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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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einer Aufführung sehen, wie in der vorjährigen Saison der italienischen Oper in
Berlin, um die künstlerische Einheit zu empfinden. In der Mehrzahl unserer Opern,
Mozart und Beethoven nicht ausgenommen, finden wir das nicht. Es kommt dann
immer eine oder die andere Arie hinein, die in den dramatischen Zusammenhang
nicht gehört, die den Eindruck eiues Concertstücks macht. Scribe's Librettos find
ein großer Fortschritt, aber sie gehen auf der andern Seite zu weit; sie legen die
Handlung zu breit an, motiviren und detailliren zu genau, und geben unter dem
Anschein einer vollständigen Durchführung doch nur ein zerbröckeltes Ganze.
Doch verdienten Texte, wie die Stumme, die Jüdin, namentlich die Hugenotten
eine ausführlichere Besprechung.

Die dramatische Musik hat sich nach derselben Richtung hin verirrt, welcher
auch das moderne Drama verfallen ist. Aus dem einförmigen, in beständigem
Gleichklang dahinschwebenden Classicismus eines Metastasio ist sie in das wech¬
selnde Gewoge der romantischen Tragikomödie gerathen. Der Hanswurst, das
Trinklied, kurz das Vaudeville hat seinen Weg in die tragische Oper gesunden.
So ist es in den Texten von Mozart, Weber, Marschner u. s. w. Eine eitle
Charakterzeichnung, die doch in der ernsten Musik nicht zu erreichen ist -- über
komische Charaktere, wie Ofnir, Bartolo, Figaro u. s.^w. ein andermal -- soll
die fehlende Harmonie der Action ersetzen. Diese Poesie des Contrastes hat nur
dann ihre Berechtigung, wenn sie nicht willkürlich sich aneinander reiht, sondern
eine dramatische Wirkung bezweckt, wie in den beiden Finales des Don Juan. --
In der neuesten Oper wird wieder dadurch gesündigt, daß das Pathos ohne allen
Haltpunkt fortbraust, wie z. B. in der Jüdin von Hat'-op, wo es dann wieder
abspannt, oder daß die Handlung an sich die Aufmerksamkeit von der eigentlich
musikalischen Bewegung abzieht, wie in den Hugenotten.

Soll die Kunst gedeihen, so scheint es mir nöthig, daß die komische Oper
strenger von der ernsten, heroischen gesondert wird. Die sogenannte romantische
Oper ist ein Abweg. Ich bin derselben Ansicht in Beziehung auf die eigentlich
dramatische Kunst. Die Opera buM hat ihre hinlänglich entwickelte Form, und
bei Werken, wie der Barbier, hat die Kritik nichts weiter zu sagen. Im Gegen¬
theil hat in der neuesten Zeit die komische Oper durch die Verarbeitung barocker
Motive, die dadurch komisch wirken sollen, daß sie eigentlich unmusikalisch sind
-- der Humor der Dissonanzen -- einen falschen Weg eingeschlagen. Das Wesen
der komischen Musik ist Heiterkeit, also Harmonie; selbst jede künstliche, coutra-
punktische Tonverwirrung stört die Stimmung des Genießers. Das eigentlich.ko¬
mische, der Contrast, soll in der Dichtung liegen, den Handlungen, Worten und
Geberden, die Musik soll harmonisch diesen Contrast begleiten. -- Anders ist eS
mit der seriösen Musik. Die tragische Oper scheint mir eine Ergänzung von einem
andern Gebiet der Kunst zu bedürfen. Das Oratorium hat seine geschichtliche


Grenzboten. i. 1850. zy

einer Aufführung sehen, wie in der vorjährigen Saison der italienischen Oper in
Berlin, um die künstlerische Einheit zu empfinden. In der Mehrzahl unserer Opern,
Mozart und Beethoven nicht ausgenommen, finden wir das nicht. Es kommt dann
immer eine oder die andere Arie hinein, die in den dramatischen Zusammenhang
nicht gehört, die den Eindruck eiues Concertstücks macht. Scribe's Librettos find
ein großer Fortschritt, aber sie gehen auf der andern Seite zu weit; sie legen die
Handlung zu breit an, motiviren und detailliren zu genau, und geben unter dem
Anschein einer vollständigen Durchführung doch nur ein zerbröckeltes Ganze.
Doch verdienten Texte, wie die Stumme, die Jüdin, namentlich die Hugenotten
eine ausführlichere Besprechung.

Die dramatische Musik hat sich nach derselben Richtung hin verirrt, welcher
auch das moderne Drama verfallen ist. Aus dem einförmigen, in beständigem
Gleichklang dahinschwebenden Classicismus eines Metastasio ist sie in das wech¬
selnde Gewoge der romantischen Tragikomödie gerathen. Der Hanswurst, das
Trinklied, kurz das Vaudeville hat seinen Weg in die tragische Oper gesunden.
So ist es in den Texten von Mozart, Weber, Marschner u. s. w. Eine eitle
Charakterzeichnung, die doch in der ernsten Musik nicht zu erreichen ist — über
komische Charaktere, wie Ofnir, Bartolo, Figaro u. s.^w. ein andermal — soll
die fehlende Harmonie der Action ersetzen. Diese Poesie des Contrastes hat nur
dann ihre Berechtigung, wenn sie nicht willkürlich sich aneinander reiht, sondern
eine dramatische Wirkung bezweckt, wie in den beiden Finales des Don Juan. —
In der neuesten Oper wird wieder dadurch gesündigt, daß das Pathos ohne allen
Haltpunkt fortbraust, wie z. B. in der Jüdin von Hat'-op, wo es dann wieder
abspannt, oder daß die Handlung an sich die Aufmerksamkeit von der eigentlich
musikalischen Bewegung abzieht, wie in den Hugenotten.

Soll die Kunst gedeihen, so scheint es mir nöthig, daß die komische Oper
strenger von der ernsten, heroischen gesondert wird. Die sogenannte romantische
Oper ist ein Abweg. Ich bin derselben Ansicht in Beziehung auf die eigentlich
dramatische Kunst. Die Opera buM hat ihre hinlänglich entwickelte Form, und
bei Werken, wie der Barbier, hat die Kritik nichts weiter zu sagen. Im Gegen¬
theil hat in der neuesten Zeit die komische Oper durch die Verarbeitung barocker
Motive, die dadurch komisch wirken sollen, daß sie eigentlich unmusikalisch sind
— der Humor der Dissonanzen — einen falschen Weg eingeschlagen. Das Wesen
der komischen Musik ist Heiterkeit, also Harmonie; selbst jede künstliche, coutra-
punktische Tonverwirrung stört die Stimmung des Genießers. Das eigentlich.ko¬
mische, der Contrast, soll in der Dichtung liegen, den Handlungen, Worten und
Geberden, die Musik soll harmonisch diesen Contrast begleiten. — Anders ist eS
mit der seriösen Musik. Die tragische Oper scheint mir eine Ergänzung von einem
andern Gebiet der Kunst zu bedürfen. Das Oratorium hat seine geschichtliche


Grenzboten. i. 1850. zy
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/241>, abgerufen am 04.07.2024.