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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Abtheilung ihrer "Bureaus," deren jedes seinen besondern Chef hat, zugetheilt.
Je mehr die Gouberuien Mittelrußlands 'sich nach Osten entfernen, desto unbe¬
deutender werden diese Anstalten, die persönliche Bekanntschaft mit Morgen¬
röthe und aufgehender Sonne erhält dort offenbar eine gewisse Unschuld, doch
ganz verschwindet die geheime Polizei nirgends -- sie zeigt sich wenigstens in je¬
der bedeutenden Stadt. So klagte mir z. B. der Kaufmann B. . . . . aus
Orenburg, dessen Bater 1812 als Gefangener in Rußland zurückgeblieben war:
"Wir wohnen hinter der astatischen Grenze, unsere Genossenschaft ringsum, ja in
der Stadt selbst, ist die roheste, fremdeste und einfältigste von der Welt, wir con-
spiriren wahrhaftig nicht, aber unsere Herren Gouverneure können es nicht unter¬
lassen uns zu belügen und zu behorchen, als ob wir die größten Politiker wären
und als ob wir in unserem Obtscheigebirge, fern von der Welt, die für polnische
Ideen Sympathie empfindet, im Stande wären, diabolische Entwürfe auszuführen.
Es ist eine schwache Seite der Herren, und je weniger sie erfahren, desto erpichter
werden sie ans die Entdeckung unserer politischen Nichtswürdigkeit. Aber unsere
Leute am Obtschei sind noch schlauer, als die Gouverneure. Sie thun ihnen den
Possen und conspiriren nie."

Im südlichen Nußland dagegen besitzt die geheime Polizei wieder eine acht¬
bare Größe, besonders auf den Odessa nahegelegenen Küstenstrichen des schwarzen
Meeres und in dem an die Donaufürstenthümer grenzenden Bessarabien. Hier
richtet sie ihre Sinne vorzüglich auf die Fremden, und verfolgt ihre Spuren mit
schätzenswerlher Energie. Kein Franzose oder Türke, Deutscher oder Engländer
betritt mit visirtem Paß den Weg von Odessa nach dem Innern, ohne daß sein
Name schon auf eine weite Strecke hin bei den Polizeiämtern angezeigt wäre, und
ehe der reisende Fremdling die Städte seiner Tour nur mit dem Ange gefunden,
stehen schon spähende Personen am Schlagbäume, die ihn erwarten und Tritt und
Schritt beobachten. -- In dem Innern des Reichs richtet sich natürlich die Spio-
nerie weniger auf die Fremden als auf die Einheimischen. Demungeachtet blei¬
ben die Reisenden im Innern Rußlands nicht unbeachtet, und ich selbst sollte das
mit Schrecken erfahren.

Ich kenne nicht die Ansichten Ihrer Leser über Kinn- und Backenbärte, genug
ich hatte einen. Ich habe ihn leider nicht mehr, und deshalb mag mir vergönnt
sein, deu Verlorenen zu rühmen. Es war bei weitem nicht der schlechteste Bart,
welcher in Deutschland im Winde rauscht, er war eine Märzerrungenschaft, seiner
Größe uach noch salonfähig und nicht unverträglich mit weißer Cravatte. Arglos
hatte ich ihn bis in das Innere von Rußland getragen, oft von Poliz^ibeamteu
angefahren, von Spionen sehnsüchtig betrachtet. Endlich betrete ich den BannkrnS
von Orel. Ich übergebe meinen Paß dem Hütelwirthe, einem Deutschen, damit
er ihn visiren lasse; äußere höflich, daß ich den Paß bis zum andern Morgen
wieder zu erhalten wünsche, darauf bemerkte der Wirth, so schnell werde es nicht


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Abtheilung ihrer „Bureaus," deren jedes seinen besondern Chef hat, zugetheilt.
Je mehr die Gouberuien Mittelrußlands 'sich nach Osten entfernen, desto unbe¬
deutender werden diese Anstalten, die persönliche Bekanntschaft mit Morgen¬
röthe und aufgehender Sonne erhält dort offenbar eine gewisse Unschuld, doch
ganz verschwindet die geheime Polizei nirgends — sie zeigt sich wenigstens in je¬
der bedeutenden Stadt. So klagte mir z. B. der Kaufmann B. . . . . aus
Orenburg, dessen Bater 1812 als Gefangener in Rußland zurückgeblieben war:
„Wir wohnen hinter der astatischen Grenze, unsere Genossenschaft ringsum, ja in
der Stadt selbst, ist die roheste, fremdeste und einfältigste von der Welt, wir con-
spiriren wahrhaftig nicht, aber unsere Herren Gouverneure können es nicht unter¬
lassen uns zu belügen und zu behorchen, als ob wir die größten Politiker wären
und als ob wir in unserem Obtscheigebirge, fern von der Welt, die für polnische
Ideen Sympathie empfindet, im Stande wären, diabolische Entwürfe auszuführen.
Es ist eine schwache Seite der Herren, und je weniger sie erfahren, desto erpichter
werden sie ans die Entdeckung unserer politischen Nichtswürdigkeit. Aber unsere
Leute am Obtschei sind noch schlauer, als die Gouverneure. Sie thun ihnen den
Possen und conspiriren nie."

Im südlichen Nußland dagegen besitzt die geheime Polizei wieder eine acht¬
bare Größe, besonders auf den Odessa nahegelegenen Küstenstrichen des schwarzen
Meeres und in dem an die Donaufürstenthümer grenzenden Bessarabien. Hier
richtet sie ihre Sinne vorzüglich auf die Fremden, und verfolgt ihre Spuren mit
schätzenswerlher Energie. Kein Franzose oder Türke, Deutscher oder Engländer
betritt mit visirtem Paß den Weg von Odessa nach dem Innern, ohne daß sein
Name schon auf eine weite Strecke hin bei den Polizeiämtern angezeigt wäre, und
ehe der reisende Fremdling die Städte seiner Tour nur mit dem Ange gefunden,
stehen schon spähende Personen am Schlagbäume, die ihn erwarten und Tritt und
Schritt beobachten. — In dem Innern des Reichs richtet sich natürlich die Spio-
nerie weniger auf die Fremden als auf die Einheimischen. Demungeachtet blei¬
ben die Reisenden im Innern Rußlands nicht unbeachtet, und ich selbst sollte das
mit Schrecken erfahren.

Ich kenne nicht die Ansichten Ihrer Leser über Kinn- und Backenbärte, genug
ich hatte einen. Ich habe ihn leider nicht mehr, und deshalb mag mir vergönnt
sein, deu Verlorenen zu rühmen. Es war bei weitem nicht der schlechteste Bart,
welcher in Deutschland im Winde rauscht, er war eine Märzerrungenschaft, seiner
Größe uach noch salonfähig und nicht unverträglich mit weißer Cravatte. Arglos
hatte ich ihn bis in das Innere von Rußland getragen, oft von Poliz^ibeamteu
angefahren, von Spionen sehnsüchtig betrachtet. Endlich betrete ich den BannkrnS
von Orel. Ich übergebe meinen Paß dem Hütelwirthe, einem Deutschen, damit
er ihn visiren lasse; äußere höflich, daß ich den Paß bis zum andern Morgen
wieder zu erhalten wünsche, darauf bemerkte der Wirth, so schnell werde es nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/523>, abgerufen am 22.06.2024.