Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

thet, welches nicht zu seinem Wesen paßt, so ist ein solches Unglück im Allgemei-
nen Folge männlicher Schwäche oder eines Mangels an Urtheil. Wir werden es
in unserer Familie bemitleiden, im Tempel der Kunst darf uns das nicht rühren.
Wir fordern von einem gesunden männlichen Geist, daß er das Weib seiner Wahl
verstehe und zu behandeln wisse. Wenn aber der Mann als eine leidende, sein
zugespitzte, in ihrem innersten Wesen nicht verstandene Natur dargestellt wird, und
mit den Prätensionen eines höheren genialen Wesens ausgerüstet, der gewöhnli¬
chen Beschränktheit des wirklichen Lebens und der Einseitigkeit seines Weibes un¬
terliegt, so wird die Sache noch schlimmer. Seit den Romanen der Hahn haben
wir in Werner u. s. w. die abgeschmackten Prätensionen solcher Geistesaristokraten
zur Genüge in uus aufnehmen müssen. Der Byron des Stückes verlangt von
seinem Wen'e beim Aufgehen des Vorhanges Enthusiasmus für ein paar Verse,
welche ihn begeistern, und fühlt sich unglücklich, weil ihr Lob so kühl ist. Er,
der ein Dichter sein soll, versteht so wenig die Natur und das Wesen seiner Frau,
daß er sie für kalt und herzlos hält; er sieht ein Mädchen vom Theater, und
weil sie einer alten Geliebten ähnlich ist, geräth er sogleich in den begeisterten
Taumel eines Gymnasiasten. Was er später thut, ist unklug, kopflos, ohne das
verständige Urtheil, welches jeder Maun von Erfahrung haben muß, und als durch
seine Verkehrtheit und die kleinen Schlechtigkeiten einzelner Menschen seine Lage
allerdings traurig geworden ist, will er sich tödten, um die ganze Geschichte los
zu werden. Ist das der Held für eine Tragödie? Weder groß in seinen Hand¬
lungen, noch groß in seinen Leidenschaften, denn selbst seine Heftigkeit ist kindisch.
Berechtigung soll er dadurch erhalten, daß er Lord Byron heißt. Es könnte
aber dem Stück gar nichts nützen, auch wenn Lord Byron in Wirklichkeit ein sol¬
cher Mann gewesen wäre. Dann taugte er nicht zum Helden eiues Dramas. Und
hier sei der lebhafte Wunsch ausgesprochen, daß endlich einmal mit den Maler¬
und Dichterdramen ein Ende gemacht werde. Denn was einen Künstler groß
macht, der Prozeß seines idealen Schaffens und die Resultate dieses Prozesses,
seine Kunstwerke, die können im Drama, was über ihn geschrieben wird, keine
Wirkungen hervorbringen, und was im Drama vorgeführt werden kann, sein Le¬
ben und sein Leiden in der ihn umgebenden Welt, das ist gerade bei einem Künst¬
ler selten groß, denn in der Regel zeigt sich die Lebenskraft des Mannes, welcher
souverain im Reich der Ideale herrscht, als einseitig und ungeübt in der Bewäl"
tigung der äußern Verhältnisse. Aber auch da, wo der Künstler als ein tüchtiger
Mann der That erscheint, ist seine Benutzung für dramatische Stoffe gerade des¬
halb gefährlich, weil das Interesse, welches der Schaffende und der Zuschauer an
seiner Bühnenerscheinung nimmt, kein unbefangenes, ans der Handlung des Stük-
kes hervorgehendes ist. Und weil Jeder das Urtheil, was er sich aus Werken
des Mannes über ihn gebildet hat, in dem Drama bestätigt sehen will, wird der
Dichter verführt, den Helden seines Stückes zur Kokette zu machen, der beständig


thet, welches nicht zu seinem Wesen paßt, so ist ein solches Unglück im Allgemei-
nen Folge männlicher Schwäche oder eines Mangels an Urtheil. Wir werden es
in unserer Familie bemitleiden, im Tempel der Kunst darf uns das nicht rühren.
