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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Etwa eine Meile vom Jlmensee entfernt, lag am Wolchow das alte Now¬
gorod und zog sich zu beiden Seiten des klaren Stromes in weiter Ausdeh¬
nung hin mit seinen hölzernen Häusern und stattlichen Brücken, seinem wohl¬
befestigten Kreml und seinem Markte, wo auf den Schall der großen Wetschag-
glocke die Bürger sich versammeln mußten, mit seinen Kaufhöfen und Meßplätzen
und mit seineu Klöstern, Kapellen und Kirchen, unter denen neben der ehrwürdi¬
gen Sovhienkathedrale der griechischen Christen sich bereits um die Mitte des
zwölften Jahrhunderts die "heilige "Pätniza" erhob, in welcher die duldsame
Republik dem abendländischen Handelsmanne bereitwillig gestattete, seine Andacht
nach römischem Kirchengebrauche zu verrichten.

Zu einer Zeit, da noch dichtes Dunkel über dem ganzen Nordosten Europas
lagerte, stand Nowgorod schon als ein selbstständiges städtisches Gemeinwesen da.
Durch seine vortheilhafte Lage an der alten Handelsstraße, die sich von Griechen¬
land den Dniper hinauf nördlich zum Wolchow wandte, vermittelte es hauptsäch¬
lich den Verkehr des Südens mit den finnischen Völkerschaften, während ihm zu¬
gleich die Karavanen der Bulgaren von der Wolga her die Schätze des Orients
zum Umsatz gegen nordische Producte brachte.

Noch lag der weite finnische Norden vom Ural längs des Eismeeres bis zum
baltischen Gestade uubezwungen da. Dorthin lockte den Handelsmann schon lange
der Erwerb des kostbaren Pelzwerkes. Dorthin wandte daher der Freistaat jetzt
sein Hauptaugenmerk, und während anderthalb Jahrhunderte wurden von nun an
jene Landschaften "hinter den großen Waldungen", wie sie die Chrom! nennt, der
Tummelplatz der nowgvrodschen Krieger. Bald zieht ein Haufen verwegener Frei¬
beuter vom Wolchow aus, um zu den "eisernen Pforten", in's Land der heutigen
Sürjänen vorzudringen. Bald stehen die Feldherren der Republik mit ihren Heeren
an den Ufern des Ladvga, um dort im wilden Kampfe die Jemen zu bezwingen.
Im Jahre 1830 beugt sich schon alles Volk bis zum Onegasee unter der Herr¬
schaft Nowgorodes. Nach allen Richtungen durchstreifen seine Steuereinnehmer
die neuerworbenen Lande, um "Eichhvrufelle" und anderes Pelzwerk einzutreiben.
Drei Jahre später sind bereits die Anwohner der Petschora ihnen tributpflichtig
und im Jahre 1137 zehnten die Uferlandschasten des weißen Meeres dem heiligen
Georgsklvster am Wolchow.

Um auf diesem wichtige" Platze keinen anderen Fremden aufkommen zu lassen
und auch, aus der Ferne den dortigen Handel sicher leiten zu können, suchten die
Deutschen sich schon frühe bei den Nowgorodern die Erlaubniß zu einer festen
Niederlassung am Orte selbst auszuwirken. Bald wurden ihnen hierzu von der
Republik in einem besonderen Stadtquartiere die nöthigen Bauplätze angewiesen.
Dort gründeten sie nnn ihre eigene deutsche Kirche zum heiligen Peter. Um die¬
selbe herum führten so geräumige Waarenlager und Packhäuser auf, nebst zahl-


Grenzbvt-n. i. 1850. 64

Etwa eine Meile vom Jlmensee entfernt, lag am Wolchow das alte Now¬
gorod und zog sich zu beiden Seiten des klaren Stromes in weiter Ausdeh¬
nung hin mit seinen hölzernen Häusern und stattlichen Brücken, seinem wohl¬
befestigten Kreml und seinem Markte, wo auf den Schall der großen Wetschag-
glocke die Bürger sich versammeln mußten, mit seinen Kaufhöfen und Meßplätzen
und mit seineu Klöstern, Kapellen und Kirchen, unter denen neben der ehrwürdi¬
gen Sovhienkathedrale der griechischen Christen sich bereits um die Mitte des
zwölften Jahrhunderts die „heilige „Pätniza" erhob, in welcher die duldsame
Republik dem abendländischen Handelsmanne bereitwillig gestattete, seine Andacht
nach römischem Kirchengebrauche zu verrichten.

Zu einer Zeit, da noch dichtes Dunkel über dem ganzen Nordosten Europas
lagerte, stand Nowgorod schon als ein selbstständiges städtisches Gemeinwesen da.
Durch seine vortheilhafte Lage an der alten Handelsstraße, die sich von Griechen¬
land den Dniper hinauf nördlich zum Wolchow wandte, vermittelte es hauptsäch¬
lich den Verkehr des Südens mit den finnischen Völkerschaften, während ihm zu¬
gleich die Karavanen der Bulgaren von der Wolga her die Schätze des Orients
zum Umsatz gegen nordische Producte brachte.

