneigter, den Däne» ». s. w. u»fre Aufmerksamkeit zu Theil werde» zu
lasse», als die Franzose» und Engländer es nus gegenüber sind, obgleich diese
«»e weit größere Veranlassung dazu hätten, als wir, denn die Deutsche Poesie
hat eine Reihe von Erzeugnissen auszuweisen, welche zur Weltliteratur gehöre»,
das heißt, die eine neue Richtung angebahnt haben, und deren Einfluß ans die
Entwickelung der Französischen und Eiglischen Literatur nicht geringer gewesen ist,


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[0311] Schriftsteller ins Deutsche, diese beiden Nationen, die nicht nur durch ihre Sprach¬ verwandtschaft, sondern auch durch vielfache Aehnlichkeit in der Anlage eigentlich zu einander hingeführt werden sollten, und die uur dnrch eigenthümliche historische Verwickelungen verfeindet wurden, wieder mit einander zu vermitteln. Wir wollen dies Bestreben nach Kräften unterstützen. ES ist Zeit, daß überhaupt die iustinct- mäßige Abneigung, welche die Verbindung der Volker und ihre gemeinsame Ver¬ folgung humaner Ausgaben aufhält, durch eine genauere Kenntniß der verschiedenen Volksindividualitäten aufgehoben werde. Jedes ernsthafte Studium führt zur Er¬ kenntniß guter Seiten, die man bei oberflächlicher Anschauung übersieht, und wirkt daher versöhnend. Außerdem haben wir bei der scandinavischen, namentlich bei der Dänischen Literatur noch einen andern Grund, ihr unsre Aufmerksamkeit zuzu- wenden, auf deu wir später kommen. Vorher aber müssen wir einige Bemer¬ kungen macheu, die uicht dem Deutschen Publieum, sondern dem Dänischen gelte». Bei alleu Völkern, bereu Cultur jünger und daher weniger entwickelt ist, als die Deutsche, herrscht das Vorurtheil, mau deute in Deutschland geringschätzig über sie. Dieses Vorurtheil ist unbegründet.. Daß wir uns in Deutschland mit der Französischen und Englischen Literatur, die in vieler Beziehung weiter vor¬ geschritten ist, als die unsrige, eifriger beschäftigen, als mit der Dänischen, der Schwedischen, der Russischen, der Polnischen, der Ungarischen u. s. w., liegt wol in der Natur der Sache. Zunächst studiren wir doch solche Sprachen, in denen wir für unsre eigene Bildung ein neues Moment zu finden hoffen. Bei den „großen" Dich tern jener in der Cultur zurückstehender Völker, die in der Negel nicht aus dem Boden ihrer eigenen Cultur hervorgegangen sind, sondern aus dem Studium des Deut¬ schen, Französischen und Englischen, sehen wir ans den ersten Anblick Nichts weiter, als jene Reminiscenzen, und deute» daher vorläufig uicht daran, die Spuren des nationale» Geistes, die sich freilich auch in ihnen, wie in jedem Organismus, vorfinden müssen, weiter aufzusuchen, Was serner die specifischen Volksschriftsteller betrifft, so gehört zu bereit Verständniß eine Bekanntschaft mit den seiner» Eigen¬ thümlichkeiten des Volks, die dem Fremden natürlich abgeht. Unser Versälle» zu deu Französischen und Englische» Schriftstellern desselben Genre ist das näm¬ liche. Wir werden erst dann ans sie aufmerksam, wenn sie zu einer gewissen Celebrität gelangt und in das Niveau der übrigen die Bildungsstufe des Zeit¬ alters repräsentireiiden Schriftsteller aufgeuvmme» sind. Im Uebrigen sind wir aber geneigter, den Däne» ». s. w. u»fre Aufmerksamkeit zu Theil werde» zu lasse», als die Franzose» und Engländer es nus gegenüber sind, obgleich diese «»e weit größere Veranlassung dazu hätten, als wir, denn die Deutsche Poesie hat eine Reihe von Erzeugnissen auszuweisen, welche zur Weltliteratur gehöre», das heißt, die eine neue Richtung angebahnt haben, und deren Einfluß ans die Entwickelung der Französischen und Eiglischen Literatur nicht geringer gewesen ist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/311>, abgerufen am 04.07.2024.