Wir fordern von einem gesunden männlichen Geist, daß er das Weib seiner Wahl
verstehe und zu behandeln wisse. Wenn aber der Mann als eine leidende, sein
zugespitzte, in ihrem innersten Wesen nicht verstandene Natur dargestellt wird, und
mit den Prätensionen eines höheren genialen Wesens ausgerüstet, der gewöhnli¬
chen Beschränktheit des wirklichen Lebens und der Einseitigkeit seines Weibes un¬
terliegt, so wird die Sache noch schlimmer. Seit den Romanen der Hahn haben
wir in Werner u. s. w. die abgeschmackten Prätensionen solcher Geistesaristokraten
zur Genüge in uus aufnehmen müssen. Der Byron des Stückes verlangt von
seinem Wen'e beim Aufgehen des Vorhanges Enthusiasmus für ein paar Verse,
welche ihn begeistern, und fühlt sich unglücklich, weil ihr Lob so kühl ist. Er,
der ein Dichter sein soll, versteht so wenig die Natur und das Wesen seiner Frau,
daß er sie für kalt und herzlos hält; er sieht ein Mädchen vom Theater, und
weil sie einer alten Geliebten ähnlich ist, geräth er sogleich in den begeisterten
Taumel eines Gymnasiasten. Was er später thut, ist unklug, kopflos, ohne das
verständige Urtheil, welches jeder Maun von Erfahrung haben muß, und als durch
seine Verkehrtheit und die kleinen Schlechtigkeiten einzelner Menschen seine Lage
allerdings traurig geworden ist, will er sich tödten, um die ganze Geschichte los
zu werden. Ist das der Held für eine Tragödie? Weder groß in seinen Hand¬
lungen, noch groß in seinen Leidenschaften, denn selbst seine Heftigkeit ist kindisch.
Berechtigung soll er dadurch erhalten, daß er Lord Byron heißt. Es könnte
aber dem Stück gar nichts nützen, auch wenn Lord Byron in Wirklichkeit ein sol¬
cher Mann gewesen wäre. Dann taugte er nicht zum Helden eiues Dramas. Und
hier sei der lebhafte Wunsch ausgesprochen, daß endlich einmal mit den Maler¬
und Dichterdramen ein Ende gemacht werde. Denn was einen Künstler groß
macht, der Prozeß seines idealen Schaffens und die Resultate dieses Prozesses,
seine Kunstwerke, die können im Drama, was über ihn geschrieben wird, keine
Wirkungen hervorbringen, und was im Drama vorgeführt werden kann, sein Le¬
ben und sein Leiden in der ihn umgebenden Welt, das ist gerade bei einem Künst¬
ler selten groß, denn in der Regel zeigt sich die Lebenskraft des Mannes, welcher
souverain im Reich der Ideale herrscht, als einseitig und ungeübt in der Bewäl«
tigung der äußern Verhältnisse. Aber auch da, wo der Künstler als ein tüchtiger
Mann der That erscheint, ist seine Benutzung für dramatische Stoffe gerade des¬
halb gefährlich, weil das Interesse, welches der Schaffende und der Zuschauer an
seiner Bühnenerscheinung nimmt, kein unbefangenes, ans der Handlung des Stük-
kes hervorgehendes ist. Und weil Jeder das Urtheil, was er sich aus Werken
des Mannes über ihn gebildet hat, in dem Drama bestätigt sehen will, wird der
Dichter verführt, den Helden seines Stückes zur Kokette zu machen, der beständig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0303" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93126"/>
            <p xml:id="ID_1040" prev="#ID_1039" next="#ID_1041"> thet, welches nicht zu seinem Wesen paßt, so ist ein solches Unglück im Allgemei-<lb/>
nen Folge männlicher Schwäche oder eines Mangels an Urtheil. Wir werden es<lb/>