Noch lag der weite finnische Norden vom Ural längs des Eismeeres bis zum
baltischen Gestade uubezwungen da. Dorthin lockte den Handelsmann schon lange
der Erwerb des kostbaren Pelzwerkes. Dorthin wandte daher der Freistaat jetzt
sein Hauptaugenmerk, und während anderthalb Jahrhunderte wurden von nun an
jene Landschaften „hinter den großen Waldungen", wie sie die Chrom! nennt, der
Tummelplatz der nowgvrodschen Krieger. Bald zieht ein Haufen verwegener Frei¬
beuter vom Wolchow aus, um zu den „eisernen Pforten", in's Land der heutigen
Sürjänen vorzudringen. Bald stehen die Feldherren der Republik mit ihren Heeren
an den Ufern des Ladvga, um dort im wilden Kampfe die Jemen zu bezwingen.
Im Jahre 1830 beugt sich schon alles Volk bis zum Onegasee unter der Herr¬
schaft Nowgorodes. Nach allen Richtungen durchstreifen seine Steuereinnehmer
die neuerworbenen Lande, um „Eichhvrufelle" und anderes Pelzwerk einzutreiben.
Drei Jahre später sind bereits die Anwohner der Petschora ihnen tributpflichtig
und im Jahre 1137 zehnten die Uferlandschasten des weißen Meeres dem heiligen
Georgsklvster am Wolchow.

Um auf diesem wichtige» Platze keinen anderen Fremden aufkommen zu lassen
und auch, aus der Ferne den dortigen Handel sicher leiten zu können, suchten die
Deutschen sich schon frühe bei den Nowgorodern die Erlaubniß zu einer festen
Niederlassung am Orte selbst auszuwirken. Bald wurden ihnen hierzu von der
Republik in einem besonderen Stadtquartiere die nöthigen Bauplätze angewiesen.
Dort gründeten sie nnn ihre eigene deutsche Kirche zum heiligen Peter. Um die¬
selbe herum führten so geräumige Waarenlager und Packhäuser auf, nebst zahl-


Grenzbvt-n. i. 1850. 64
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[0513] Etwa eine Meile vom Jlmensee entfernt, lag am Wolchow das alte Now¬ gorod und zog sich zu beiden Seiten des klaren Stromes in weiter Ausdeh¬ nung hin mit seinen hölzernen Häusern und stattlichen Brücken, seinem wohl¬ befestigten Kreml und seinem Markte, wo auf den Schall der großen Wetschag- glocke die Bürger sich versammeln mußten, mit seinen Kaufhöfen und Meßplätzen und mit seineu Klöstern, Kapellen und Kirchen, unter denen neben der ehrwürdi¬ gen Sovhienkathedrale der griechischen Christen sich bereits um die Mitte des zwölften Jahrhunderts die „heilige „Pätniza" erhob, in welcher die duldsame Republik dem abendländischen Handelsmanne bereitwillig gestattete, seine Andacht nach römischem Kirchengebrauche zu verrichten. Zu einer Zeit, da noch dichtes Dunkel über dem ganzen Nordosten Europas lagerte, stand Nowgorod schon als ein selbstständiges städtisches Gemeinwesen da. Durch seine vortheilhafte Lage an der alten Handelsstraße, die sich von Griechen¬ land den Dniper hinauf nördlich zum Wolchow wandte, vermittelte es hauptsäch¬ lich den Verkehr des Südens mit den finnischen Völkerschaften, während ihm zu¬ gleich die Karavanen der Bulgaren von der Wolga her die Schätze des Orients zum Umsatz gegen nordische Producte brachte. Noch lag der weite finnische Norden vom Ural längs des Eismeeres bis zum baltischen Gestade uubezwungen da. Dorthin lockte den Handelsmann schon lange der Erwerb des kostbaren Pelzwerkes. Dorthin wandte daher der Freistaat jetzt sein Hauptaugenmerk, und während anderthalb Jahrhunderte wurden von nun an jene Landschaften „hinter den großen Waldungen", wie sie die Chrom! nennt, der Tummelplatz der nowgvrodschen Krieger. Bald zieht ein Haufen verwegener Frei¬ beuter vom Wolchow aus, um zu den „eisernen Pforten", in's Land der heutigen Sürjänen vorzudringen. Bald stehen die Feldherren der Republik mit ihren Heeren an den Ufern des Ladvga, um dort im wilden Kampfe die Jemen zu bezwingen. Im Jahre 1830 beugt sich schon alles Volk bis zum Onegasee unter der Herr¬ schaft Nowgorodes. Nach allen Richtungen durchstreifen seine Steuereinnehmer die neuerworbenen Lande, um „Eichhvrufelle" und anderes Pelzwerk einzutreiben. Drei Jahre später sind bereits die Anwohner der Petschora ihnen tributpflichtig und im Jahre 1137 zehnten die Uferlandschasten des weißen Meeres dem heiligen Georgsklvster am Wolchow. Um auf diesem wichtige» Platze keinen anderen Fremden aufkommen zu lassen und auch, aus der Ferne den dortigen Handel sicher leiten zu können, suchten die Deutschen sich schon frühe bei den Nowgorodern die Erlaubniß zu einer festen Niederlassung am Orte selbst auszuwirken. Bald wurden ihnen hierzu von der Republik in einem besonderen Stadtquartiere die nöthigen Bauplätze angewiesen. Dort gründeten sie nnn ihre eigene deutsche Kirche zum heiligen Peter. Um die¬ selbe herum führten so geräumige Waarenlager und Packhäuser auf, nebst zahl- Grenzbvt-n. i. 1850. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/513>, abgerufen am 04.07.2024.