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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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genossen. Sie coquettiren noch immer mit dem Erbfeind der Christenheit, dem
Staat, obgleich sie mit der modernen Form desselben längst gebrochen haben. Die
Bibel weiß von keinem Staat, sie spricht mir von der christlichen Obrigkeit. Eine
Obrigkeit muß da sein, >un Recht und Ordnung zu handhaben, man muß sie hin¬
nehmen, als ein unvermeidliches Uebel; der Christ hat ihr zu gehorchen, so lange
sie christlich ist. Die Obrigkeiten aber kommen und gehen, sest und unwandelbar
bleibt nnr die Gemeinschaft der Heiligen, die Kirche. Die Kirche hat'ihre Kuppel
im Himmel, wo ihre eigentliche Heimath ist; der Staat wurzelt auf der Erde,
dem Reich des Teufels.

So weit wären wir also glücklich gekommen. Bei uns hat eS keine Noth.
Die protestantische Bildung hat unsern Geist gestählt; wenn man unsern Verstand
nicht geradezu aufhebt, wird uns das Netz der Kirche nicht fangen. Wir glauben
nur, was wir erkennen oder was wir empfinden.

In Frankreich dagegen ist die Gefahr nicht gering. Die katholische Kirche
hat das Gemüth nicht bekämpft, sie hat nur die Phantasie beschäftigt; die fran¬
zösische Ausklärung hat die Kirche nicht ernsthaft gefaßt, sie hat sich ihrer durch
Witze entledigt. Die Gewalt des Witzes reicht aber nnr aus eine gewisse Zeit
ans. Die Freiheitspartei hat sich auf eine Art überstürzt, daß man wie im
Schwindel nach dem ersten besten greift, was einen Halt verspricht. Die Jesuiten
versprechen, dem Volk Gehorsam beizubringen: vu Kien! so nehmen wir die
Jesuiten.

Ein klägliches Schauspiel, diese Vertreter des französischen Volks. Sehr
richtig vergleicht Montalembert die Republik mit einem Floß, das ohne Steuer
auf der Brandung schaukelt. Die Monarchie sei ein stattliches Schiff gewesen, da
habe man über die Leitung mit einander streiten können; jetzt gelte es, aus allen
Kräften zurückzustaueu. Es käme jetzt darauf an, die Hand an die Wurzel des
Uebels zu legen. Wer habe die alte Monarchie gestürzt? Der Staat mit seinem
rationalistischen Erziehungssystem. Wer die Restauration? Wieder der Staat.
Und so die Julidynastie. Jetzt sei Rationalismus, StacttSerziehnng und Commu-
nismus gleichbedeutend, die in Permanenz erklärte Emeute. Die sämmtlichen
Schullehrer, mit der Pariser Universität an der Spitze, seien die Chorführer der
Revolution, und es gebe nur einen Stand, der den Willen und auch die Kraft
habe, Frankreich zu erlösen: die Geistlichkeit.

Und neben Montalembert steht eine festgeschlossene Phalanx gleichgesinnter
Christen, die große legitimistische Partei. Nicht als ob sie besonders erfüllt wären
von den Ideen des Christenthums, im Gegentheil, im Herzen sind sie frivol, wie
es nur immer den Jüngern Voltaire's auftehn mag, aber sie fürchten den Gedan¬
ken, weil er das Volk bewegt, und um die Bewegung, die sie selber verschlingen
kann, zu hintertreiben, möchten sie die Quelle des Gedankens verstopfen. Und


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genossen. Sie coquettiren noch immer mit dem Erbfeind der Christenheit, dem
Staat, obgleich sie mit der modernen Form desselben längst gebrochen haben. Die
Bibel weiß von keinem Staat, sie spricht mir von der christlichen Obrigkeit. Eine
Obrigkeit muß da sein, >un Recht und Ordnung zu handhaben, man muß sie hin¬
nehmen, als ein unvermeidliches Uebel; der Christ hat ihr zu gehorchen, so lange
sie christlich ist. Die Obrigkeiten aber kommen und gehen, sest und unwandelbar
bleibt nnr die Gemeinschaft der Heiligen, die Kirche. Die Kirche hat'ihre Kuppel
im Himmel, wo ihre eigentliche Heimath ist; der Staat wurzelt auf der Erde,
dem Reich des Teufels.

So weit wären wir also glücklich gekommen. Bei uns hat eS keine Noth.
Die protestantische Bildung hat unsern Geist gestählt; wenn man unsern Verstand
nicht geradezu aufhebt, wird uns das Netz der Kirche nicht fangen. Wir glauben
nur, was wir erkennen oder was wir empfinden.

In Frankreich dagegen ist die Gefahr nicht gering. Die katholische Kirche
hat das Gemüth nicht bekämpft, sie hat nur die Phantasie beschäftigt; die fran¬
zösische Ausklärung hat die Kirche nicht ernsthaft gefaßt, sie hat sich ihrer durch
Witze entledigt. Die Gewalt des Witzes reicht aber nnr aus eine gewisse Zeit
ans. Die Freiheitspartei hat sich auf eine Art überstürzt, daß man wie im
Schwindel nach dem ersten besten greift, was einen Halt verspricht. Die Jesuiten
versprechen, dem Volk Gehorsam beizubringen: vu Kien! so nehmen wir die
Jesuiten.

