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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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zzitischer Verhältnisse, welche vielleicht auch eine geniale Regentenkraft jetzt nicht
bewältigen könnte. Dies Blatt hat oft darauf hingewiesen, wie Preußen im
Jahre 1848 dem Untergang näher schien als ein anderer Staat, und doch schneller
seine Kraft wiedergewonnen hat als ein anderer. Es verdankt seine Rettung, und
gerade unser Whigblatt soll das offen sagen, der preußischen Torypartei, dem
Vorwiegen der Ackerbauinteressen in den östlichen Landestheilen und der kriegeri¬
schen Loyalität der alten Landwehrmänner. Diese altconservative Partei, deren
energisches Auftreten für die Krone eine Reaction von so auffallender Stärke her¬
vorgebracht hatte, erscheint sehr natürlich der Regierung noch jetzt als Garant
für d'e Kraft und Dauer des Staates (freilich nicht Hr. von Gerlach und die
Kreuzzeitung), und doch kann man der Negierung nicht den Vorwurf machen, daß
sie sich ihr urtheilslos und unbedingt in die Arme geworfen habe. Die specifisch
preußische Partei aber ist nicht, wie man gewöhnlich annimmt, dem kleindentschen
Bundesstaat aus Zuneigung zu Oestreich principiell abhold, in ihr lebt mehr als
in jeder andern Partei der preußische Soldatengeist, und sie würde, ihrer großen
Majorität nach, mit demselben Eifer gegen Oestreich und Nußland zu Felde ziehn,
wie gegen demokratische Aufstände, vorausgesetzt, daß ein Vortheil für Preußens
Ruhm und Terrain zu hoffen wäre. Bei unserer Union ist ihr die parlamenta¬
rische Seite lästig, dies langweilige Kokettiren, wie sie es nennen, mit der Volks¬
gunst in den kleinern Staaten; dagegen ist sie sehr bereit, sich kurz militärisch zu
nehmen, was ihr nützlich wird. Die preußischen Generäle waren recht eilig, die
Militärconventionen mit deu kleinen Staaten einzuleiten und abzuschließen, das
war ein Weg der Verbindung, der ihnen verständlich war und wohlgefiel, und
dessen immense Bedeutung sie früher und besser verstanden, als irgend eine andere
Partei. Seit die Lebensinteressen des Grundbesitzes durch neue Gesetze gesichert
sind, bei deren Annahme in den Kammern dieselbe Partei mehr Uneigennützigkeit
und Patriotismus bewiesen hat, als man jetzt noch anzuerkennen geneigt ist, fühlt
sie sich sicher in ihrem Hause und hat keinen Grund, sich in Erfurt dem Mini¬
sterium zu widersetzen, sie wird die preußische Regierung nicht vorwärts treiben,
aber ihr ehrlich und patriotisch folgen. Und so hat jetzt die preußische Negierung
in Erfurt freie Hand und ist sicher, die Majorität des Volkes hinter sich, zu ha¬
ben. Weit schwieriger dagegen ist die Stellung Preußens zu den großen Nach¬
barstaaten. Diesen gegenüber ist Preußen ein unfertiger Staat, seinem Ursprung
und Princip nach bedenklich. Die dreißigjährige Abhängigkeit von russischer Po-
litik, welche durch Preußens Lage mehr als durch die Sympathien der Negierung
zu erklären ist, hat seit der Revolution, seit Einführung des constitutionellen Le¬
bens, einen unheilbaren Riß erhalten, das weiß Rußland so gut als die preußi¬
sche Regierung. Für Rußlands Existenz ist ein mächtiges Preußen mit VvlkSre-
präsentativn und einem Ministerium, das von Stimmungen der Majorität ab¬
hängt, gefährlich; und uns gegenüber ist das Nußland des Jahres 1850 ein sehr


zzitischer Verhältnisse, welche vielleicht auch eine geniale Regentenkraft jetzt nicht
bewältigen könnte. Dies Blatt hat oft darauf hingewiesen, wie Preußen im
Jahre 1848 dem Untergang näher schien als ein anderer Staat, und doch schneller
seine Kraft wiedergewonnen hat als ein anderer. Es verdankt seine Rettung, und
gerade unser Whigblatt soll das offen sagen, der preußischen Torypartei, dem
Vorwiegen der Ackerbauinteressen in den östlichen Landestheilen und der kriegeri¬
schen Loyalität der alten Landwehrmänner. Diese altconservative Partei, deren
energisches Auftreten für die Krone eine Reaction von so auffallender Stärke her¬
vorgebracht hatte, erscheint sehr natürlich der Regierung noch jetzt als Garant
für d'e Kraft und Dauer des Staates (freilich nicht Hr. von Gerlach und die
Kreuzzeitung), und doch kann man der Negierung nicht den Vorwurf machen, daß
sie sich ihr urtheilslos und unbedingt in die Arme geworfen habe. Die specifisch
preußische Partei aber ist nicht, wie man gewöhnlich annimmt, dem kleindentschen
Bundesstaat aus Zuneigung zu Oestreich principiell abhold, in ihr lebt mehr als
in jeder andern Partei der preußische Soldatengeist, und sie würde, ihrer großen
Majorität nach, mit demselben Eifer gegen Oestreich und Nußland zu Felde ziehn,
wie gegen demokratische Aufstände, vorausgesetzt, daß ein Vortheil für Preußens
Ruhm und Terrain zu hoffen wäre. Bei unserer Union ist ihr die parlamenta¬
rische Seite lästig, dies langweilige Kokettiren, wie sie es nennen, mit der Volks¬
gunst in den kleinern Staaten; dagegen ist sie sehr bereit, sich kurz militärisch zu
