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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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das Schlachtfeld meiden und es den Fraktionen Gerlach und Mcutteuffel über¬
lassen, der gemeinsamen Gegner entledigt, sich untereinander aufzureiben? --

Um diese Frage zu entscheiden, müssen wir die Zweiseitigkeit des konstitutio¬
nellen Wesens im Auge behalten. Der verfassungsmäßig regierte Staat hat eine
ideale Seite, und diese ist es, welche jugendliche Politiker in der Negel aus¬
schließlich ins Auge fassen. Er concentrirt die Kräfte des Volks und erhebt das¬
selbe aus einer ungegliederten Masse zu einer wirklichen Nation, die sich als
Ganzes weiß und fühlt. Er flößt jedem Bürger jenen edleren Patriotismus ein,
der ohne Recht und Freiheit nicht zu denken ist. -- Von dieser höheren Bedeu¬
tung des constitutionellen Wesens -- so schwer es fällt, muß man es sich klar
machen -- kann nnter den gegenwärtigen Umständen keine Rede sein. So wenig
wie in dem, ehemaligen Project des vereinigten Landtags. Denn wo es trotz
aller Verfassung in die Gewalt des Herrn gelegt ist, mit einem Einfall seiner
Willkür, den er in die Wagschale wirft, das ganze Gewicht des geschriebenen
Rechts in die Luft zu sprengen, da stehen sich nothwendigerweise die legislativen.
Gewalten, die in einem wirklichen Staat harmonisch ineinander greifen, in ver-
hängnißvollen Mißtrauen gegenüber, und hemmen einander so lange, bis ein
äußerlicher Kampf die Entscheidung herbeiführt.

Allein das konstitutionelle Wesen hat noch eine andere Seite, die zwar minder
ideal, doch nicht niedriger anzuschlagen ist. Es gibt der Opposition einen Mittel¬
punkt, um auf friedlichem Wege die einseitigen Beschlüsse der Krone und ihrer
Rathgeber zu hemmen, zu ergänzen, sie auf einen andern Weg zu lenken, und
bei dem Ausbruch eines Sturmes gibt es der Partei, welche nicht auflösen, son¬
dern organisiren will, einen Halt, Jedes Parlament, so schwankend seine Basis, so
irrationell seineZusammensetzung, ist eine Waffe. Unserer Partei muß es vorzugsweise
darauf ankommen, ein gesetzliches --- d. h. ein von der herrschenden Gewalt we¬
nigstens in seinem Bestehen anerkanntes Organ zu haben. Denn diejenigen Män¬
ner, welche den Kern unserer Partei ausmachen , sind nicht transcendente Politiker,
sie treiben die Politik nicht wie eine Kunst, um ihrer selbst willen, es kommt
ihnen nicht lediglich darauf an, ob sie sich rühmen können, Royalisten oder Re¬
publikaner, Aristokraten oder Demokraten zu sein; das Königthum wie die Re¬
publik, die Aristokratie wie die Demokratie sind ihnen vielmehr nur Mittel zum
Zwecke. Der Staat ist nicht um seiner selbstwillen da, sondern um Ackerbau, In¬
dustrie, Handel, Kunst, Wissenschaft, die eigentlichen Träger der Cultur, sowie
dem Einzelnen Freiheit und rechtliche Geltung zu sichern. Unsre Doctrinairs haben
nicht die fünfte Monarchie und nicht das Mittelalter im Auge, sondern das Vater¬
land und seine gegenwärtige Generation.

Wir können daher keine Revolution wollen; nicht wollen, auch wenn wir
unter rechtlosen Bedrückungen leiden. Die Revolution hält die Cultur mehr auf,
als der Despotismus. Wir können sie nicht leiten, denn im Drang des Augen-


das Schlachtfeld meiden und es den Fraktionen Gerlach und Mcutteuffel über¬
lassen, der gemeinsamen Gegner entledigt, sich untereinander aufzureiben? —

Um diese Frage zu entscheiden, müssen wir die Zweiseitigkeit des konstitutio¬
nellen Wesens im Auge behalten. Der verfassungsmäßig regierte Staat hat eine
ideale Seite, und diese ist es, welche jugendliche Politiker in der Negel aus¬
schließlich ins Auge fassen. Er concentrirt die Kräfte des Volks und erhebt das¬
selbe aus einer ungegliederten Masse zu einer wirklichen Nation, die sich als
Ganzes weiß und fühlt. Er flößt jedem Bürger jenen edleren Patriotismus ein,
der ohne Recht und Freiheit nicht zu denken ist. — Von dieser höheren Bedeu¬
tung des constitutionellen Wesens — so schwer es fällt, muß man es sich klar
machen — kann nnter den gegenwärtigen Umständen keine Rede sein. So wenig
wie in dem, ehemaligen Project des vereinigten Landtags. Denn wo es trotz
aller Verfassung in die Gewalt des Herrn gelegt ist, mit einem Einfall seiner
Willkür, den er in die Wagschale wirft, das ganze Gewicht des geschriebenen
Rechts in die Luft zu sprengen, da stehen sich nothwendigerweise die legislativen.
Gewalten, die in einem wirklichen Staat harmonisch ineinander greifen, in ver-
hängnißvollen Mißtrauen gegenüber, und hemmen einander so lange, bis ein
äußerlicher Kampf die Entscheidung herbeiführt.