in unserer Familie bemitleiden, im Tempel der Kunst darf uns das nicht rühren.<lb/>
Wir fordern von einem gesunden männlichen Geist, daß er das Weib seiner Wahl<lb/>
verstehe und zu behandeln wisse. Wenn aber der Mann als eine leidende, sein<lb/>
zugespitzte, in ihrem innersten Wesen nicht verstandene Natur dargestellt wird, und<lb/>
mit den Prätensionen eines höheren genialen Wesens ausgerüstet, der gewöhnli¬<lb/>
chen Beschränktheit des wirklichen Lebens und der Einseitigkeit seines Weibes un¬<lb/>
terliegt, so wird die Sache noch schlimmer. Seit den Romanen der Hahn haben<lb/>
wir in Werner u. s. w. die abgeschmackten Prätensionen solcher Geistesaristokraten<lb/>
zur Genüge in uus aufnehmen müssen. Der Byron des Stückes verlangt von<lb/>
seinem Wen'e beim Aufgehen des Vorhanges Enthusiasmus für ein paar Verse,<lb/>
welche ihn begeistern, und fühlt sich unglücklich, weil ihr Lob so kühl ist. Er,<lb/>
der ein Dichter sein soll, versteht so wenig die Natur und das Wesen seiner Frau,<lb/>
daß er sie für kalt und herzlos hält; er sieht ein Mädchen vom Theater, und<lb/>
weil sie einer alten Geliebten ähnlich ist, geräth er sogleich in den begeisterten<lb/>
Taumel eines Gymnasiasten. Was er später thut, ist unklug, kopflos, ohne das<lb/>
verständige Urtheil, welches jeder Maun von Erfahrung haben muß, und als durch<lb/>
seine Verkehrtheit und die kleinen Schlechtigkeiten einzelner Menschen seine Lage<lb/>
allerdings traurig geworden ist, will er sich tödten, um die ganze Geschichte los<lb/>
zu werden. Ist das der Held für eine Tragödie? Weder groß in seinen Hand¬<lb/>
lungen, noch groß in seinen Leidenschaften, denn selbst seine Heftigkeit ist kindisch.<lb/>
Berechtigung soll er dadurch erhalten, daß er Lord Byron heißt. Es könnte<lb/>
aber dem Stück gar nichts nützen, auch wenn Lord Byron in Wirklichkeit ein sol¬<lb/>
cher Mann gewesen wäre. Dann taugte er nicht zum Helden eiues Dramas. Und<lb/>
hier sei der lebhafte Wunsch ausgesprochen, daß endlich einmal mit den Maler¬<lb/>
und Dichterdramen ein Ende gemacht werde. Denn was einen Künstler groß<lb/>
macht, der Prozeß seines idealen Schaffens und die Resultate dieses Prozesses,<lb/>
seine Kunstwerke, die können im Drama, was über ihn geschrieben wird, keine<lb/>
Wirkungen hervorbringen, und was im Drama vorgeführt werden kann, sein Le¬<lb/>
ben und sein Leiden in der ihn umgebenden Welt, das ist gerade bei einem Künst¬<lb/>
ler selten groß, denn in der Regel zeigt sich die Lebenskraft des Mannes, welcher<lb/>
souverain im Reich der Ideale herrscht, als einseitig und ungeübt in der Bewäl«<lb/>
tigung der äußern Verhältnisse. Aber auch da, wo der Künstler als ein tüchtiger<lb/>
Mann der That erscheint, ist seine Benutzung für dramatische Stoffe gerade des¬<lb/>
halb gefährlich, weil das Interesse, welches der Schaffende und der Zuschauer an<lb/>
seiner Bühnenerscheinung nimmt, kein unbefangenes, ans der Handlung des Stük-<lb/>
kes hervorgehendes ist. Und weil Jeder das Urtheil, was er sich aus Werken<lb/>
des Mannes über ihn gebildet hat, in dem Drama bestätigt sehen will, wird der<lb/>