Ein klägliches Schauspiel, diese Vertreter des französischen Volks. Sehr
richtig vergleicht Montalembert die Republik mit einem Floß, das ohne Steuer
auf der Brandung schaukelt. Die Monarchie sei ein stattliches Schiff gewesen, da
habe man über die Leitung mit einander streiten können; jetzt gelte es, aus allen
Kräften zurückzustaueu. Es käme jetzt darauf an, die Hand an die Wurzel des
Uebels zu legen. Wer habe die alte Monarchie gestürzt? Der Staat mit seinem
rationalistischen Erziehungssystem. Wer die Restauration? Wieder der Staat.
Und so die Julidynastie. Jetzt sei Rationalismus, StacttSerziehnng und Commu-
nismus gleichbedeutend, die in Permanenz erklärte Emeute. Die sämmtlichen
Schullehrer, mit der Pariser Universität an der Spitze, seien die Chorführer der
Revolution, und es gebe nur einen Stand, der den Willen und auch die Kraft
habe, Frankreich zu erlösen: die Geistlichkeit.

Und neben Montalembert steht eine festgeschlossene Phalanx gleichgesinnter
Christen, die große legitimistische Partei. Nicht als ob sie besonders erfüllt wären
von den Ideen des Christenthums, im Gegentheil, im Herzen sind sie frivol, wie
es nur immer den Jüngern Voltaire's auftehn mag, aber sie fürchten den Gedan¬
ken, weil er das Volk bewegt, und um die Bewegung, die sie selber verschlingen
kann, zu hintertreiben, möchten sie die Quelle des Gedankens verstopfen. Und


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[0179] genossen. Sie coquettiren noch immer mit dem Erbfeind der Christenheit, dem Staat, obgleich sie mit der modernen Form desselben längst gebrochen haben. Die Bibel weiß von keinem Staat, sie spricht mir von der christlichen Obrigkeit. Eine Obrigkeit muß da sein, >un Recht und Ordnung zu handhaben, man muß sie hin¬ nehmen, als ein unvermeidliches Uebel; der Christ hat ihr zu gehorchen, so lange sie christlich ist. Die Obrigkeiten aber kommen und gehen, sest und unwandelbar bleibt nnr die Gemeinschaft der Heiligen, die Kirche. Die Kirche hat'ihre Kuppel im Himmel, wo ihre eigentliche Heimath ist; der Staat wurzelt auf der Erde, dem Reich des Teufels. So weit wären wir also glücklich gekommen. Bei uns hat eS keine Noth. Die protestantische Bildung hat unsern Geist gestählt; wenn man unsern Verstand nicht geradezu aufhebt, wird uns das Netz der Kirche nicht fangen. Wir glauben nur, was wir erkennen oder was wir empfinden. In Frankreich dagegen ist die Gefahr nicht gering. Die katholische Kirche hat das Gemüth nicht bekämpft, sie hat nur die Phantasie beschäftigt; die fran¬ zösische Ausklärung hat die Kirche nicht ernsthaft gefaßt, sie hat sich ihrer durch Witze entledigt. Die Gewalt des Witzes reicht aber nnr aus eine gewisse Zeit ans. Die Freiheitspartei hat sich auf eine Art überstürzt, daß man wie im Schwindel nach dem ersten besten greift, was einen Halt verspricht. Die Jesuiten versprechen, dem Volk Gehorsam beizubringen: vu Kien! so nehmen wir die Jesuiten. Ein klägliches Schauspiel, diese Vertreter des französischen Volks. Sehr richtig vergleicht Montalembert die Republik mit einem Floß, das ohne Steuer auf der Brandung schaukelt. Die Monarchie sei ein stattliches Schiff gewesen, da habe man über die Leitung mit einander streiten können; jetzt gelte es, aus allen Kräften zurückzustaueu. Es käme jetzt darauf an, die Hand an die Wurzel des Uebels zu legen. Wer habe die alte Monarchie gestürzt? Der Staat mit seinem rationalistischen Erziehungssystem. Wer die Restauration? Wieder der Staat. Und so die Julidynastie. Jetzt sei Rationalismus, StacttSerziehnng und Commu- nismus gleichbedeutend, die in Permanenz erklärte Emeute. Die sämmtlichen Schullehrer, mit der Pariser Universität an der Spitze, seien die Chorführer der Revolution, und es gebe nur einen Stand, der den Willen und auch die Kraft habe, Frankreich zu erlösen: die Geistlichkeit. Und neben Montalembert steht eine festgeschlossene Phalanx gleichgesinnter Christen, die große legitimistische Partei. Nicht als ob sie besonders erfüllt wären von den Ideen des Christenthums, im Gegentheil, im Herzen sind sie frivol, wie es nur immer den Jüngern Voltaire's auftehn mag, aber sie fürchten den Gedan¬ ken, weil er das Volk bewegt, und um die Bewegung, die sie selber verschlingen kann, zu hintertreiben, möchten sie die Quelle des Gedankens verstopfen. Und 22*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/179>, abgerufen am 04.07.2024.