Allein das konstitutionelle Wesen hat noch eine andere Seite, die zwar minder
ideal, doch nicht niedriger anzuschlagen ist. Es gibt der Opposition einen Mittel¬
punkt, um auf friedlichem Wege die einseitigen Beschlüsse der Krone und ihrer
Rathgeber zu hemmen, zu ergänzen, sie auf einen andern Weg zu lenken, und
bei dem Ausbruch eines Sturmes gibt es der Partei, welche nicht auflösen, son¬
dern organisiren will, einen Halt, Jedes Parlament, so schwankend seine Basis, so
irrationell seineZusammensetzung, ist eine Waffe. Unserer Partei muß es vorzugsweise
darauf ankommen, ein gesetzliches —- d. h. ein von der herrschenden Gewalt we¬
nigstens in seinem Bestehen anerkanntes Organ zu haben. Denn diejenigen Män¬
ner, welche den Kern unserer Partei ausmachen , sind nicht transcendente Politiker,
sie treiben die Politik nicht wie eine Kunst, um ihrer selbst willen, es kommt
ihnen nicht lediglich darauf an, ob sie sich rühmen können, Royalisten oder Re¬
publikaner, Aristokraten oder Demokraten zu sein; das Königthum wie die Re¬
publik, die Aristokratie wie die Demokratie sind ihnen vielmehr nur Mittel zum
Zwecke. Der Staat ist nicht um seiner selbstwillen da, sondern um Ackerbau, In¬
dustrie, Handel, Kunst, Wissenschaft, die eigentlichen Träger der Cultur, sowie
dem Einzelnen Freiheit und rechtliche Geltung zu sichern. Unsre Doctrinairs haben
nicht die fünfte Monarchie und nicht das Mittelalter im Auge, sondern das Vater¬
land und seine gegenwärtige Generation.

Wir können daher keine Revolution wollen; nicht wollen, auch wenn wir
unter rechtlosen Bedrückungen leiden. Die Revolution hält die Cultur mehr auf,
als der Despotismus. Wir können sie nicht leiten, denn im Drang des Augen-


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[0214] das Schlachtfeld meiden und es den Fraktionen Gerlach und Mcutteuffel über¬ lassen, der gemeinsamen Gegner entledigt, sich untereinander aufzureiben? — Um diese Frage zu entscheiden, müssen wir die Zweiseitigkeit des konstitutio¬ nellen Wesens im Auge behalten. Der verfassungsmäßig regierte Staat hat eine ideale Seite, und diese ist es, welche jugendliche Politiker in der Negel aus¬ schließlich ins Auge fassen. Er concentrirt die Kräfte des Volks und erhebt das¬ selbe aus einer ungegliederten Masse zu einer wirklichen Nation, die sich als Ganzes weiß und fühlt. Er flößt jedem Bürger jenen edleren Patriotismus ein, der ohne Recht und Freiheit nicht zu denken ist. — Von dieser höheren Bedeu¬ tung des constitutionellen Wesens — so schwer es fällt, muß man es sich klar machen — kann nnter den gegenwärtigen Umständen keine Rede sein. So wenig wie in dem, ehemaligen Project des vereinigten Landtags. Denn wo es trotz aller Verfassung in die Gewalt des Herrn gelegt ist, mit einem Einfall seiner Willkür, den er in die Wagschale wirft, das ganze Gewicht des geschriebenen Rechts in die Luft zu sprengen, da stehen sich nothwendigerweise die legislativen. Gewalten, die in einem wirklichen Staat harmonisch ineinander greifen, in ver- hängnißvollen Mißtrauen gegenüber, und hemmen einander so lange, bis ein äußerlicher Kampf die Entscheidung herbeiführt. Allein das konstitutionelle Wesen hat noch eine andere Seite, die zwar minder ideal, doch nicht niedriger anzuschlagen ist. Es gibt der Opposition einen Mittel¬ punkt, um auf friedlichem Wege die einseitigen Beschlüsse der Krone und ihrer Rathgeber zu hemmen, zu ergänzen, sie auf einen andern Weg zu lenken, und bei dem Ausbruch eines Sturmes gibt es der Partei, welche nicht auflösen, son¬ dern organisiren will, einen Halt, Jedes Parlament, so schwankend seine Basis, so irrationell seineZusammensetzung, ist eine Waffe. Unserer Partei muß es vorzugsweise darauf ankommen, ein gesetzliches —- d. h. ein von der herrschenden Gewalt we¬ nigstens in seinem Bestehen anerkanntes Organ zu haben. Denn diejenigen Män¬ ner, welche den Kern unserer Partei ausmachen , sind nicht transcendente Politiker, sie treiben die Politik nicht wie eine Kunst, um ihrer selbst willen, es kommt ihnen nicht lediglich darauf an, ob sie sich rühmen können, Royalisten oder Re¬ publikaner, Aristokraten oder Demokraten zu sein; das Königthum wie die Re¬ publik, die Aristokratie wie die Demokratie sind ihnen vielmehr nur Mittel zum Zwecke. Der Staat ist nicht um seiner selbstwillen da, sondern um Ackerbau, In¬ dustrie, Handel, Kunst, Wissenschaft, die eigentlichen Träger der Cultur, sowie dem Einzelnen Freiheit und rechtliche Geltung zu sichern. Unsre Doctrinairs haben nicht die fünfte Monarchie und nicht das Mittelalter im Auge, sondern das Vater¬ land und seine gegenwärtige Generation. Wir können daher keine Revolution wollen; nicht wollen, auch wenn wir unter rechtlosen Bedrückungen leiden. Die Revolution hält die Cultur mehr auf, als der Despotismus. Wir können sie nicht leiten, denn im Drang des Augen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/214>, abgerufen am 24.07.2024.