Dichter verführt, den Helden seines Stückes zur Kokette zu machen, der beständig</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0303] thet, welches nicht zu seinem Wesen paßt, so ist ein solches Unglück im Allgemei- nen Folge männlicher Schwäche oder eines Mangels an Urtheil. Wir werden es in unserer Familie bemitleiden, im Tempel der Kunst darf uns das nicht rühren. Wir fordern von einem gesunden männlichen Geist, daß er das Weib seiner Wahl verstehe und zu behandeln wisse. Wenn aber der Mann als eine leidende, sein zugespitzte, in ihrem innersten Wesen nicht verstandene Natur dargestellt wird, und mit den Prätensionen eines höheren genialen Wesens ausgerüstet, der gewöhnli¬ chen Beschränktheit des wirklichen Lebens und der Einseitigkeit seines Weibes un¬ terliegt, so wird die Sache noch schlimmer. Seit den Romanen der Hahn haben wir in Werner u. s. w. die abgeschmackten Prätensionen solcher Geistesaristokraten zur Genüge in uus aufnehmen müssen. Der Byron des Stückes verlangt von seinem Wen'e beim Aufgehen des Vorhanges Enthusiasmus für ein paar Verse, welche ihn begeistern, und fühlt sich unglücklich, weil ihr Lob so kühl ist. Er, der ein Dichter sein soll, versteht so wenig die Natur und das Wesen seiner Frau, daß er sie für kalt und herzlos hält; er sieht ein Mädchen vom Theater, und weil sie einer alten Geliebten ähnlich ist, geräth er sogleich in den begeisterten Taumel eines Gymnasiasten. Was er später thut, ist unklug, kopflos, ohne das verständige Urtheil, welches jeder Maun von Erfahrung haben muß, und als durch seine Verkehrtheit und die kleinen Schlechtigkeiten einzelner Menschen seine Lage allerdings traurig geworden ist, will er sich tödten, um die ganze Geschichte los zu werden. Ist das der Held für eine Tragödie? Weder groß in seinen Hand¬ lungen, noch groß in seinen Leidenschaften, denn selbst seine Heftigkeit ist kindisch. Berechtigung soll er dadurch erhalten, daß er Lord Byron heißt. Es könnte aber dem Stück gar nichts nützen, auch wenn Lord Byron in Wirklichkeit ein sol¬ cher Mann gewesen wäre. Dann taugte er nicht zum Helden eiues Dramas. Und hier sei der lebhafte Wunsch ausgesprochen, daß endlich einmal mit den Maler¬ und Dichterdramen ein Ende gemacht werde. Denn was einen Künstler groß macht, der Prozeß seines idealen Schaffens und die Resultate dieses Prozesses, seine Kunstwerke, die können im Drama, was über ihn geschrieben wird, keine Wirkungen hervorbringen, und was im Drama vorgeführt werden kann, sein Le¬ ben und sein Leiden in der ihn umgebenden Welt, das ist gerade bei einem Künst¬ ler selten groß, denn in der Regel zeigt sich die Lebenskraft des Mannes, welcher souverain im Reich der Ideale herrscht, als einseitig und ungeübt in der Bewäl« tigung der äußern Verhältnisse. Aber auch da, wo der Künstler als ein tüchtiger Mann der That erscheint, ist seine Benutzung für dramatische Stoffe gerade des¬ halb gefährlich, weil das Interesse, welches der Schaffende und der Zuschauer an seiner Bühnenerscheinung nimmt, kein unbefangenes, ans der Handlung des Stük- kes hervorgehendes ist. Und weil Jeder das Urtheil, was er sich aus Werken des Mannes über ihn gebildet hat, in dem Drama bestätigt sehen will, wird der Dichter verführt, den Helden seines Stückes zur Kokette zu machen, der beständig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/303
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/303>, abgerufen am 21.06.2024.