nehmen, was ihr nützlich wird. Die preußischen Generäle waren recht eilig, die
Militärconventionen mit deu kleinen Staaten einzuleiten und abzuschließen, das
war ein Weg der Verbindung, der ihnen verständlich war und wohlgefiel, und
dessen immense Bedeutung sie früher und besser verstanden, als irgend eine andere
Partei. Seit die Lebensinteressen des Grundbesitzes durch neue Gesetze gesichert
sind, bei deren Annahme in den Kammern dieselbe Partei mehr Uneigennützigkeit
und Patriotismus bewiesen hat, als man jetzt noch anzuerkennen geneigt ist, fühlt
sie sich sicher in ihrem Hause und hat keinen Grund, sich in Erfurt dem Mini¬
sterium zu widersetzen, sie wird die preußische Regierung nicht vorwärts treiben,
aber ihr ehrlich und patriotisch folgen. Und so hat jetzt die preußische Negierung
in Erfurt freie Hand und ist sicher, die Majorität des Volkes hinter sich, zu ha¬
ben. Weit schwieriger dagegen ist die Stellung Preußens zu den großen Nach¬
barstaaten. Diesen gegenüber ist Preußen ein unfertiger Staat, seinem Ursprung
und Princip nach bedenklich. Die dreißigjährige Abhängigkeit von russischer Po-
litik, welche durch Preußens Lage mehr als durch die Sympathien der Negierung
zu erklären ist, hat seit der Revolution, seit Einführung des constitutionellen Le¬
bens, einen unheilbaren Riß erhalten, das weiß Rußland so gut als die preußi¬
sche Regierung. Für Rußlands Existenz ist ein mächtiges Preußen mit VvlkSre-
präsentativn und einem Ministerium, das von Stimmungen der Majorität ab¬
hängt, gefährlich; und uns gegenüber ist das Nußland des Jahres 1850 ein sehr


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[0509] zzitischer Verhältnisse, welche vielleicht auch eine geniale Regentenkraft jetzt nicht bewältigen könnte. Dies Blatt hat oft darauf hingewiesen, wie Preußen im Jahre 1848 dem Untergang näher schien als ein anderer Staat, und doch schneller seine Kraft wiedergewonnen hat als ein anderer. Es verdankt seine Rettung, und gerade unser Whigblatt soll das offen sagen, der preußischen Torypartei, dem Vorwiegen der Ackerbauinteressen in den östlichen Landestheilen und der kriegeri¬ schen Loyalität der alten Landwehrmänner. Diese altconservative Partei, deren energisches Auftreten für die Krone eine Reaction von so auffallender Stärke her¬ vorgebracht hatte, erscheint sehr natürlich der Regierung noch jetzt als Garant für d'e Kraft und Dauer des Staates (freilich nicht Hr. von Gerlach und die Kreuzzeitung), und doch kann man der Negierung nicht den Vorwurf machen, daß sie sich ihr urtheilslos und unbedingt in die Arme geworfen habe. Die specifisch preußische Partei aber ist nicht, wie man gewöhnlich annimmt, dem kleindentschen Bundesstaat aus Zuneigung zu Oestreich principiell abhold, in ihr lebt mehr als in jeder andern Partei der preußische Soldatengeist, und sie würde, ihrer großen Majorität nach, mit demselben Eifer gegen Oestreich und Nußland zu Felde ziehn, wie gegen demokratische Aufstände, vorausgesetzt, daß ein Vortheil für Preußens Ruhm und Terrain zu hoffen wäre. Bei unserer Union ist ihr die parlamenta¬ rische Seite lästig, dies langweilige Kokettiren, wie sie es nennen, mit der Volks¬ gunst in den kleinern Staaten; dagegen ist sie sehr bereit, sich kurz militärisch zu nehmen, was ihr nützlich wird. Die preußischen Generäle waren recht eilig, die Militärconventionen mit deu kleinen Staaten einzuleiten und abzuschließen, das war ein Weg der Verbindung, der ihnen verständlich war und wohlgefiel, und dessen immense Bedeutung sie früher und besser verstanden, als irgend eine andere Partei. Seit die Lebensinteressen des Grundbesitzes durch neue Gesetze gesichert sind, bei deren Annahme in den Kammern dieselbe Partei mehr Uneigennützigkeit und Patriotismus bewiesen hat, als man jetzt noch anzuerkennen geneigt ist, fühlt sie sich sicher in ihrem Hause und hat keinen Grund, sich in Erfurt dem Mini¬ sterium zu widersetzen, sie wird die preußische Regierung nicht vorwärts treiben, aber ihr ehrlich und patriotisch folgen. Und so hat jetzt die preußische Negierung in Erfurt freie Hand und ist sicher, die Majorität des Volkes hinter sich, zu ha¬ ben. Weit schwieriger dagegen ist die Stellung Preußens zu den großen Nach¬ barstaaten. Diesen gegenüber ist Preußen ein unfertiger Staat, seinem Ursprung und Princip nach bedenklich. Die dreißigjährige Abhängigkeit von russischer Po- litik, welche durch Preußens Lage mehr als durch die Sympathien der Negierung zu erklären ist, hat seit der Revolution, seit Einführung des constitutionellen Le¬ bens, einen unheilbaren Riß erhalten, das weiß Rußland so gut als die preußi¬ sche Regierung. Für Rußlands Existenz ist ein mächtiges Preußen mit VvlkSre- präsentativn und einem Ministerium, das von Stimmungen der Majorität ab¬ hängt, gefährlich; und uns gegenüber ist das Nußland des Jahres 1850 ein sehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/509>, abgerufen am 21.06.2024.