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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Bildung ist sie jedenfalls heilsam, für eine fremde Regierung, wenn diese ihrer¬
seits ein unpassendes Verhalten annehmen wollte, voraussichtlich unbequem.

Der Eingeladene, doch auf einen Augenblick verdutzt, nahm die Einladung
an und reichte sogar dem Bauer und der Bäuerin die Hand -- alles unerhörte
Neuerungen! Am andern Tage fuhren wir zum Bauernfest in das Nachbardorf,
mein Gastfreund, seine älteste Tochter und ich.

Das Dorf liegt an einem Seitenflüßchen des Sau. Eine Linie von Erlen
folgt dem Laus eines kleinen Baches, der eine schlechte hölzerne oberschlächtige
Mühle in der Nähe des Palastes treibt. Der Bach und seine grünen Bäume
trennen daS Dorf von dem Edelhofe, dessen Ansehn ein ungemein stattliches war.
Waren doch die meisten Gebäude kaum ein Jahr alt. Zur Seite des mit Bar¬
rieren besetzten Fahrweges (vino-r oder Irytw-i) hatte der Herr aus dem Schutt,
der Asche, verkohlten Balken und Geröll, den Ueberresten aller in der Rebellion
zerstörten Gebäude und Geräthe des Gutes einen etwa dreißig Fuß hohen Hügel
gebildet und auf dessen Gipfel ein hohes Kruzifix eingepflanzt. Mein Begleiter
erzählte, daß sich in diesem Hügel auch das Getreide, welches die Bauern im
Speicher zurückgelassen hätten, überhaupt Alles befinde, was die Hand der Räuber
auch nur berührt habe. Auch ein Fortepiano, dessen Saiten von den tollen Bauern
zerrissen worden waren, steckte in diesem Hügel. Das Kruzifix auf dem grauen¬
haften Haufen hatte natürlich seine allegorische Bedeutung; in wie weit sich der
galizische Adel mit dem leidenden Jesus zu vergleichen das Recht hat, mag un-
erörtert bleiben. Uebrigens fand ich am Dorfe, und zwar dicht vor der Schenke,
einen zweiten solchen Hügel, der aus den Ueberbleibseln dreier niedergebrannter
Bauernhöfe gebildet und ebenfalls mit einem Kruzifix bekrönt war. Diese me-
mento mori waren sehr gut berechnet, denn kein Kruzifix im Gebiete des Dorfes
wurde so hoch geachtet als diese beiden, welche stumm und eindringlich von den
Sündern Neue und "Vernunft" forderten, wie mein Edelmann sagte. Der Probst
habe beide Kruzifixe durch ewige Bettelmönche ans dem mit Wundern gesegneten
Bernardiuerkloster zu Kalwaria kommen lassen (ohne Frage eine kleine Lüge des Herrn
Probstes) und sie feierlich eingeweiht, worauf sie von den Sakristan und Organisten in
Beisein der ganzen Bauernschaft emporgerichtet und im Hügel festgepflanzt worden
seien. Die Ehrfurcht der Bauern vor diesen beiden heiligen Bildern, trotz deren
Jugend und Unerfahrenheit, steige in der zweiten Hälfte des Februar (in welcher
damals die größten Greuelthaten verübt worden sind), ans ihren höchsten Grad;
dann lägen manche Bauern Vierteltage lang betend vor den Schutthügeln, und
einige Familienväter hätten bei dieser Gelegenheit ihre Kinder davor geführt und
feierliche Reden gehalten.

Vom Edelhof aus ließ ich mich durch einen Gutsknecht ins Dorf führen,
einen schönen Manne von herkulischer Gestalt. Gewandt erzählte er mir, daß
auch er als Verwandter der Braut zu den Hochzeitgästen gehöre und sich mit sei-


Bildung ist sie jedenfalls heilsam, für eine fremde Regierung, wenn diese ihrer¬
seits ein unpassendes Verhalten annehmen wollte, voraussichtlich unbequem.

Der Eingeladene, doch auf einen Augenblick verdutzt, nahm die Einladung
an und reichte sogar dem Bauer und der Bäuerin die Hand — alles unerhörte
Neuerungen! Am andern Tage fuhren wir zum Bauernfest in das Nachbardorf,
mein Gastfreund, seine älteste Tochter und ich.

Das Dorf liegt an einem Seitenflüßchen des Sau. Eine Linie von Erlen
folgt dem Laus eines kleinen Baches, der eine schlechte hölzerne oberschlächtige
Mühle in der Nähe des Palastes treibt. Der Bach und seine grünen Bäume
trennen daS Dorf von dem Edelhofe, dessen Ansehn ein ungemein stattliches war.
Waren doch die meisten Gebäude kaum ein Jahr alt. Zur Seite des mit Bar¬
rieren besetzten Fahrweges (vino-r oder Irytw-i) hatte der Herr aus dem Schutt,
der Asche, verkohlten Balken und Geröll, den Ueberresten aller in der Rebellion
zerstörten Gebäude und Geräthe des Gutes einen etwa dreißig Fuß hohen Hügel
gebildet und auf dessen Gipfel ein hohes Kruzifix eingepflanzt. Mein Begleiter
erzählte, daß sich in diesem Hügel auch das Getreide, welches die Bauern im
Speicher zurückgelassen hätten, überhaupt Alles befinde, was die Hand der Räuber
auch nur berührt habe. Auch ein Fortepiano, dessen Saiten von den tollen Bauern
zerrissen worden waren, steckte in diesem Hügel. Das Kruzifix auf dem grauen¬
haften Haufen hatte natürlich seine allegorische Bedeutung; in wie weit sich der
galizische Adel mit dem leidenden Jesus zu vergleichen das Recht hat, mag un-
erörtert bleiben. Uebrigens fand ich am Dorfe, und zwar dicht vor der Schenke,
einen zweiten solchen Hügel, der aus den Ueberbleibseln dreier niedergebrannter
Bauernhöfe gebildet und ebenfalls mit einem Kruzifix bekrönt war. Diese me-
mento mori waren sehr gut berechnet, denn kein Kruzifix im Gebiete des Dorfes
wurde so hoch geachtet als diese beiden, welche stumm und eindringlich von den
Sündern Neue und „Vernunft" forderten, wie mein Edelmann sagte. Der Probst
habe beide Kruzifixe durch ewige Bettelmönche ans dem mit Wundern gesegneten
Bernardiuerkloster zu Kalwaria kommen lassen (ohne Frage eine kleine Lüge des Herrn
Probstes) und sie feierlich eingeweiht, worauf sie von den Sakristan und Organisten in
Beisein der ganzen Bauernschaft emporgerichtet und im Hügel festgepflanzt worden
seien. Die Ehrfurcht der Bauern vor diesen beiden heiligen Bildern, trotz deren
Jugend und Unerfahrenheit, steige in der zweiten Hälfte des Februar (in welcher
damals die größten Greuelthaten verübt worden sind), ans ihren höchsten Grad;
dann lägen manche Bauern Vierteltage lang betend vor den Schutthügeln, und
einige Familienväter hätten bei dieser Gelegenheit ihre Kinder davor geführt und
feierliche Reden gehalten.

Vom Edelhof aus ließ ich mich durch einen Gutsknecht ins Dorf führen,
einen schönen Manne von herkulischer Gestalt. Gewandt erzählte er mir, daß
auch er als Verwandter der Braut zu den Hochzeitgästen gehöre und sich mit sei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/186>, abgerufen am 24.07.2024.