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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Griechischen Olymp aus luftige Abstractionen zurückführte, auf einen leeren,
naturphilosophischen Calcul, mit dem man in der Indischen Mythologie, weil
ihre Ueberschwänglichkeit den wenigsten Widerstand leistete, am Besten fertig wurde.
Das war die eine Seite, und sie wurde, wie billig, in Deutschland am Leiden-
schädlichsten ausgebildet. -- Ein anderer Grund aber lag in dem Bedürfniß nach
colorirten Anschauungen. Die gute Gesellschaft, mit Dem, was dazu gehörte,
war so blaß und farblos geworden, ihre Vorstellungen, Wünsche und Empfin¬
dungen so monoton und so gemacht, daß sie auch nicht zu dem kleinsten Gedicht
mehr Gelegenheit geben wollte. Man wandte sich also nach der Ferne, wo die
neuen, fremdartigen Gegenstände das Auge so unmittelbar berührten, daß man
ihnen seine Aufmerksamkeit nicht entziehen konnte. Es war nicht gerade Natur
im Rousseau'schen Sinn, was man in ihnen fand, nicht die idyllische Natur Ro-
binson's, aber Farbe, Glutt) und ein sinnliches Leben, dem noch nicht dnrch Ci¬
vilisation und Moral die ursprüngliche Gewalt entzogen war. Unsre Neupersische
Romantik ging von diesem Bedürfniß nach sinnlicher Realität aus. Goethe's
"west-östlicher Divan", Platen's "Gaselen", Rückert's "östliche Rosen", später
Denner's "Hafiz" und Freiligrath's Gedichte concentriren sich alle in diesem Be¬
dürfniß. Es ist nicht zu läugnen, daß dadurch unsre Sprache und Vorstellung
etwas mehr an Farbe gewonnen hat, obgleich selbst in Goethe die abstracte Re¬
flexion vorwaltet, und obgleich es immer eine wunderliche Erscheinung genannt
werden muß, daß man nicht durch die unmittelbare Anschauung, sondern durch
Reisebeschreibungen und durch gelehrte Commentare seine poetische Vorstellung
vermittelte. Später ist man dnrch die charakteristische Schilderung des Fremden
endlich dahinter gekommen, daß man anch zu Hause noch Charakteristisches genug
finden könne. Man hat Entdeckungsreisen in die von der Cultur uoch wenig
berührten Länder des Schwarzwaldes, der Schweiz und der rothen Erde gemacht,
und sich ans das Genre der Dorfgeschichten geworfen. In der Landschaftsmalerei
ist es ganz ähnlich gegangen. Die frühere Schule beschränkte sich auf die Stim¬
mung der Landschaft; erst im Ausland kam man dahinter, daß Portrait und
Charakteristik auch hier ihre Rolle zu spielen hätten, und nun gewöhnte sich das
Auge darau, auch in der Heimath uach Eigenthümlichen und Fremdem zu suche".
Ich darf wol kaum bemerken, daß auch hier die Uebertreibung nahe liegt, und
daß über der raffinirten Darstellung des Sonderbaren und Ungewöhnlichen zuletzt
die Hauptaufgabe der Poesie vergessen wird, nämlich Dasjenige darzustellen, was
alle Menschen gleichmäßig angeht.

Den Engländern lag die zweite Richtung nahe. Theils treibt sie ihre Natur
überhaupt zum Concreteu und Bestimmte,:, theils war ihnen auch Indien nur
zum Theil Ausland. So wie die Franzosen durch die Napoleonischen Feldzüge
dahinkamen, in dem Wunderland der Pyramiden und des Nil etwas mehr zu
suchen, als was wir etwa aus unsrer Zauberflöte erfahren, so machten den Briten


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Griechischen Olymp aus luftige Abstractionen zurückführte, auf einen leeren,
naturphilosophischen Calcul, mit dem man in der Indischen Mythologie, weil
ihre Ueberschwänglichkeit den wenigsten Widerstand leistete, am Besten fertig wurde.
Das war die eine Seite, und sie wurde, wie billig, in Deutschland am Leiden-
schädlichsten ausgebildet. — Ein anderer Grund aber lag in dem Bedürfniß nach
colorirten Anschauungen. Die gute Gesellschaft, mit Dem, was dazu gehörte,
war so blaß und farblos geworden, ihre Vorstellungen, Wünsche und Empfin¬
dungen so monoton und so gemacht, daß sie auch nicht zu dem kleinsten Gedicht
mehr Gelegenheit geben wollte. Man wandte sich also nach der Ferne, wo die
neuen, fremdartigen Gegenstände das Auge so unmittelbar berührten, daß man
ihnen seine Aufmerksamkeit nicht entziehen konnte. Es war nicht gerade Natur
im Rousseau'schen Sinn, was man in ihnen fand, nicht die idyllische Natur Ro-
binson's, aber Farbe, Glutt) und ein sinnliches Leben, dem noch nicht dnrch Ci¬
vilisation und Moral die ursprüngliche Gewalt entzogen war. Unsre Neupersische
Romantik ging von diesem Bedürfniß nach sinnlicher Realität aus. Goethe's
„west-östlicher Divan", Platen's „Gaselen", Rückert's „östliche Rosen", später
Denner's „Hafiz" und Freiligrath's Gedichte concentriren sich alle in diesem Be¬
dürfniß. Es ist nicht zu läugnen, daß dadurch unsre Sprache und Vorstellung
etwas mehr an Farbe gewonnen hat, obgleich selbst in Goethe die abstracte Re¬
flexion vorwaltet, und obgleich es immer eine wunderliche Erscheinung genannt
werden muß, daß man nicht durch die unmittelbare Anschauung, sondern durch
Reisebeschreibungen und durch gelehrte Commentare seine poetische Vorstellung
vermittelte. Später ist man dnrch die charakteristische Schilderung des Fremden
endlich dahinter gekommen, daß man anch zu Hause noch Charakteristisches genug
finden könne. Man hat Entdeckungsreisen in die von der Cultur uoch wenig
berührten Länder des Schwarzwaldes, der Schweiz und der rothen Erde gemacht,
und sich ans das Genre der Dorfgeschichten geworfen. In der Landschaftsmalerei
ist es ganz ähnlich gegangen. Die frühere Schule beschränkte sich auf die Stim¬
mung der Landschaft; erst im Ausland kam man dahinter, daß Portrait und
Charakteristik auch hier ihre Rolle zu spielen hätten, und nun gewöhnte sich das
Auge darau, auch in der Heimath uach Eigenthümlichen und Fremdem zu suche».
Ich darf wol kaum bemerken, daß auch hier die Uebertreibung nahe liegt, und
daß über der raffinirten Darstellung des Sonderbaren und Ungewöhnlichen zuletzt
die Hauptaufgabe der Poesie vergessen wird, nämlich Dasjenige darzustellen, was
alle Menschen gleichmäßig angeht.

Den Engländern lag die zweite Richtung nahe. Theils treibt sie ihre Natur
überhaupt zum Concreteu und Bestimmte,:, theils war ihnen auch Indien nur
zum Theil Ausland. So wie die Franzosen durch die Napoleonischen Feldzüge
dahinkamen, in dem Wunderland der Pyramiden und des Nil etwas mehr zu
suchen, als was wir etwa aus unsrer Zauberflöte erfahren, so machten den Briten


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[0259] Griechischen Olymp aus luftige Abstractionen zurückführte, auf einen leeren, naturphilosophischen Calcul, mit dem man in der Indischen Mythologie, weil ihre Ueberschwänglichkeit den wenigsten Widerstand leistete, am Besten fertig wurde. Das war die eine Seite, und sie wurde, wie billig, in Deutschland am Leiden- schädlichsten ausgebildet. — Ein anderer Grund aber lag in dem Bedürfniß nach colorirten Anschauungen. Die gute Gesellschaft, mit Dem, was dazu gehörte, war so blaß und farblos geworden, ihre Vorstellungen, Wünsche und Empfin¬ dungen so monoton und so gemacht, daß sie auch nicht zu dem kleinsten Gedicht mehr Gelegenheit geben wollte. Man wandte sich also nach der Ferne, wo die neuen, fremdartigen Gegenstände das Auge so unmittelbar berührten, daß man ihnen seine Aufmerksamkeit nicht entziehen konnte. Es war nicht gerade Natur im Rousseau'schen Sinn, was man in ihnen fand, nicht die idyllische Natur Ro- binson's, aber Farbe, Glutt) und ein sinnliches Leben, dem noch nicht dnrch Ci¬ vilisation und Moral die ursprüngliche Gewalt entzogen war. Unsre Neupersische Romantik ging von diesem Bedürfniß nach sinnlicher Realität aus. Goethe's „west-östlicher Divan", Platen's „Gaselen", Rückert's „östliche Rosen", später Denner's „Hafiz" und Freiligrath's Gedichte concentriren sich alle in diesem Be¬ dürfniß. Es ist nicht zu läugnen, daß dadurch unsre Sprache und Vorstellung etwas mehr an Farbe gewonnen hat, obgleich selbst in Goethe die abstracte Re¬ flexion vorwaltet, und obgleich es immer eine wunderliche Erscheinung genannt werden muß, daß man nicht durch die unmittelbare Anschauung, sondern durch Reisebeschreibungen und durch gelehrte Commentare seine poetische Vorstellung vermittelte. Später ist man dnrch die charakteristische Schilderung des Fremden endlich dahinter gekommen, daß man anch zu Hause noch Charakteristisches genug finden könne. Man hat Entdeckungsreisen in die von der Cultur uoch wenig berührten Länder des Schwarzwaldes, der Schweiz und der rothen Erde gemacht, und sich ans das Genre der Dorfgeschichten geworfen. In der Landschaftsmalerei ist es ganz ähnlich gegangen. Die frühere Schule beschränkte sich auf die Stim¬ mung der Landschaft; erst im Ausland kam man dahinter, daß Portrait und Charakteristik auch hier ihre Rolle zu spielen hätten, und nun gewöhnte sich das Auge darau, auch in der Heimath uach Eigenthümlichen und Fremdem zu suche». Ich darf wol kaum bemerken, daß auch hier die Uebertreibung nahe liegt, und daß über der raffinirten Darstellung des Sonderbaren und Ungewöhnlichen zuletzt die Hauptaufgabe der Poesie vergessen wird, nämlich Dasjenige darzustellen, was alle Menschen gleichmäßig angeht. Den Engländern lag die zweite Richtung nahe. Theils treibt sie ihre Natur überhaupt zum Concreteu und Bestimmte,:, theils war ihnen auch Indien nur zum Theil Ausland. So wie die Franzosen durch die Napoleonischen Feldzüge dahinkamen, in dem Wunderland der Pyramiden und des Nil etwas mehr zu suchen, als was wir etwa aus unsrer Zauberflöte erfahren, so machten den Briten 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/259>, abgerufen am 04.07.2024.